Die Verdammten nach Visconti im Berliner Ensemble

Die Verdammten - Berliner Ensemble, Foto: Matthias Horn

Die Verdammten nach Visconti im Berliner Ensemble

 

Von Gil Jung

18.11.2018

english text

Das filmische Vermächtnis von Luchino Visconti auf der Bühne des Berliner Ensemble

Beinahe 50 Jahre alt ist das Meisterwerk des großen italienischen Regisseurs. Heute erinnern sich fast nur noch ausgemachte Cineasten an den einst so gefeierten Visconti, der als Conte DonLuchino Visconti di Modrone 1906 das Licht der Welt erblickte. Genau diese verdankt ihm unvergessliche Werke wie „Rocco und seine Brüder“ (mit dem jungen Alain Delon), „Der Leopard“ (mit Burt Lancaster“) und eben jene „Verdammten“. Der Film ist ein schonungsloses Portrait einer deutschen Industriellenfamilie, die sich durch bösartige Intrigen, abgrundtiefen Hass und politische Verstrickungen während der Jahre der NS-Diktatur auf ewige Verdammnis ihr eigenes Grab schaufelt und andere bereitwillig mit ins Verderben zieht. Eine Geschichte mit großem Tiefgang und historischer Unterfütterung.

Viscontis fulminantes Oeuvre von 1969, mit Weltstars besetzt wie Dirk Bogard, Charlotte Ramplin, Helmut Griem und einem brillanten Helmut Berger in der Rolle seines Lebens, dient nun als Vorlage für David Böschs gleichnamige Inszenierung am Berliner Ensemble. Das an Shakespears Macbeth angelehnte Theaterstück, das sich die deutsche Industriellenfamilie Krupp zum Vorbild genommen haben soll, vermeidet es in der Theaterfassung von David Bösch allerdings, Parallelen zur aktuellen Zeit zu ziehen, was ein bisschen schade ist. Vorlagen hätte es mehr als genug gegeben.

Es ist 1933 und der Geburtstag des Patriarchen Joachim von Essenbeck (Wolfgang Michael) der die Familie rund um die große Tafel zusammenbringt. Zur Pflichtveranstaltung mit artigen Darbietungen der kleinen Enkelinnen, findet sich auch Konstantin von Essenbeck ein (Robert Kuchenbuch), der ungeliebte Sohn Joachims. Dessen Manko besteht darin, dass nicht er im Krieg gefallen ist, sondern sein älterer Bruder. Gepeinigt von der Verachtung des Vaters, tut es Konstantin ihm gleich mit seinem eigenen Sohn Günther (Owen Peter Read) – ein liberaler, musikalischer Feingeist, der von den karrieristischen Absichten des Vaters, einmal die Familienimperiums übernehmen zu müssen, malträtiert wird. Pflichterfüllung und Firmentreue bis in den Tod ist Konstantins Wegweiser, zudem der Flirt mit dem Faschismus.

Als bekannt wird, dass der Reichstag brennt, entzweit sich die Runde. Da ist Wolf von Aschenbach (Martin Rentzsch, im Film gespielt von Helmut Griem)) auf der faschistischen Seite: ein ranghoher Nazi, Cousin der Familie, böse, intrigant und manipulativ.
Seine Marionette ist Friedrich Bruckmann (Peter Moltzen, im Film gespielt von Dirk Bogarde). Er leitet als Geschäftsführer die Firma und ist Liebhaber der verwitweten Sophie von Essenbeck (eiskalt und wunderbar gespielt von Corinna Kirchhoff, im Film Ingrid Thulin).
Bruckmann ist bereit für Sophie und für die Macht über Leichen zu gehen.
Sein erstes Opfer ist der aufrechte Herbert Thalmann (Maik Solbach), dem Bruckmann den Mord an Joachim von Essenbeck in die Schuhe schiebt. Den jedoch hat Bruckmann am Ende des Abends erschossen, um den Weg für sich und Sophie freizuräumen.
Thalmann, der sich für die Demokratie und gegen die Judenverfolgung einsetzt, muss nun selber fliehen. Seine Frau Elisabeth Thalmann-von Essenbeck (Sina Martens, im Film gespielt von Charlotte Rampling) bleibt zurück, endet aber durch die Boshaftigkeit von Sophie von Essenbeck mit ihren beiden kleinen Mädchen im KZ.

