Italienische Nacht in der Schaubühne Berlin

Alina Stiegler und Lauren Laufenberg, Italienische Nacht, Schaubühne Foto: Arno Declair

Italienische Nacht in der Schaubühne Berlin

 

Von Holger Jacobs

24.11.2018

Wertung: 🙂 🙂 🙂 (drei von fünf)

english text

Wie der Faschismus gewinnt und die Sozialdemokratie niedergeht

Hintergrund

Ödön von Horvath (*1901 – †1938) ist einer meiner Lieblingsautoren. Schon deshalb habe ich häufiger über seine Stücke geschrieben, wenn sie in Berlin zur Aufführung kamen. So zuletzt „Glaube, Liebe, Hoffnung“ im Januar 2018 am Maxim Gorki Theater.

Die „Italienische Nacht“ ist weder Horvaths bekanntestes noch sein bestes Werk. Aber es ist in seiner typischen Schreibweise, politische und soziale Probleme in den Vordergrund zu rücken. Als Sohn österreichisch-ungarischer Diplomaten geboren kam er 1919 nach München, schrieb sich dort für Theaterwissenschaften in der Uni ein und begann ab 1920 zu schreiben. Er interessierte sich hauptsächlich für die „kleinen Leute“, soziale Missstände und politische Umbrüche, aber auch für patriarchalische Strukturen in Familie und Gesellschaft. Für mich ist „Geschichten aus dem Wienerwald“ sein bestes Werk.

Handlung und Kritik

Intendant und Regisseur der Schaubühne, Thomas Ostermeier, nimmt sich seid einiger Zeit vermehrt politischer Themen an. Wie zuletzt mit „Professor Bernhardi“ von Arthur Schnitzler (kultur24 berichtete).

Das Politische als vorrangiges Thema ist nachvollziehbar. Seid sich die Welt mit dem Brexit in England, der Wahl Donald Trumps, Putins Einmarsch auf der Krim und dem Wiedererstarken der rechten Populisten in Europa im Umbruch befindet, gibt es überall große Unsicherheit über das, was uns erwartet. Was ist von der Euphorie nach der Wende 1989 geblieben? Der Jubel über das immer größer werdende Europa? Der Vormarsch der Demokratie in der ganzen Welt?

Wie schnell rechte Populisten an Stimmen gewinnen können, sehen wir zurzeit in vielen Staaten Europas.

Genau das ist das Thema von Ödön von Horvaths Drama  „Italieniche Nacht“.

„Italienische Nacht“, Applaus mit Regisseur Thomas Ostermeier (3. v.r.) © Holger Jacobs/kultur24.berlin

Auf der Bühne sehen wir ein Haus mit einer kleinen Kneipe. Wir befinden uns Ende der 2o-er Jahre in Deutschland. Ein paar Mitglieder der sozialdemokratischen Partei (eigentlich die republikanische Partei, aber Ostermeier entscheidet sich hier wohl bewusst für die alte SPD, die sich ja auch in unserer heutigen Zeit im Niedergang befindet) haben sich getroffen und freuen sich auf Ihre „italienische Nacht“, die sie am Abend in dem Lokal zelebrieren möchten. Dabei soll durch Wein, Weib und Gesang der Zusammenhalt gestärkt werden. Da platzt die Nachricht herein, dass am gleichen Tag, nur Stunden früher, die Ortsgruppe der Faschisten hier ihren „Deutschen Tag“ feiern wollen.

SPD-Mitglied Martin und, wie er sich gerne selbst nennt, intellektueller Vorreiter der Gruppe, schickt seine Freundin Anna los, um die Faschisten auszukundschaften. Dabei soll sie einen der Gruppe anmachen, um auf diese Weise geheime Informationen zu bekommen. Doch dieser erweist sich als schlauer Fuchs, umgarnt sie und fällt letztlich über sie her, ohne viel preisgegeben zu haben.

