BABYLON in der Staatsoper Berlin

Babylon -Staatsoper Berlin © Holger Jacobs/ kultur24.berlin

BABYLON in der Staatsoper Berlin

 

Von Holger Jacobs

22.02.2019

Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂  (vier von fünf)

english text

Die Uraufführung der Oper „Babylon“ von Jörg Widmann wird zu einem großen Erfolg der Staatsoper Unter den Linden.

Am Ende der Vorstellung am Samstag abend gab es großen Applaus für alle Beteiligten, einschließlich für den Komponisten, Jörg Widmann, den Regisseur, Andreas Kriegenburg und den Librettisten, Peter Sloterdijk. Völlig zu Recht.

2 Photos: Vorne Jörg Widmann beim großen Applaus © Holger Jacobs

Hintergrund

Um die Oper „Babylon“ von Jörg Widmann zu verstehen müssen wir tief in die Zivilisationsgeschichte eintauchen.
2000 Jahre vor Christi Geburt waren es hauptsächlich zwei Völker, die wissenschaftlich und gesellschaftlich am weitesten fortgeschritten waren: Die Ägypter und die Babylonier.
Im 15. Jahrhundert vor Christi gab es im Zweistromland von Euphrat und Tigris eine erste Blütezeit und 900 Jahre später, im 6. Jahrhundert vor Christi, eine zweite.
In diese Zeit fällt die Geschichte der Oper von Jörg Widmann.

Die Stadt Babylon unter dem Herrscher Nebukadnezar II. war die größte Metropole der damals bekannten Welt und zählte um 600 v. Chr. wohl ca. 200.000 Einwohner. Die Mesopotamier verehrten zu dieser Zeit viele Götter, doch einer, Marduk, stand ihnen vor. Ihm zu Ehren wurde ein großer Tempel und daneben ein Turm gebaut, der Turmbau zu Babel (Babel steht im Hebräischen für Babylon).

Um diese Zeit hatten die Babylonier in einem Feldzug die Israeliten besiegt und zwangen große Teile der jüdischen Bevölkerung, darunter hauptsächlich die Intelligenzija, nach Babylon überzusiedeln. Obwohl es den Israeliten in Babylon recht gut ging – viele von ihnen bestritten hohe Posten in der babylonischen Verwaltung – sahen sie ihr Dasein in der Fremde doch eher als Verschleppung und Versklavung. Und den Multitheismus in der Stadt am Euphrat lehnten sie erst recht ab.
Um ihre Identität zu bewahren begannen die jüdischen Schriftgelehrten die Geschichte Israels auf Schriftrollen festzuhalten, der Thora. Auf sie bezieht sich heute noch das Judentum. Um ihren Widerwillen gegen die Verschleppung nach Babylon zum Ausdruck zu bringen, beschrieben sie die Stadt als verkommen und sündhaft. So, wie wir heute noch über diese Stadt denken, wenn wir das Wort „Babylon“ hören.
In Wirklichkeit aber war die Hauptstadt der Babylonier eine hochentwickelte Zivilisation.

Komponist Jörg Widmann nimmt nicht nur historische Überlieferungen als Grundlage seiner Oper, sondern auch eine Legende, die in mehreren Religionen beschrieben wird: Die Sintflut.

Die Sintflut soll über die Menschen hereingebrochen sein, weil sie den Ansprüchen der Götter nicht mehr gerecht wurden und in Sünde und Dekadenz verfielen. Neuere Forschungen gehen aber davon aus, dass zum Ende der letzten Eiszeit auf der Erde (ca. 10.000 v. Chr.) durch das Abschmelzen der Eisschicht solche enormen Wassermassen über den Erdball geschwemmt wurden, dass z.B. das Gebiet um Euphrat und Tigris innerhalb kurzer Zeit komplett überflutet wurde. Durch Erzählungen wurde diese Katastrophe überliefert und den Göttern zugeschrieben, die den Menschen eine Lektion erteilen wollten.