Und da ist noch Martin, der letzte Erbe des Imperiums, einziger Sohn von Sophie von Essenbeck und die schillernste und verstörenste Figur des Abends. Im Film verleiht ihm Helmut Berger mit viel irrem Pathos Unsterblichkeit. Auf der Bühne tut es ihm Nico Holonics gleich – schwadronierend, monologisierend, schwarz vor Grausamkeit und ohne jedes Mitgefühl. Auch er wird eine weitere Marionette in den Händen des NS-Mannes von Aschenbach, der die Schuld Martins am Selbstmord eines kleinen Mädchens geschickt für sich nutzt, um Bruckmann aus dem Weg zu räumen. Wie schon auf der Leinwand rächt sich Martin an den grausamen Demütigungen seiner Mutter und bricht sie, indem er sie vergewaltigt, bevor er auch sie und Bruckmann nach einer grotesken Hochzeitszeremonie gemeinsam in den Freitod treibt.

David Bösch hat an großen Opernhäusern in München, Dresden, Antwerpen und London inszeniert, bevor er sich Viscontis verstörende Analyse einer korrumpierten und politisch instabilen Gesellschaft angenommen hat. Luchino Visconti hat einer der dunkelsten Stunden deutscher Vergangenheit mit den „Verdammten“ ein Mahnmal gesetzt, wohin Macht, Gier und falsches Politikverständnis führen können. Wie das ganze Volk, so geht auch diese Familie an ihrer Überheblichkeit und ihrer Verachtung zugrunde und ihrer Überschätzung der eigenen Rolle als Mitglieder des Adels und Geld-Adels. Als sich im BE nach gelungener Premiere der Vorhand wieder und wieder hebt, liegt es nicht nur am Kunstblut in den Gesichtern der auf der Bühne Verstorbenen, dass die Gesichter der Mimen doch sehr düster sind. Harter Tobak, die Verdammten.

„Die Verdammten“
Regie: David Bösch
Bühne: Patrick Bannwart
Kostüme: Moana Stemberger
Musik: Karsten Riedel
Video: Bert Zander
Licht: Ulrich Eh
Dramaturgie: Sibylle Baschung
Mit: Wolfgang Michael, Martin Rentzsch, Corinna Kirchhoff, Nico Holonics, Peter Moltzen, Robert Kuchenbuch, Owen Peter Read, Sina Martens.

Berliner Ensemble, Bertolt-Brecht-Platz 1: Mitte. Tel.: 030 284080. Nächste Termine: 01.12., 19:30 Uhr; 08.12., 19:30 Uhr; 12.12., 19:30 Uhr. Spieldauer: 1:30 Stunde ohne Pause.

Unsere Bilderserie mit 7 Fotos der Produktion:

7 Photos: „Die Verdammten“, Corinna Kirchhof (Sophie von Essenbeck), Peter Moltzen (Friedrich Bruckmann), Foto: Matthias Horn

english text

The Damned after Visconti in the Berliner Ensemble
From Gil Jung
18/11/2018
The cinematic legacy of Luchino Visconti on the stage of the Berliner Ensemble

Almost 50 years old is the masterpiece of the great Italian director. Today, almost exclusively cineastes remember the once so celebrated Visconti, who saw the light of day in 1906 as Conte Don Luchino Visconti di Modrone. It is precisely this that gives him unforgettable works such as „Rocco and his brothers“ (with the young Alain Delon), „The Leopard“ (with Burt Lancaster), „Death in Venice“ (with Dirk Bogarde) and those „Damned“ ones (1969). The film is a ruthless portrait of a German industrialist family, who through malicious intrigue, profound hatred and political involvement during the years of the Nazi dictatorship dig their own grave on eternal damnation and willingly pull others to ruin. A story with great depth and historical relining.

