Der eingebildete Kranke an der Schaubühne Berlin

Der eingebildete Kranke - Schaubühne Berlin © Holger Jacobs

Der eingebildete Kranke an der Schaubühne Berlin

 

Von Camilla Hertz

26.1.2017

Am 18. Januar feierte „Der eingebildete Kranke“ von Moliére, inszeniert von Michael Thalheimer in der Schaubühne seine Premiere. Der Protagonist Argan (Peter Motzen) leidet unter seinem hypochondrischen Wahn, der ihm gleichzeitig viel Aufmerksamkeit, Zeit und Lust beschert. Dabei ist er „kränker als krank“ und vollkommen gefangen in seinen angeblichen somatischen Erkrankungen sowie seiner Egomanie.

Die gesamte Vorstellung findet in einem weißen und scheinbar schwebenden Kubus aus weißen Fliesen statt. Steril und eng wirkt das Setting vor schwarzem Bühnenhintergrund und erinnert an eine psychiatrische Zelle.

Die Inszenierung ist überzeichnet und zwar auf allen Ebenen. Die Kostümierung erscheint grotesk, barockartig, höchst sexualisierend und lächerlich. Argan tritt in verschiedensten Rosatönen auf und trägt eine lange Unterhose, die sein vollkommen übergroßes Skrotum zur Schau stellt. Anfangs fragt man sich unweigerlich als Zuschauer, ob er im Schritt tatsächlich eine Erkrankung habe. Im Verlauf des Stückes entpuppt sich das Skrotum jedoch als Geldsack, aus dem seine manierierte und geldgierige Frau die Geldscheine an sich reißt.

Im männlichen Geschlechtsorgan liegt also das Geld – interessant…!

Ein Heer von Ärzten, seine Töchter, seine zweite Ehefrau und die Krankenschwestern scharwenzeln um Argan herum, sodass der sowieso schon enge Bühnenraum noch kleiner erscheint. Jeder scheint in seinem Egoismus aufzugehen, sodass der Mensch an sich dem Zuschauer nicht als Freund präsentiert wird.

Die Inszenierung ist ein Schauspiel für fast alle Sinneskanäle. Auf der Bühne wird gestöhnt, geächzt, gefurzt, gejammert und geklagt. Anfangs erscheint Argan in einem Rollstuhl gekauert und gleichzeitig thronend und erbricht sich als Erstes in seinen Schoß. Es folgt Blut, was in sämtliche Richtungen auf die sterilen Kacheln gespritzt wird, um die weiße Zelle zu besudeln. Argan kotet in seine Windel, die danach dem Publikum ausgiebig präsentiert wird.

Als Zuschauer drückt man sich unweigerlich tief in seinen Sitz, um etwas weiter weg vom Geschehen zu sitzen.

Als dann Argans Bruder als mumifizierter Tod auftritt, erscheint das groteske Gruseln komplett. Man möchte dem vor sich hin blutenden und leidenden Wesen helfen und gleichzeitig schnell aus dem Gesichtsfeld rücken.

Begonnen und beendet wird das Stück mit dem Gedicht „Die Hölle“ von Andreas Gryphius. Argan steht, nachdem er alle weggescheucht hat, einsam und leidend in dem gekachelten Kubus und scheint das Publikum mit den letzten Worten „Oh Mensch! Verdirb, um hier nicht zu verderben!“ von oben herab zu ermahnen.

Eine Komödie im klassischen Sinne ist die Inszenierung von Thalheimer an der Schaubühne nicht. Doch in Anbetracht, dass Moliére, der Argan selbst spielte, nach seiner vierten Vorstellung verstarb, erscheint dies auch richtig so. Nach fast zwei Stunden großartiger Schauspielkunst Peter Moltzens genügt mir dann die Präsenz jeglicher Körpersekrete – ein groteskes und zum Nachdenken anregendes Schauspiel.

Schaubühne am Lehniner Platz
Kurfürstendamm 153
10709 Berlin

Regie: Michael Thalheimer
Bühne: Olaf Altmann
Kostüme: Michaela Barth
Musik: Bert Wrede
Dramaturgie: Maja Zade
Licht: Norman Plathe

nächste Vorstellungen: 13., 14., 15., 16. Februar und 8., 9., 10., 11., 12. März 2017

37 Bilder: Angelique (Alina Stiegler), „Der eingebildete Kranke“ von Molière, Schaubühne Berlin © Holger Jacobs

Author: Camilla Hertz

Studentin der Psychologie auf der MSB Medical School Berlin, Masterstudiengang

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