Nabucco in der Hamburger Staatsoper

Nabucco - Staatsoper Hamburg - Oksana Dyka Foto: Brinkhoff/ Mögenburg

Nabucco in der Hamburger Staatsoper

 

von Dagmar Loewe

11.03.2019

english text

Eine Inszenierung von einem Regisseur der in Moskau unter Hausarrest steht.
Und ein Gefangenenchor aus real existierenden syrischen Flüchtlingen.

Hintergrund

Beim ersten Planungsgespräch des Hamburger Opernintendanten Georges Delnon mit dem heute 49-jährigen Regisseur Kirill Serebrennikow für das Projekt Nabucco war Serebrennikow noch in Freiheit. Als es jedoch an die Realisierung der Inszenierung ging, saß der bereits seit Monaten unter Hausarrest in seiner 33 m² Wohnung in Moskau, angeklagt für angeblich veruntreute Kultursubventionen von über 1 Million €.

Wie inszeniert man eine Oper, wenn der Regisseur 2000 km entfernt ist, 2 Stunden Freigang am Tag hat und keinen Internetanschluss oder Telefon in seiner Wohnung?

Kirill Serebrennikow © Oper Stuttgart

Kirill Serebrennikows Anwalt, Evgeni Kulagin, fungierte deshalb als Mittelsmann und Co-Regisseur, indem er die Verbindung nach Moskau aufrecht erhielt und mit einem Handy gefilmte Proben dorthin übermittelte. Serebrennikow erhielt sie auf einem USB – Stick und schickte seine Anweisungen und Änderungen zur Dramaturgie auf dem gleichen Weg zurück. Kein einfaches Unterfangen, aber es hat funktioniert und wurde eine ausgesprochen intelligente und spannende Inszenierung.

Kritik

Wir sehen den großen Sitzungssaal des Hauptquartiers des UN– Sicherheitsrats. Die Oper, die auch im Original von Flucht und Vertreibung handelt, wird an die jetzigen Orte vergleichbarer Geschehnisse verlegt.

Im Hauptquartier der Vereinten Nationen: Der babylonische Despot Nabucco wird hier zum zeitgenössischen Tyrannen, dessen Partei sich „Einiges Assyrien“ nennt- man kann nicht umhin, Anspielungen auf Trump, Putin und weitere Gestalten der Jetztzeit zu erkennen.

„Nabucco“ war Verdis dritte Oper und wurde 1842 in der Mailänder Scala uraufgeführt. Ort der Handlung ist Babylon und Jerusalem ca. 600 v. Christi Geburt. Der Name „Nabucco“ bezieht sich dabei auf den damaligen Herrscher von Babylon, Nebukadnezar, der die Israeliten besiegt und große Teile der Bevölkerung nach Babylon verschleppt hatte, wo sich die Hebräer als Sklaven und Flüchtlinge fühlten. Siehe dazu auch unseren Bericht auf kultur24 über die Uraufführung „Babylon“ in der Staatsoper Berlin vergangene Woche.

Anders als in der Originalhandlung beginnt die Oper in Kirill Serebrennikows Inszenierung nicht in Salomons Tempel, sondern im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Es beginnt mit einer Abstimmung über die internationale Flüchtlingskrise.
Es gibt zwei Lager, der Hohepriester Zaccaria ist für einen respektvollen Umgang mit den Vertriebenen und einen gewaltfreien, integrationsfreundlichen Kurs, unterstützt von seiner Referentin Anna und Ismael, während die andere Seite, Nabucco und seine Tochter Abigaille, gegen die Flüchtlinge Stimmung machen wollen und einen rücksichtslosen Kurs nationalistischer Gewalt und Abschottung fahren.
Erstaunlich, wie der rhetorische Tonfall, wie die Duelle, die sich Verdis Protagonisten liefern, sich tatsächlich organisch mit einer solchen parlamentarischen Situation verbinden.