Visconti’s fulminant oeuvre, featuring stars such as Dirk Bogard, Charlotte Ramplin, Helmut Griem and a brilliant Helmut Berger in the role of his life, now serves as a model for David Bösch’s eponymous production at the Berliner Ensemble. However, the play based on Shakespear’s Macbeth, which the German industrialist family Krupp is said to have taken as a model, avoids drawing in the theatrical version of David Bösch’s parallels with the current era, which is a bit of a pity. Templates would have been more than enough.

It is 1933 and the birthday of the patriarch Joachim von Essenbeck (Wolfgang Michael) who brings together the family around a big blackboard. Constantine von Essenbeck (Robert Kuchenbuch), the unloved son of Joachim, is also compulsory with compulsory performances by the little granddaughters. Its shortcoming is that he did not fall in the war, but his older brother. Tormented by the contempt of his father, Konstantin does the same with his own son Günther (Owen Peter Read) – a liberal, musical delicacy who is maltreated by the father’s careerist intentions of having to take over the family empire. Duty to duty and loyalty to death is Constantine’s signpost, also flirting with fascism.

When it becomes known that the Reichstag is on fire, the rounds split. There is Wolf von Aschenbach (Martin Rentzsch, in the movie played by Helmut Griem)) on the fascist side: a senior Nazi, cousin of the family, evil, scheming and manipulative. His puppet is Friedrich Bruckmann (Peter Moltzen, in the movie played by Dirk Bogarde). He directs the company as managing director and is lover of the widowed Sophie von Essenbeck (ice cold and wonderful played by Corinna Kirchhoff, in the movie Ingrid Thulin). Bruckmann is ready for Sophie and for the power to go over dead bodies. His first victim is the upright Herbert Thalmann (Maik Solbach), the Bruckmann pushes the murder of Joachim von Essenbeck in the shoes. However, Bruckmann shot him dead at the end of the evening to clear the way for himself and Sophie. Thalmann, who is committed to democracy and the persecution of the Jews, now has to flee himself. His wife Elisabeth Thalmann-von Essenbeck (Sina Martens, in the movie played by Charlotte Rampling) remains behind, but ends with the wickedness of Sophie von Essenbeck with her two little girls in the concentration camp.

And there is Martin, the last heir of the Empire, the only son of Sophie von Essenbeck and the most dazzling and devastated figure of the evening. Helmut Berger immortalizes him in the film with a lot of crazy pathos. On stage, Nico Holonics equates him – raving, monologizing, black with cruelty and without any compassion. He will also be another puppet in the hands of the Nazi man of Aschenbach, who uses the blame Martin’s suicide of a little girl for himself to clean Bruckmann out of the way. As on screen, Martin takes revenge on his mother’s cruel humiliations and breaks them by raping her before he and Bruckmann, after a grotesque wedding ceremony, together commit suicide.

David Bösch staged at major opera houses in Munich, Dresden, Antwerp and London, before accepting Visconti’s disturbing analysis of a corrupt and politically unstable society. Luchino Visconti has set a memorial to one of the darkest hours of German history with the „damned“, where power, greed and a wrong understanding of politics can lead. Like all the people, this family is destroyed by their arrogance and contempt, and their overestimation of their role as members of the nobility and money nobility. As the BE raises again and again in the BE after a successful premiere of the forehand, it is not just the fake blood on the faces of those who died on stage that makes the faces of the mimes very gloomy. Hard Tobak, the damned.

„The Damned“ Director: David Bösch Stage: Patrick Bannwart Costumes: Moana Stemberger Music: Karsten Riedel Video: Bert Zander Lighting: Ulrich Eh Dramaturgy: Sibylle Baschung With: Wolfgang Michael, Martin Rentzsch, Corinna Kirchhoff, Nico Holonics, Peter Moltzen, Robert Cake book, Owen Peter Read, Sina Martens.

Berliner Ensemble, Bertolt-Brecht-Platz 1: Mitte. Tel .: 030 284080. Next appointments: 01.12., 19:30; 08.12., 19:30; 12.12., 19:30. Playing time: 1:30 hour without a break.

Author: Gil Jung

Journalistin und Public Relation Managerin, schrieb viele Jahre für die Lifeystyle-Seite der Welt am Sonntag

Cookies help us deliver our services. By using our services, you agree to our use of cookies.