Susanne Elmark (Inanna), „Babylon“, Staatsoper Berlin © Holger Jacobs/ kultur24.berlin

Kritik

Die Oper „Babylon“ von Jörg Widmann setzt kurz nach dieser Katastrophe ein, als nur wenige Menschen die Sintflut überlebt hatten. Auf einem Videobild sieht der Zuschauer apokalyptische Bilder einer untergehenden Erde. Aber wie so oft in Oper, Film und Literatur geht es natürlich in Wahrheit um eine Liebesgeschichte.
Hier verkörpert durch den Israeliten Tammu, der sich in Inanna, einer Dienerin der gleichnamigen babylonischen Priesterin, verliebt. Und sie in ihn. Als Widersacherin steht „Die Seele“ dem Glück entgegen, eine langjährige Vertraute Tammus, die ihn vor Inanna warnt. Und die Vorsicht scheint begründet: Innana verabreicht Tammu eine Droge, durch die er den Rest der Geschichte nur noch als Traum erlebt.
Einen beeindruckenden Auftritt hat „Der Euphrat“, der bei Jörg Widmann in Gestalt einer Frau mit blauem, wellenartigen Rock und Schleppe auftritt. Sie beklagt die furchtbare Tat der Götter und das Unheil, welches von ihnen durch die Sintflut über die Menschen gebracht wurde.

Doch die Zeiten stehen trotz Tammus erfüllten Liebe zu Innana nicht gut für ihn. Er wird vom Priesterkönig auserkoren, als Menschenopfer zu dienen, um die Götter zukünftig gnädig zu stimmen. Das Ritual wird vollzogen und Tammu stirbt.

Bis hierher, dem 5. Bild der Oper, handelt es sich um eine aufregende Geschichte mit tollen Bildern und dramatischer Musik.

Doch nach der Pause flacht die Spannung sichtlich ab. Plötzlich wechselt Jörg Widmann von der Sintflut in eine „Orpheus und Eurydike“ Geschichte, indem er Inanna den verstorbenen Tammu aus der Unterwelt wieder zurückholen läßt, was ihr auch gelingt. Ende gut, alles gut? Na ja.

Alles in allem aber hat Regisseur Andreas Kriegenburg in Zusammenarbeit mit dem Komponisten Jörg Widmann eine beeindruckende Inszenierung hingelegt. Tolle Bühnenbilder (Harald Thor), fantasievolle Kostüme (Tanja Hofmann) und zusammen mit der Musik eine wirklich aufregende und spannende Geschichte (bis auf den letzten Teil) kreiert.

Die Musik hat den zeitgenössischen Ansatz, den wir von heutigen Komponisten erwarten. Viele Dissonanzen, hoher Koloratursopran, schnelle Wechsel der Tonlagen. Aber zum Glück auch ein paar schöne Harmonien, wie im Duett „Deine Wahrheit ist meine Wahrheit“, gesungen von Inanna und Tammu.
Hier in unserem Video, welches Auszüge aus der Oper zeigt:

Die schwierigen Partituren einer solchen zeitgenössischen Oper meistern fast alle Sänger*innen der Aufführung. Besonders Mojca Erdmann als „Die Seele“ und Susanne Elmark als Inanna“ gefielen mir gut. Und John Tomlinson als „Der Priesterkönig“. Charles Workman als „Tammu“ empfand ich als etwas schwächer. Großen Applaus bekam dafür Andrew Watts als „Skorpionmensch“.

Fazit: Eine Empfehlung für alle Opernfans, die nicht nur Mozart und Verdi hören wollen.

„Babylon“ von Jörg Widmann
Libretto von Peter Sloterdijk
Staatsoper Berlin
Musikalische Leitung: Christopher Ward, Inszenierung: Andreas Kriegenburg, Bühnenbild: Harald Thor, Kostüme: Tanja Hofmann, Licht: Olaf Freese, Choreographie: Zenta Haerter
Mit: Susanne Elmark (Inanna), Charles Workman (Tammu), Mojca Erdmann (Die Seele), John Tomlinson (Der Priesterkönig), Otto Katzameier (Der Tod), Marina Prudenskaya (Der Euphrat), Andrew Watts (Der Skorpionmensch), Florian Hoffmann (Ein Priester), Felix von Manteuffel (Ezechiel).

Nächste Vorstellungen: 20., 22. und 24. März 2019

Hier unsere Bilderserie mit 11 Fotos der Oper „Babylon“:

11 Photos:  Berlin © Holger Jacobs/ kultur24.berlin

english text

BABYLON at the Staatsoper Berlin
By Holger Jacobs
02/22/2019
Rating: 🙂 🙂 🙂 🙂 (four out of five)
The premiere of the opera „Babylon“ by Jörg Widmann becomes a great success of the Staatsoper Unter den Linden.
At the end of the performance on Saturday evening there was great applause for everyone involved, including the composer, Jörg Widmann, the director, Andreas Kriegenburg and the libretto/ text Peter Sloterdijk.
Background
In order to understand the opera „Babylon“ by Jörg Widmann, we have to delve deeply into the history of civilization. In the 2000s before Christ, it was mainly two peoples who had made the most scientific and social progress: the Egyptians and the Babylonians. In the 15th century before Christ there was a first period of prosperity in the Mesopotamia of the Euphrates and Tigris, and 900 years later, in the 6th century before Christ, a second period.
The history of the opera by Jörg Widmann falls into this second period.
The city of Babylon under the ruler Nebuchadnezzar II was the largest metropolis of the then known world. With probably about 200,000 inhabitants. The Mesopotamians had many gods at this time, but one, Marduk, stood before all of them. In his honor, a large temple and next to it a tower was built, the Tower of Babel (Babel in Hebrew stands for Babylon).

