Hamburg – Die Zauberflöte – Hysteria – Wut/Rage

Hysteria - Deutsches Schauspielhaus Hamburg @ David Balzer

Hamburg – Die Zauberflöte – Hysteria – Wut/Rage

 

Von Julia Engelbrecht-Schnür

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29.09.2016

Der Hamburger Kulturherbst startete vielversprechend.

Die großen Bühnen an Alster und Elbe warteten mit Namen wie Elfriede Jelinek, Luc Bunuel, Simon Stephens und Mozart auf.
Auch die Themen überzeugten aufgrund ihrer Aktualität:
In „Rage/Wut“ am Thalia Theater geht es um den „kollektiven Bewusstseinsstrom einer europäischen Gegenwart“.
In dem Stück „Hysteria“ am Deutschen Schauspielhaus mutiert eine Einzugsparty aufgrund von Angst und Fremdenhass zur Gewaltorgie.
An der Oper erwartet die gespannten Hamburger eine frische Inszenierung der Zauberflöte durch Regisseurin Jette Steckel.
Drei Premieren innerhalb einer Woche, das ist viel, vor allem, wenn der kulturelle Genuß eher spärlich ausfällt.
Doch allen drei Inszenierungen fehlt das Herzblut, die Seele. Statt überzeugende Bilder wird an Theater und Oper vor allem entseelte, plakative Klischeeoptik auf die Bühne gebracht.

 

Thalia Theater Hamburg

„Wut/Rage“

In diesem Stück am Thalia Theater verschränkt Regisseur Sebastian Nübling einen gewaltigen Textstrang von Elfriede Jelinek mit szenischen Fragmenten des englischen Dramatikers Simon Stephens, die dieser während „des aufgeheizten Wahlkampfes zum Brexit Referendum“ schrieb. Der reflektierende Jelinek-Monolog und Stephens Snapshots wechseln sich ab, ohne sich jedoch wesentlich zu ergänzen und ohne die im Programmheft gedruckte Frage: In was für einem Europa wollen wir leben? spürbar zu stellen.

Während die von Drogen enthemmte Jugend in exzessiver Selbstverliebtheit an einander vorbei monologisiert und sich in kleinkindhaftem Wutgeschrei volluriniert, entwickelt Karin Neuhäuser routiniert Jelineks Gedankengeflecht angesichts islamischer Terrorgewalt. Da sind bestechende Sätze wie: „Wir müssen uns doch wehren. Am besten wehren wir uns gleich vorher“ oder „Wir sind die Selbsterschaffenen. Wir brauchen keine Götter. Wir lassen uns nicht belehren“, die den demagogischen Zustand einer von Protest und Angst bestimmten Gesellschaftsschicht beleuchten. Doch leider entwickelt sich kein Bühnengeschehen, dem der Zuschauer folgen mag. Es bleibt bei einem nörgelnden Sittengemälde einer Großstadtjugend voller Klischees, die ihre Entsprechung in der Realität nicht finden kann.

Thalia Theater Hamburg

Thalia Theater Hamburg

 

Hamburger Schauspielhaus

„Hysteria“

Thematisch verwandt geriert sich das Bühnengeschehen am Deutschen Schauspielhaus, wo Karin Beier, die zuletzt mit ihrer Inszenierung von „Unterwerfung“ mit Edgar Selge überzeugte, ebenfalls eine Gesellschaft in Angst und Schrecken versetzt, inspiriert von dem Filmemacher Luis Bunuel. Das Stück handelt von einer Partygesellschaft in einem gerade bezogenen Glasbungalow, die durch den spontanen Besuch eines nicht erwarteten Nachbarn langsam aber sicher in Hysterie verfällt.

Der hermetische Glasscheiben-Kubus läßt anfangs nur Sprachsegmente nach außen in den Zuschauerraum dringen. Pantomimenhaft bewegen sich die Figuren durch die Räume, die durch eine drehbare Bühne abwechselnd einsehbar sind. Regie und Bühnenbild (Johannes Schütz) greifen hier meisterlich ineinander und befeuern das surreale Geschehen, bis die schwangere Linda (Julia Wieniger) über das Gerede ihrer Hausgäste genervt sagt: „Sinnentleertes Geplapper“ und damit auch den Text dieser Uraufführung entlarvt. Dafür nimmt der drehbare Wohnkubus Fahrt auf, und Linda konstatiert: „Wir erziehen uns dazu, die Katastrophe als natürlich zu betrachten.“

