Berlin Alexanderplatz am Deutschen Theater

Berlin Alexanderplatz, Andreas Döhler, Katrin Wichmann © Holger Jacobs

Berlin Alexanderplatz am Deutschen Theater

 

Wertung : 🙂 🙂 🙂   (drei von fünf)

Von Severin Lohmer

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16.5.2016

„Wie kann ein Mensch gedeihen, wenn er nicht den Tod aufsucht? Den wahren Tod, den wirklichen Tod. Du hast dich dein ganzes Leben bewahrt. Bewahren, bewahren, so ist das furchtsame Verlangen der Menschen, und so steht es auf einem Fleck, und so geht es nicht weiter.“

Ein Mann kommt aus dem Gefängnis frei. Widerwillig begibt er sich zurück ins Leben, zurück in die Stadt, in eine Masse aus Fahrzeugen, Lichtern und Menschen. Vier Jahre hat er wegen Totschlags an seiner Geliebten gesessen und hat nun den festen Entschluss gefasst, anständig zu sein. Aber ist das mehr als ein Wort? Einen steinigen, beinah tödlichen Weg muss der Mann gehen bis ihm die Augen aufgehen und er am Ende „sehr verändert und ramponiert“ wieder am Alexanderplatz steht.

Der Mann, Franz Biberkopf, ist einer von vielen, sein Schicksal eines von tausenden. Um ihn herum sind andere Menschen, Stimmen, Geräusche, Nachrichten, das Wetter, die Bahnen – überall spricht, singt, dampft, kreischt und kracht es.

Über das Mittel der Montage und in einer radikalen, neuen Sprache hat Alfred Döblin eine polyphone Welt erschaffen, die die Stadt und das Leben in ihr auf eindrückliche Weise widerspiegelt. Sebastian Hartmanns Zugriff gibt dieser einzigartigen Form des Romans, der Vielschichtigkeit der Stimmen und Erzählformen, Raum. Er zeigt den Menschen im gesellschaftlichen Geflecht, den Einzelnen im Kampf mit sich selbst und den Anderen. Es sind Grundsituationen des Daseins – Liebe, Verrat, Tod – die in einer Symphonie aus Sprache, Bild und Musik erfahrbar werden.

So weit die Einführung des Deutschen Theaters zu dem Stück „Berlin Alexanderplatz“, welches den Arzt und Autor Alfred Döblin 1929 über Nacht weltberühmt machte. Eine Neuinszenierung des Stückes, gerade am „Deutschen Theater“ in Berlin, ist immer eine große Herausforderung, weil man es mit den großen, bisherigen Bearbeitungen des Romans vergleichen wird. Hervorgehoben sei hier nur die Verfilmung des Romans mit Heinrich George, aus dem Jahre 1931, die nur 88 Minuten dauerte. Dann die Fernsehfassung von 1980, eine 15,5 Stunden lange, als Serie konzipierte Verfilmung von Fassbinder und die legendäre Castorf – Inszenierung in dem leerstehenden, asbestsanierten Palast der Republik aus dem Jahre 2005.

Regisseur Sebastian Hartmann gelingt es, dem eine noch einmal ganze eigene Interpretation entgegenzusetzen. Wie im Traum und, wie er selber sagt, intuitiv geht er an den Stoff heran und erfindet eine Collage aus spannenden Bildern die sich ganz bewusst nicht linear an den Erzählstrang des Romans halten. Ein bisschen so, wie eine absurde Berliner Totenmesse, mit vielen religiösem Anspielungen, wie der Hiob Geschichte und der Geschichte von Abraham und Isaak und wunderbar grotesken, aber auch bitterbösen Sexszenen. Schön ist es, dass die Milieufiguren im Urberliner Akzent dabei nicht platt sondern erfrischend vielschichtig und immer mit einer gewissen Berlinerischen Selbstironie erscheinen.

Insgesamt ein gelungener Theaterabend, bei dem man etwas benommen und nachdenklich das Theater verlässt. Allerdings, und das ist auch der einzige echte Kritikpunkt an dieser Inszenierung, sollte man bei viereinhalb Stunden Spielzeit mit zwei Pausen schon eine gehörige Portion Sitzfleisch mitbringen.

Seht bitte auch unseren kleinen Videoclip von Berlin Alexanderplatz auf kultur24.berlinTV

Nächste Vorstellungen am 22. Mai, 5. und 19. Juni 2016.

Berlin Alexanderplatz, Moritz Growe © Holger Jacobs

7 Bilder: Berlin Alexanderplatz, Moritz Growe © Holger Jacobs

 

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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