T-Shirt #freekirill, mit Intendant Ulrich Khuon vom Deutschen Theater Berlin © Twitter/ DT

Der Hintergrund der Geschichte ist eigentlich eine Familientragödie zwischen Nabucco und seinen Töchtern Abigaille und Fenena. Abigaille ist nicht sein leibliches Kind, sondern der Spross aus einem Seitensprung seiner Frau. Sie erfährt, dass sie trotz ihrer Bemühungen um die Liebe des Vaters nicht zurückgeliebt wird. Das trifft sie besonders hart, weil sie als zurückgewiesene Frau (der von ihr begehrte Ismael liebt Fenena), mit kompensatorischem Machtstreben versucht, ihren Vater in seiner Grausamkeit und Fanatismus noch zu überbieten, um so um seine Anerkennung zu werben. Er jedoch bleibt vernarrt in Fenena. Zu Nabuccos Entsetzen stellt sich aber sein über alles geliebte Kind, Fenena,  gegen ihren Vater auf die Seite der vertriebenen Hebräer.

Der Schmerz über den Verlust der geliebten Tochter führt letztendlich zum Zusammenbruch Nabuccos. Am Ende tritt er zum jüdischen Glauben über und entläßt alle Gefangenen, nur um die Liebe seiner Tochter zurückzugewinnen.

Oksana Dyka (Abigaille)“Nabucco“, Staatsoper Hamburg, Foto: Brinkhoff/ Mögenburg

Nabucco wird in Kirill Serebrennikows Inszenierung wunderbar verkörpert von Dimitri Platanias, der derzeitig als einer der besten Sänger für diese Partie gilt und diesem Ruf absolut gerecht wurde.

Abigaille wird von der Sopranistin Oksana Dyka (*1978) gesungen. Die Partitur, ein dramatischer Koloratursopran, ist immens anspruchsvoll. Der Sängerin wird Äußerstes abverlangt mit unglaublichen Registersprüngen über zwei Oktaven, großartig gemeistert von der ukrainischen Sängerin.
Auch der russische Bass Alexander Vinogradov (*1976) als Zaccaria und der Tenor aus Turkmenistan Dovlet Nurgeldiyev (*1978) als Ismael wurden vom Premierenpublikum gefeiert. Überzeugend der Chor der Staatsoper Hamburg unter der Leitung von Eberhard Friedrich und italienisch-spritzig das Philharmonische Staatsorchester unter der Leitung von Paolo Carignani. Nicht zu vergessen die wunderbare französische Mezzosopranistin Géraldine Chauvet als Fenena.

Das Konzept der Produktion ist dicht und klug, die Geschehnisse nachvollziehbar, sie verlangen dem Publikum aber auch einiges ab. Doch das Ganze geht auf und fand großen Anklang beim Publikum, wenngleich der italienische „Opernfunke“ vielleicht nicht so recht überspringen wollte. Auch wenn die Darsteller ausnahmslos sehr gut bis ausgezeichnet sangen und spielten, konnten die Zuschauer nicht die begeisterte Freude für Szenenapplaus aufbringen, wenn sie unentwegt auf Kriegsbilder und Fotos von verstümmelten Menschen schauten. Einige Zuhörer machten ihrem Unmut durch Ausrufe Luft und verließen geräuschvoll den Saal.

Dovlet Nurgeldiyev (Ismael), Oksana Dyka (Abigaille), „Nabucco“, Staatsoper Hamburg, Foto: Brinkhoff/ Mögenburg

Ausgangspunkt für das Regiekonzept von Kirill Serebrennikow war der weltberühmte Gefangenenchor, um das Leid eines deportierten Volkes, das sich nach seiner Heimat zurücksehnt und die globalen Flüchtlingsströme unserer Gegenwart aufzuzeigen. Er wollte aber nicht nur über diese Menschen erzählen, sondern sie auch mitwirken lassen. So wurde ein Projektchor von in Hamburg lebenden Geflüchteten gegründet, der an der Aufführung teilhat.

In eingeblendeten Fotoserien werden Szenen von Flüchtenden in verschiedenen Krisengebieten der Welt gezeigt, sehr eindrücklich eine Reihe von Bildern aus zerbombten, verlassenen, menschenleeren Städten, während der aus Geflüchteten bestehende Projektchor nacheinander langsam vor den Vorhang tritt, um gleich darauf konzertant, sozusagen im Original, den Gefangenenchor vorzutragen.