Und in dieser Erkenntnis bleibt das Stück stecken. Es entwickelt sich nichts mehr, die Partytruppe bleibt gefangen hinter den Glasscheiben, gefangen in ihrer Auseinandersetzung, gefangen durch ihr Gefangensein. Punkt. Das unterhält nur mühsam. Das nervt. Aber vielleicht ist es gerade diese Essenz der Ausweglosigkeit, dieser Zustand des Verrücktseins, dem Karin Beier mit der sich um Kopf und Kragen spielenden Truppe nachspüren will. Während sich der Theatergast im Stuhl windet, Blut, Rotz und Schweiß gegen die Scheiben fliegen, tauchen Bilder aus dem Film „Die Wand“ in seiner Erinnerung auf. Wie meisterlich Martina Gedek die Suche aus dem surrealen Gefangensein betreibt, und wie gespannt man ihr dabei folgt. Das Versagen der Menschen allein bleibt eben uninteressant.

"Hysteria" - Deutsches Schauspielhaus Hamburg - Foto: David Baltzer

„Hysteria“ – Deutsches Schauspielhaus Hamburg – Foto: David Baltzer

 

Hamburger Staatsoper

„Die Zauberflöte“

Die Premiere der „Zauberflöte“ von Jette Steckel wurde auf eine Leinwand am Jungfernstieg übertragen. So konnten sich am vergangenen Freitag bei herrlichem Spätsommerwetter auch die sich dort treffenden jungen Flüchtlinge ein Bild von dem musikalischen Highlight aus der Oper machen. Eine schöne Idee. Was den jungen Zuschauern allerdings durch den Kopf ging, als sie auf der Leinwand Sanitäter einen alten Mann aus den Zuschauerreihen tragen sehen, ist leider nicht bekannt. Mit diesem Gag, machte Jette Steckel dem Hamburger Publikum gleich während der Ouvertüre klar: Diese Zauberflöte wird anders. Kein Vogelbauer, kein Federkostüm, keine Flöte, und der herzkranke Zuschauer ist Tamino (Dovlet Nurgeldiyev), dessen Leben als Rückblende auf der Bühne, respektive hinter einem Vorhang aus tausenden LED-Lampen zum Zuge kommt. Und so nimmt das Opernschicksal seinen optischen Lauf voller Gags und Spezialeffekte, indem Tamino als kleiner Junge zwischen Nonnen und einem Fußball in einem Kloster herumtollt.

Ein gelungenes Bild voller Ironie, das kunstvoll auf die mystisch-geistige Komponente in Mozarts Oper anspielt. Was so sinnlich reich beginnt, wird durch das bläuliche Licht des LED-Vorhangs abgekühlt, der es Tamino fortan schwer macht, ein glaubhaftes Liebesgefühl zu entwickeln. In Sweatshirt und Jeans stolpert er neben statt gemeinsam mit Papageno (Jonathan McGovern) durch Paläste und Höllenschluchten, die sich allesamt aus den zuweilen wild flimmernden LED-Strängen erschließen. Florian Lösche greift mit diesem Bühnenbildkonzept zu einer reizvollen Variante, die den Zuschauer als Dauerlösung jedoch ermüdet und bei geschlossenen Augen erleben läßt, wie wunderbar gemütvoll diese Oper doch eigentlich sein möchte. Unter der Leitung von Jean-Christophe Spinosi gelingt es den Philharmonikern fast immer, höhere Klangweihen zu erreichen. Allein die Streicher scheinen verhalten.

Überzeugend schmettert die Königin der Nacht (Christina Paulitsi) die Leidensarie – aus dem Orchestergraben – in eine Kamera, die ihr Konterfei auf die Bühne wirft, so wie bei Sarastro (Andrea Mastroni), dessen digitales Abbild allerdings nichts von der autoritären Güte widerspiegelt, die Mozart ihm zugedachte. In seinen heiligen Hallen schweben dafür Yogis im Schneidersitz, sind die drei Damen auch mal verschleiert, Papageno schleicht gegen Ende wie ein Penner mit Plastiktüte über die Bühne und Pamina ist ergraut vor Kummer, als sie endlich Tamino haben darf und beide wie in einem Nahtod-Tunnel dem hektischen Erden- und Bühnenleben entschwinden.

Ja, es gab auch Buhrufe für diese Zauberflöten-Version. Das kann man nicht anders von einem hanseatischen Publikum erwarten. Aber es gab auch viel Applaus für das kurzweilige und originelle Inszenierungs-Potpourri.

Die Zauberflöte - Staatsoper Hamburg Foto: Arno Declair

Die Zauberflöte – Staatsoper Hamburg Foto: Arno Declair

 

Author: Julia Engelbrecht-Schnür

Journalistin

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