Deichtorhallen Hamburg – Andreas Slominski

Deichtorhallen Hamburg, Andreas Slominski © Henning Rogge

Deichtorhallen Hamburg – Andreas Slominski

 

Von Julia Engelbrecht-Schnür

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20.5.2016

Vielleicht war es eine schlechte Idee, Jenya mitzunehmen. Schon fünf Meter hinter dem Ticketcounter kam ihr erster Kommentar. „What a wonderful smell. And look how clean they are.“

Die 57jährige Iranerin hat den direkten Vergleich. Sie ist vor acht Monaten als Flüchtling in Hamburg angekommen und hat davon fünf Monate im ehemaligen Max Bahr-Mark in Osdorf verbracht, jetzt ist sie in einem DRK-Camp in Eidelstedt. Sie weiß, dass die Aneinanderreihung der 100 Dixi-Klos ein Kunstprojekt ist, kann aber den Bezug zum alltäglichen Umgang mit den Plastikhäuschen nicht lassen. Genau das hat der Künstler Andreas Slominski beabsichtig mit seiner sanitären Installation „Das Ü des Türhüters“, die er eigens für die nördliche Deichtorhalle konzipiert hat.

Nur hat er damals bei der Entwicklung dieses Projektes nicht mit der Flüchtlingssituation gerechnet, nicht mit dieser emotionalen Aufladung der Dixi-Klos. Dennoch geht es dem „Meister des Absurden“ um das Hinterfragen unserer Gefühle und Einstellungen, Ängste und Gedanken bei gewissen Gegenständen des Alltags. Wie gehen wir mit diesen stillen Örtchen unserer Notdurft um? Und wie gehen wir mit dem Raum der Stille, dem Ort für unsere seelische Not um, der Kirche? Auf diese Verlinkung, auf diese Verquickung will uns der 1959 in Meppen geborene HfBK-Professor stoßen, indem er die bunten Toiletten in form einer Kirche anordnet mit Hauptschiff, Seitenschiff, Apsis, an der Decke prangt ein Kranz Toiletten als gewaltiger Kerzenleuchter.

„Look, this one even has a sink to wash hands and this one has a real flush!“. Jenya ist begeistert von dem dargebotenen Komfort und denkt an die rudimentären Plumpsklos in ihrem Camp ohne Waschbecken. Die Kirchen-Assoziation übersteigt das Verständnis der orthodoxen Christin. Auch ich brauche Zeit, um mich dem gedanklichen Überbau dieser Installation hinzugeben, sie nicht zu belächeln, sie nicht abzutun, als kläglichen Ausdruck der Ready made-Kunst.

Sind die Dixis Zeitzeugen unserer Event-Kultur, unserer Spaß-Manie, unserer Aushäusigkeit, unseres Unterwegsseins? Sind wir auf der Flucht vor der Realität in den Spaß, nehmen ständig neue Eindrücke auf und scheiden sie wieder aus? Soll der „Türhüter“ im Titel der Ausstellung auf den Hüter der Schwelle anspielen, der uns im christlichen Glauben nach dem Tod beim Eintritt ins ewige Leben empfängt?

Es ist gespenstig still hier. Nur sieben Besucher streifen durch die sakrale Anordnung aus Plastik. Jenyas Telefon klingelt, eine Mitbewohnerin vom Camp ruft an. Ihr Sohn habe sich in einem Dixi-Klo eingeschlossen, kommt nicht mehr heraus und weint.

„Das Ü des Türhüters“, Amdreas Slominski, 14. Mai – 21. August,
Halle für aktuelle Kunst
Deichtorstraße 1 − 2
20095 Hamburg
Dienstag bis Sonntag: 11 − 18 Uhr
Jeden 1. Donnerstag im Monat: 11 − 21 Uhr (außer an Feiertagen)

  

Deichtorhallen Hamburg, Andreas Slominski Foto: Henning Rogge

5 Bilder: Deichtorhallen Hamburg, Andreas Slominski Foto: Henning Rogge

Author: Julia Engelbrecht-Schnür

Journalistin

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