Berlin Fashion Week S/S 2018 – Review

Marina Hoermanseder © Marina Razumovskaya

Berlin Fashion Week S/S 2018 – Review

 

 

Von Marina Razumovska

13.7.2017

Schnell tickt die Modewelt. Vor fünf Monaten noch fühlte sich die Mercedes-Benz Fashion Week etwas fremd in der neuen Location, dem Kaufhaus Jandorf, Ecke Brunnenstrasse (in den 1920ern Kaufhaus Hermann Tietz alias Her-Tie, 1933 enteignet und arisiert, zur DDR-Zeit Institut für Bekleidungskultur). Jetzt scheinen die meisten Designer*nnen sehr gerne hier zu sein.

Dabei reagieren die Klügsten schon längst auf das neue Berlin:

MARINA HOERMANSEDER zeigte ihre Sommer-Kollektion für 2018 auf der Baustelle des Berliner Schlosses/ Humboldt-Forums zwischen Gerüsten und auf nacktem Beton. Apokalyptische Regengüsse bescherten am vergangenen Freitag seenartige Pfützen. Mode ist immer „under construction“, durchlässig für alle Entwicklungen von außen. Bekannt ist die Berliner Modedesignerin aus Wien für ihre Lederkorsagen und hochkomplizierten skulpturalen Oberteile, Ledergürtel und Schnalle sind ihr Markenzeichen. Diesmal taucht sie in die russischen 1990er Jahre ein: „ja soschla s uma“, (bin verrückt geworden), dürfen die beiden Schülerinnen der legendären Band Tatu auf Hörmannseders Show wieder singen, begleitet vom außerirdisch hohen Schreien des außerirdisch kostümierten Vitas.

Wenn dann eine Frau in knappstem Badeanzug und schwerem, gelbem Ölzeug darüber durch die Pfützen stakelt ist das Klischee vom geschmacklosen Neuen Russen nicht weit (Lady Godiva nackt mit Cape auf einem Pferd und nachts …). Aber das Kopftuch unterm Kinn gebunden, bei Hörmannseder als Kapuze an die Jacke genäht, hat schon Matrjoschkas Köpfchen behütet.

5 Bilder: Marina Hoermanseder S/S 2018, Berlin Fashion Week © Marina Razumovskaya

 

Subtil machen sich in vielen Kollektionen Perspektiven auf Nachhaltigkeit bemerkbar.

Für die Berliner Designerin ANTONIA GOY heißt nachhaltig nicht nur Naturstoff. Auch Polyester, welches strapazierfähig ist und ewig hält, kann nachhaltig wirken. Kombiniert mit Baumwolle in europäischen Farbkontrasten und breiten Streifen kreiert Goy daraus außereuropäische Schnitte: Kaftane und kimonoartige Hybride aus Schichten und Überlappungen. Darüber werden – Nachaltigkeit Nummer zwei – einfach andere Stücke angezogen, verschiedene Teile verschiedener Größen, in verschiedenen Mustern, Streifen mit Blumen, alles weit geschnitten: freie Mode, rekombinierbar von Wedding bis Grunewald. (An den Socken ist in kleiner schwarzer Schrift gestickt: „born free“.)

Wo Antonia Goy das Einzelstück frei kombiniert, agiert VLADIMIR KARALEEV als bekannter Meister des nachhaltigen Fetzens. Karaleevs Arbeitsweise, seine unverwechselbare Handschrift: ohne Konzept, drapierend, intuititiv, stückweise, offen für ex prompts und schnelle Umsetzug einer sehr abstakten Idee, diese analytische Mode ohne Logik fand diesmal auch in einer ungewöhnlichen Präsentation ihr Echo: ohne Choreograpie laufen die Models überkreuz, nach eigener Intuition aus dem Augenblick heraus, ein wenig wie wie bei Sasha Walz oder Pina Bausch.

3 Bilder: Vladimir Karaleev, Berlin Fashion Week © Marina Razumovskaya

 

MICHAEL SONTAG dagegen drapiert und kollagiert aus einem einzigen zusammenhängenden Stück Stoff.

Es ist aus zarter, rosa Seide oder transparent. Michael Sonntag zaubert nur durch Wicklung, Faltung und ein paar Stiche eine weibliche Hülle, zusammengehalten an einer einzigen Stelle. Die Männer dagegen treten ungeschützt auf: viel nackte Haut, zorrohafte weite Oberteile auf den Schultern, enge Hosen mit Sonntags Markenzeichen des Sommers 2018 – das strassenbekannt aufgeschlitzte Hosenbein, das gerissene Stück hängt dekorativ ornamental heraus. Nichts ist der Mode unheilig genug, um es nicht auf allen stilistischen Ebenen des hohen Stils zu heiligen.

5 Bilder: Michael Sontag, Berlin Fashion Week © Marina Razumovskaya

 

Der unglaublich wandlungsfähige Berliner WILLIAM FAN aus Honkong denkt in gleicher Richtung.

Auf der letzten Fashion Week entführte er noch in ein brodelndes chinesisches Geschäftsviertel, diesmal setzt er uns an einer Bushaltestelle Friedrichsfelde-Ost ab. Die große Heldin dieser Fashion Week namens Streetware macht in Fans Kollektion merkwürdige Verwandlungen durch. Die weit offenen Hemden über nackten Waschbrettbäuchen sind plötzlich aus silbernem, leicht himmelblauem Brokat, am Kragen sitzen Straußenfedern; oder ein Trenchcoat mit Pailletten-Stoff. Aus Banlieu-Kids werden Häuptlinge! Aber immer tragen sie William Fans Markenzeichen: das tief in die Stirn schlabbernde Stoffhütchen (russisch panamka), das auch Fan selbst immer trägt.

2 Bilder: William Fan, Berlin Fashion Week © Marina Razumovskay

 

Dem gegenüber hat JENNIFER BRACHMANN – diese Könnerin des Konstruktiven, Geradlinigen – zum ersten Mal eine Frauenkollektion entworfen. In ihren monochromen Lieblingstönen, blau-grau-schwarz-weiß, entwirft sie Neues.

Simple Details ändern ein klassisches Stück Herrenmode: eine weit geschnittene Hose mit einer Falte, die von der Seite kommend von hinten nach vorne geht. Die Falte wird ihr zum Medium des Weiblichen: Was an Männern Uniform ist, verwandelt sich am Femininen: Eine Frau im Trenchcoat, in weißen Kniestrümpfen, weißen Schuhen mit sehr hohen Absätzen, ist nur schwer als Geheimagent zu erkennen. Taschen, Kragen und Schulterstücke geschlossener Uniformen werden bei Brachmann auf eine Weise umgedeutet, daß sie die Trägerin beschützen statt Parade und Aggression zu signalisieren.

2 Bilder: Jennifer Brachmann, Berlin Fashion Week © Marina Razumovskay

Author: Marina Razumovskaya

Modedesignerin (Diplom HTW Berlin) und freischaffende Journalistin (ProFashion, die tageszeitung TAZ)

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