Emil Nolde – Nazi, Genie oder beides?

Emil Nolde - Das verlorene Paradies, 1921 @ Stiftung Emil Nolde

Emil Nolde – Nazi, Genie oder beides?

 

Von Holger Jacobs

12.04.2019

english text

Nazi oder Genie? Emil Noldes Leben und Werk in neuer Betrachtung

Von heute an zeigt das Museum Hamburger Bahnhof in der Funktion als Ausweichort für die in der Renovierung befindliche Neue Nationalgalerie eine umfangreiche Ausstellung mit Arbeiten des berühmten Vertreters des deutschen Expressionismus, Emil Nolde.

Neben den zahlreichen Ausstellungen mit Arbeiten von Emil Nolde (zurzeit läuft noch eine im Kunstmuseum Moritzburg in Halle zum Thema „Marc, Macke, Nolde“) möchte die Nationalgalerie in Berlin auf die Frage eingehen, wie das Verhältnis von Emil Nolde zu den Nationalsozialisten im Dritten Reich war und wie es dieses Verhältnis seine Kunst beeinflusst hat.

Emil Nolde wurde 1867 im nordfriesischen Tondern, nahe der dänischen Grenze geboren. Als Kind einer Bauernfamilie war seine Jungend mit vielen Entbehrungen verbunden. Als junger Mann besuchte er eine Kunstgewerbeschule in Flensburg und arbeitete später als Schreiner und Zeichner in München, Karlsruhe und Berlin. Einige Zeit konnte er als Zeichenlehrer in St. Gallen arbeiten. Doch vergeblich bewarb er sich auf der Kunstakademie in München.

Die Künstlergruppe Brücke in Dresden, bzw. Berlin, wurde auf Grund seiner speziellen Malweise mit starken Farben und verfremdeten Formen auf ihn aufmerksam. Für knapp 2 Jahren wurde er ein Mitglied der Gruppe, neben Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff.

In den 1910er Jahren wurden die Arbeiten von Emil Nolde immer bekannter. Er konnte seine Bilder in Ausstellungen in Hamburg, Essen und Hagen zeigen. Sogar die Berliner Nationalgalerie erwarb 1929 zwei Gemälde von ihm.

Unser Video von der EMIL NOLDE Ausstellung im Brücke Museum 2016:

Seine Verkaufserfolge erlaubten ihm im Jahre 1926 ein Grundstück bei Niebüll zu erwerben, auf dem er sich ein Wohn- und Atelierhaus, genannt Seebüll, erbaute.
Heute dient dieses Anwesen als Stiftung und Ausstellungsort für eine Vielzahl von Bildern Emil Noldes.
Für die jetzige Ausstellung im Hamburger Bahnhof kamen allein 93 Arbeiten von den insgesamt 98 ausgestellten aus Seebüll.

Die Machergreifung der Nationalsozialisten im Januar 1933 bedeutete eine radikale Wende im gesamten Kunstbereich Deutschlands.
Jede neue Kunstrichtung, die sich in den letzten 20 Jahren entwickelt hatte, wie der Konstruktivismus, Expressionismus, Kubismus, Fauvismus, Surrealismus und Neue Sachlichkeit wurden von Adolf Hitler und seinen Schergen abgelehnt.
Das Kunstverständnis der Nazis hörte praktisch mit dem Klassizismus des 19. Jahrhunderts auf.

Doch es reichte Hitler und Göbbels nicht die unliebsame Kunst nur zu diffamieren, die Künstler der oben genannten Stilrichtungen, wie Ernst Ludwig Kirchner, Oskar Kokoschka, Max Beckmann, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Pablo Picasso, Oskar Schlemmer bekamen Malverbot oder zumindest ein Verkaufsverbot ihrer Werke.
Die Arbeiten dieser Künstler wurden, soweit sie sich bereits im Besitz von Museen und öffentlichen Einrichtungen befanden, beschlagnahmt, verbrannt, ins Ausland verkauft oder als Sinnbild „entarteter“ Kunst in einer großen Ausstellung unter gleichem Namen in ganz Deutschland gezeigt.

Die Ausstellung „ENTARTETE KUNST“ mit 650 konfiszierten Arbeiten aus 32 deutschen Museen wanderte in den Jahren 1938 – 41 von München über Wien, Salzburg, Leipzig, Düsseldorf, Hamburg, Frankfurt, Halle bis nach Berlin.
Bis heute bleibt sie die mit über 2 Millionen Besuchern meistgesehene Ausstellung weltweit.