Am Nachmittag kommen mit Unterstützung einer Band die laute Faschistenparty zusammen, so, wie wir das auch in unserer heutigen Zeit kennen.

Am Abend dann die „Italienische Nacht“ der Sozialdemokraten. Doch es gibt große Meinungsunterschiede, der Abend wird immer aggressiver, bis sich die Mitglieder prügelnd am Boden wälzen. Dabei stellt sich heraus, welche schwachen Charaktere hier zusammengekommen sind. Kleingeistigkeit gepaart mit Selbstüberschätzung. Ein gerade zu peinlicher Haufen. Kein Wunder, dass hier eines Tages eine andere Partei mit intelligenter Strategie und überzeugender Propaganda die Oberhand gewinnen wird.

Genau hier wird das Dilemma einer Demokratie sichtbar: Gewinnen tut nicht derjenige, der die gescheiteren Argumente, die größere Moral oder die menschlicheren Attribute hat, sondern der, der mit einem gewissen Charisma  die Massen anspricht, sie mit einfachen Aussagen überzeugt und mit lauten Reden begeistert. Und dabei das Patriotische in den Vordergrund rückt.

Thomas Ostermeier inszeniert dieses spannende Drama leider sehr, sehr langsam. Bis auf die wilden Gesangseinlagen der Faschisten, deren laute Musik die Schmerzgrenze überschreitend in den Zuschauerraum geknallt wird, läuft alles sehr ruhig und fast schon elegisch ab. Wie in Zeitlupe. Das ist mir eindeutig zu schleppend. Mehr Drama hätte ich mir auch im Rhythmus gewünscht. So wurde der 100-minütige Abend ohne Pause etwas lang.

Herausragende schauspielerische Leistung:  Hans-Jochen Wagner als SPD Vorsitzender, den die meisten von uns als Kommissar in verschieden TV-Krimis kennen. Wagner war Schüler der Ernst-Busch Schauspielschule!

Fazit: Erkenntnisreiche Geschichte, die etwas zu lange dauert.

„Italienische Nacht“
Ödön von Horvath
Schaubühne Berlin

Regie: Thomas Ostermeier, Bühne: Nina Wetzel, Kostüme: Ann Poppel, Musik: Nils Ostendorf, Dramaturgie: Florian Borchmeyer, Licht: Urs Schönebaum, Stadtrat: Hans-Jochen Wagner/ Bernd Hölscher, Martin: Sebastian Schwarz, Karl: Christoph Gawenda, Leni: Veronika Bachfischer, Anna: Alina Stiegler, Wirtin: Traute Hoess, Adele: Marie Burchard, Kranz: David Ruland, Betz: Lukas Turtur, Engelbert: Johannes Flaschberger, Ein Kamerad aus Magdeburg: Konrad Singer, Faschist: Laurenz Laufenberg, Genossen von Martin: Juri Padel, Andrej Reimann, Benjamin Schröder, Erste Prostituierte, Gattin: Annedore Bauer, Zweite Prostituierte, Gattin: Inga Wolff

Nächste Vorstellungen: 26., 27. November, 23., 26., 31. Dezember 2018; 4., 5., 6., 7., 8. Januar 2019

Unsere Bilderserie mit 9 Fotos der Produktion:

9Photos: Alina Stiegler (Anna) und Laurenz Laufenberg (Faschist), „Ialienische Nacht“, Öden von Horvath, Schaubühne Berlin, Foto: Arno Declair