Around this time, the Babylonians had defeated the Israelites in a battle and forced large parts of the Jewish population, mainly the intelligentsia, to move to Babylon. Although the Israelites in Babylon were doing quite well, many of them denying high posts in the Babylonian administration, but saw their presence abroad as more of abduction and enslavement. And they rejected the multitheism in the city on the Euphrates. To preserve their identity, the Jewish scribes began to record the story of Israel on scrolls, the Torah. Judaism still refers to them today. And even the Old Testament of Christianity took over much of it. To express their aversion to the deportation to Babylon, they described the city as degenerate and sinful. And this is the way we still think about this city today when we hear the word „Babylon“.
In fact, the capital of the Babylonians was a highly developed civilization.
Composer Jörg Widmann takes not only historical lore as the basis of his opera, but also a legend that is described in several religions: The Great Flood.
The Great Flood is said to have fallen on people because they no longer lived up to the claims of the gods and fell into sin and decadence. Recent research, however, assume that by the end of the last ice age on earth (about 10,000 BC), by the melting of the ice layers, enormous masses of water were swept across the globe. Also the area around the Euphrates and Tigris was completely flooded within a short time. Through stories, this disaster was handed down and attributed to the gods who wanted to teach people a lesson.

Critics
The opera „Babylon“ by Jörg Widmann sets in shortly after this catastrophe, when only a few people survived the Great Flood. On a video image, the viewer sees apocalyptic images of a sinking earth. But as so often in opera, film and literature, of course, it’s in fact about a love story.
Here embodied by the Israelite Tammu, who falls in love with Inanna, a servant of the eponymous Babylonian priestess. And she loves him too. In opposite to this love story stands „The Soul“, a longtime confidant of Tammu, who warns him before Inanna. And caution seems justified: Innana gives Tammu a drug that makes him the rest of the story just a dream.
An impressive performance is „The Euphrates“, which occurs in Widmann’s opera in the form of a woman with blue, wavy skirt and train. She laments the dreadful deed of the gods and the mischief which was brought upon them by the deluge of men.
But times are not good for Tammu. He is chosen by the Priest-King of Babylon to serve as human sacrifices in order to mercy on the gods in the future. The ritual is completed and Tammu dies.

Up to here, until the 5th act, this opera is an exciting story with great pictures and dramatic music.
But after the break the tension flattens visibly. Suddenly Jörg Widmann changes from the deluge into an „Orpheus and Eurydice“ story, in which he lets Inanna bring the deceased Tammu back from the underworld, which she succeeds in doing. So everybody is happy…
However, director Andreas Kriegenburg, in collaboration with composer Jörg Widmann, has made an impressive staging. Great stage design (Harald Thor), imaginative costumes (Tanja Hofmann) and together with the music they created a really exciting story (except the last part).
The music has the contemporary approach that we expect from today’s composers. Many dissonances, high coloratura soprano, rapid change of pitch. But luckily also a few beautiful harmonies, as in the duet „Your Truth Is My Truth“, sung by Inanna and Tammu.
Here in our video, you can see some excerpts from the opera.
The difficult scores of such a contemporary opera master almost all singers of the performance. I especially liked Mojca Erdmann as „The Soul“ and Susanne Elmark as „Inanna“ and John Tomlinson as „The Priest King“. Charles Workman as “ Tammu“ I found less convincing, but big applause for Andrew Watts as „Scorpion Man“.
Conclusion: A recommendation for all opera fans who do not want to hear only Mozart and Verdi.
Musical direction: Christopher Ward, production: Andreas Kriegenburg, stage design: Harald Thor, costumes: Tanja Hofmann, choreography: Zenta Haerter
With: Susanne Elmark (Inanna), Charles Workman (Tammu), Mojca Erdmann (The Soul), John Tomlinson (The Priest King), Otto Katzameier (The Death), Marina Prudenskaya (The Euphrates), Andrew Watts (The Scorpion Man), Florian Hoffmann (A Priest), Felix of Manteuffel (Ezechiel).
Next performances: 20th, 22nd and 24th March 2019

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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