Katalog ENTARTETE KUNST, 1937

Emil Nolde hatte nach der Machtergreifung Hitlers schnell gespürt, dass nun nicht mehr die künstlerische Freiheit der 20er Jahre vorherrschte, sondern das Kunstverständnis einiger Zurückgebliebener.
So ließ er sich dazu überreden, bereits 1934 seine Unterschrift unter ein Pamphlet zugunsten des Führers zu setzen. Im gleichen Jahr trat er in die NSDAP ein. Und seinen rassistischen, antijüdischen Gefühlen, die er wohl schon lange gehegt hatte, ließ er nun freien Lauf, wie in seinen Autobiographien aus den 30er Jahren zu lesen war.
Zunächst konnte er auch einige Nazis für sich gewinnen, doch die konservativen Strömungen bei den Nationalsozialisten setzten sich schließlich durch, so dass 1937 auch Werke von Emil Nolde beschlagnahmt und auf der Ausstellung „ENTARTETE KUNST“ gezeigt wurden. Selbst ein Schreiben an Joseph Goebbels mit den Worten „Den Nationalsozialismus verehre ich als die besondere und jüngste Staatform…“ konnte nichts daran ändern, dass er 1941 aus der Reichskammer der bildenden Künsteausgeschlossen wurde.

Der Ausschluss aus der Reichskammer für bildende Künste bedeutete zwar kein Malverbot (wie später fälschlich angenommen wurde), aber ein Verkaufs- und Ausstellungsverbot. Trotz dieser Restriktionen ist nicht bekannt, dass Emil Nolde sich bis Kriegsende vom Nationalsozialismus abgewandt hätte. Allerdings blieb er weiterhin bei seinem expressionistischem Malstil und begann deshalb heimlich in seinem Wohnhaus die so genannten „Ungemalten Bildern“ zu verwirklichen, kleine, auf DINA4 Größe reduzierte Aquarelle, die leicht zu verstecken waren und die er nach einem Ende des Verkaufsverbotes auf große Leinwand übertragen wollte (siehe auch unsere Bilderserie).
Dieser Serie kleiner Aquarelle ist ein ganzer Abschnitt der Ausstellung im Hamburger Bahnhof gewidmet.

Hier unsere Bilderserie mit den Aquarellen der „UNGEMALTEN BILDER“:

12 Photos: Aquarelle der „UNGEMALTEN BILDER“, 1940er Jahre © Nolde Stiftung Seebüll

Die Entnazifizierung in der Nachkriegszeit konnte Emil Nolde ohne große Probleme überstehen, war doch allgemein bekannt, dass seine Werke bei den Nazis als „entartet“ galten. Seine autobiographischen Schriften mit den antisemitischen Äußerungen ließ er für eine Neuauflage verändern und die kritischen Passagen entfernen. So gerieten seine Anbiederungen an die Nazis und seine rassistische Gesinnung schnell in Vergessenheit.

Nur so ist es zu verstehen, dass ihm im Nachkriegsdeutschland gleich mehrere Preise verliehen wurden.

Fazit: Auch die heutige #MeToo Debatte zeigt, dass große Genies und wahre Künstler häufig in ihrem Privatleben nicht die sympathischen Personen sind, die wir auf Grund ihrer herausragenden Werk annehmen möchten.
Und ich muss zugeben: Ich liebe die Bilder von Emil Nolde. Egal, was für ein Mensch er gewesen sein mag.

„EMIL NOLDE“ – Eine deutsche Legende – Der Künstler im Nationalsozialismus
12.04. – 15.09.2019
Museum Hamburger Bahnhof
Invalidenstrasse 1, 10557 Berlin
Di – Fr 10 – 18 Uhr, Sa + So 11-18 Uhr, Do -20 Uhr

Hier unsere Bilderserie mit den großen Gemälden der Ausstellung:

15 Photos: „Familie“, 1931, Emil Nolde © Nolde Stiftung Seebüll, Foto: Holger Jacobs

English text

Emil Nolde – Nazi, genius or both?
By Holger Jacobs
04/12/2019
Nazi or genius? Emil Nolde’s life and work seen in a new exhibition in Berlin.
From now on, the Museum Hamburger Bahnhof will exhibit an extensive exhibition with works by the famous representative of German Expressionism, Emil Nolde, as an alternative location for the Neue Nationalgalerie under renovation.
In addition to the numerous exhibitions of works by Emil Nolde (currently running another in the Moritzburg Art Museum in Halle on „Marc, Macke, Nolde“) would like to address the question of how the relationship of Emil Nolde to the Nazis in the third Empire was and how this relationship influenced his art.
Emil Nolde was born in 1867 in the North Frisian Tønder near the Danish border. As a child of a farming family, his youth was associated with poverty. As a young man, he attended a school of applied arts in Flensburg and later worked as a carpenter and draftsman in Munich, Karlsruhe and Berlin. For some time he worked as a drawing teacher in St. Gallen/ Swizerland. But in vain he applied to the art academy in Munich.
The artist group Brücke in Dresden/ Berlin, became aware of him due to his special style of painting with strong colors and alienated forms. For almost two years he became a member of the group, in addition to Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel and Karl Schmidt-Rottluff.
In the 1910s, the work of Emil Nolde became more popular. He was able to show his pictures in exhibitions in Hamburg, Essen and Hagen. Even the Berlin National Gallery acquired two paintings by him in 1929.
His sales successes allowed him in 1926 to acquire a piece of land near Niebüll, on which he built himself a living and studio house, called Seebüll. Today, this estate serves as a foundation and exhibition space for a variety of paintings by Emil Nolde. For the current exhibition in the Hamburger Bahnhof 93 of 98 works came from Seebüll.

The seizure of power by the National Socialists in January 1933 meant a radical change in the entire field of art in Germany.
Any new art movement that had developed in the last 20 years, such as Constructivism, Expressionism, Cubism, Fauvism, Surrealism, and New Objectivity, was rejected by Adolf Hitler and his henchmen. The Nazi understanding of art ceased at classicism of the nineteenth century.
But it was not enough for Hitler and Göbbels to defame the unpleasant art, the artists of the above mentioned styles, such as Ernst Ludwig Kirchner, Oskar Kokoschka, Max Beckmann, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Pablo Picasso, Oskar Schlemmer, were banned from painting or at least banned from selling them works. The works of these artists, as far as they were already in possession of museums and public institutions, were confiscated, burned, sold abroad or shown as a symbol of „degenerate“ art in a large exhibition under the same name throughout Germany.
The exhibition „ENTARTETE KUNST“ with 650 confiscated works from 32 German museums wandered from Munich to Vienna, Salzburg, Leipzig, Dusseldorf, Hamburg, Frankfurt, Halle and Berlin in the years 1938 – 41. To this day, it remains the most-watched exhibition worldwide with more than 2 million visitors.
After the seizure of power by Hitler, Emil Nolde had quickly felt that it was no longer the artistic freedom of the 1920s that prevailed, but the konservativ understanding of art of some of the retarded. So he was persuaded to put his signature in 1934 under a pamphlet in favor of the „Führer“. In the same year he joined the NSDAP party. And his racist, anti-Jewish feelings, which he had probably cherished for a long time, he let loose, as could be read in his autobiographies from the 30s. At first he was able to persuade some Nazis for his work, but the conservative currents with the National Socialists won, so that in 1937 also works by Emil Nolde were confiscated and shown at the exhibition „ENTARTETE KUNST“. Even a letter to Joseph Goebbels with the words „I admire National Socialism as the special and youngest form of government …“ could not change the fact that in 1941 he was expelled from the Reichskammer der Bildenden Künste.
Exclusion from the Reichskammer für Bildende Künste did not mean a ban on painting (as falsely assumed later), but a ban on selling and exhibiting. Despite these restrictions, it is not known that Emil Nolde turned away from National Socialism until the end of the war. However, he continued to stick to his expressionist style of painting and therefore secretly began to realize in his home the so-called „Unpainted Pictures“, small, reduced to DINA4 size, paint with watercolors, which were easy to hide and which he transferred after the cessation of sales on large screen (see also our picture series).
This series of small watercolors „UNPAINTED PICTURES“ is dedicated to a whole section of the exhibition at Hamburger Bahnhof.
The post-war denazification was easily overcome by Emil Nolde, who was well known that his works were considered „degenerate“ by the Nazis. He had his autobiographical writings with the anti-Semitic remarks changed for a new edition and remove the critical passages. Thus his allegiance to the Nazis and his racist sentiment quickly fell into oblivion.
Only then is it to be understood that he was awarded several prizes in post-war Germany.
Conclusion: Even today’s #MeToo debate shows that great geniuses and true artists are often in their private lives not the sympathetic persons we want to accept because of their outstanding work. And I have to admit: I love the pictures of Emil Nolde. No matter what kind of person he may have been.
„EMIL NOLDE“ – A German legend – The artist in National Socialism
12.04. – 15.09.2019
Museum Hamburger Bahnhof
Invalidenstrasse 1, 10557 Berlin
Tues – Fri 10am – 6pm, Sat + Sun 11am – 6pm, Thu -8 pm

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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