english text

Italian night in the Schaubühne Berlin
By Holger Jacobs
24/11/2018
How fascism wins and social democracy goes down
Background
Ödön von Horvath (* 1901 – † 1938) is one of my favorite authors. That’s why I wrote about his plays more often when they were performed in Berlin. So most recently „Faith, Love, Hope“ in January 2018 at the Maxim Gorki Theater.
The „Italian Night“ is neither Horvath’s best known nor his best work. But it is in his typical spelling, political and social problems in the foreground. Born in 1919 to Munich, he enrolled in theater studies at the university and began writing in 1920. He was mainly interested in the „little people“, social ills and political upheavals, but also in patriarchal structures in family and society. For me, „Stories from the Vienna Woods“ is his best work.
Story and critics
Director and director of the Schaubühne, Thomas Ostermeier, is taking on political topics for some time now. As most recently with „Professor Bernhardi“ by Arthur Schnitzler (kultur24 reported).
The political as a priority topic is understandable. With the world in transition with Brexit in England, the election of Donald Trump, Putin’s invasion of Crimea, and the resurgence of right-wing populists in Europe, there is great uncertainty over what awaits us everywhere. What has remained of the euphoria since the reunification in 1989? The jubilation over the ever-growing Europe? The advance of democracy in the whole world?
We are currently seeing how many right-wing populists can win votes in many European countries.
This is precisely the theme of Ödön von Horvath’s drama „Italian Night“.

On the stage we see a house with a small pub. We are in Germany at the end of the 1920s. A few members of the Social Democratic Party (in fact the Republican Party, but Ostermeier deliberately chooses the old SPD, which is also in decline today) have met and are looking forward to their „Italian Night“, the They want to celebrate in the restaurant in the evening. The cohesion should be strengthened by wine, women and song. The message burst in that on the same day, only hours earlier, the local group of fascists here want to celebrate their „German Day“.
SPD member Martin and, as he likes to call himself, an intellectual pioneer of the group, sends his girlfriend Anna to scout the fascists. She should turn on one of the group in order to get secret information in this way. But this proves to be a clever fox, enshrines them and finally falls over them, without having revealed much.
In the afternoon the loud fascist party comes together with the support of a band, just as we know it in our time.
In the evening then the „Italian night“ of the Social Democrats. But there are big differences of opinion, the evening becomes more and more aggressive, until the members roll over on the floor. It turns out, which weak characters have come together here. Small-mindedness coupled with overconfidence. Just too embarrassing. No wonder that one day another party will gain the upper hand with intelligent strategy and convincing propaganda.
This is precisely where the dilemma of a democracy becomes apparent: the one who has the cleverer arguments, the greater moral or the more human attributes does not win, but the one who appeals to the masses with a certain charisma convinces them with simple statements and enthuses with loud speeches , And while the patriotic comes to the fore.
Unfortunately, Thomas Ostermeier staged this exciting drama very, very slowly. Except for the wild vocal deposits of the fascists, whose loud music, the pain threshold is exceeded popping into the auditorium, everything is very quiet and almost elegiac from. As in slow motion. This is clearly too slow for me. I would have wished more drama in the rhythm. So the 100-minute evening without a break was a bit long.
Outstanding as an actor: Hans-Jochen Wagner as SPD chairman, whom most of us know as commissioner in various TV crime thrillers. Former student of Ernst-Busch drama school!
Conclusion: insightful story that takes a bit too long.
„Italian Naxht“ Ödön von HorvathSchaubühne Berlin
Director: Thomas Ostermeier, Stage: Nina Wetzel, Costumes: Ann Poppel, Music: Nils Ostendorf, Dramaturgy: Florian Borchmeyer, Light: Urs Schönebaum, City Councilor: Bernd Hölscher, Martin: Sebastian Schwarz, Karl: Christoph Gawenda, Leni: Veronika Bachfischer, Anna: Alina Stiegler, landlady: Traute Hoess, Adele: Marie Burchard, Wreath: David Ruland, Betz: Luke Turtur, Engelbert: Johannes Flaschberger, A Comrade from Magdeburg: Konrad Singer, Faschist: Laurenz Laufenberg, Comrades of Martin: Yuri Padel, Andrej Reimann, Benjamin Schröder, First prostitute, Wife: Annedore Bauer, Second prostitute, Wife: Inga Wolff
Next performances: 26., 27. November, 23., 26., 31. December 2018; 4th, 5th, 6th, 7th, 8th January 2019

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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