Am Ende der Vorstellung gab es frenetischen Beifall für Sänger und Regie, einige zogen sich ein #freekirill T-Shirts über.

„Nabucco“ von Guiseppe Verdi
Hamburgische Staatsoper

Musikalische Leitung: Paolo Carignani, Inszenierung, Bühnenbild und Kostüme: Krill Serebrennikow, Co-Regie: Evgeny Kulagin, Mitarbeit Bühne: Olga Pavluk, Mitarbeit Kostüme: Tatyana Dolmatovskaya, Licht: Bernd Gallasch, Video: Ilya Shagalov, Fotografie: Sergey Ponomarev, Dramaturgie: Sergio Morabito, Chor: Eberhard Friedrich, Spielleitung: Vladislav Parapanov, Sascha-Alexander Todtner, Musikalische Assistenz: Oliver Stapel.

Mit: Dimitri Platanias (Nabucco), Dovlet Nurgeldiyev (Ismaele), Alexander Vinogradov (Zaccaria), Oksana Dyka (Abigaille), Fenena (Géraldine Chauvet), Alin Anca (Oberpriester des Baal), Sungho Kim (Abdallo), Na´ama Shulman (Anna).

Unsere Bilderserie der Produktion mit 12 Fotos:

12 Photos: Dimitri Platanias als Nabucco, Chor der Hamburgischen Staatsoper, „Nabucco“, Staatsoper Hamburg, Foto: Brinkhoff/ Mögenburg

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Nabucco at Hamburger Staatsoper
by Dagmar Loewe
03/11/2019

Background

Kirill Serebrennikov was still at liberty at the first planning meeting of the Hamburg opera director Georges Delnon with the today 49-year-old director Kirill Serebrennikov for the project Nabucco. However, when it came to the realization of the staging, sat for months under house arrest in his 33 square meters apartment in Moscow, charged for allegedly embezzled cultural subsidies of over € 1 million. The two decided nevertheless, not to give up.

How do you stage an opera when the director is 2,000 miles away, has 2 hours of free time per day, and has no internet or phone in his apartment?

Evgeni Kulagin, Serebrennikov’s attorney, who as a co – director keeps in touch with Moscow and sends samples filmed there with a mobile phone. Serebrennikov received them on a USB stick and sent his instructions and changes back to the dramaturgy in the same way. Not an easy task, but it worked and became a very smart and exciting staging. Nabucco is created here as a world-spanning, anti-populist work, between the files sing two Syrians to Oud native, sad songs.

Critics:

We see the large boardroom of the headquarters of the UN Security Council. The opera, which also deals with escape and expulsion in the original, is relocated to the present places of similar events.

In the United Nations headquarters: The Babylonian despot Nabucco becomes a contemporary tyrant whose party calls itself „United Assyria“ – one can not help but recognize allusions to Trump, Putin and other characters of the present day.

„Nabucco“ was Verdi’s third opera and was premiered in 1842 at La Scala in Milan. Place of the story is Babylon and Jerusalem about 600 BC. The name „Nabucco“ refers to the then ruler of Babylon, Nebuchadnezzar, who defeated the Israelites and deported large parts of the population to Babylon, where the Hebrews felt like slaves and refugees. See also our review on kultur24 about the world premiere „Babylon“ in the Staatsoper Berlin last week.

On this day, a vote on an international refugee crisis is scheduled to take place in the Security Council. There are two camps, Zaccaria is for a respectful approach to the displaced and a non – violent, integration – friendly course, supported by his referee Anna and Ismael, while the other side with Nabucco and Abigaille against the refugees want to make mood and a ruthless course of nationalistic violence and Drive foreclosure. It is astonishing how the rhetorical tone, like the duels that Verdi’s protagonists deliver, actually combine organically with such a parliamentary situation.

The background of the story is actually a family tragedy between Nabucco and his daughters Abigaille and Fenena. Abigaille is not his natural child, but the scion of an infidelity of his wife. She learns that she is not loved back in spite of her efforts for the love of her father. This strikes her particularly hard, because as a sexually dissatisfied woman (the sought-after Ismael loves Fenena), with compensatory power, she tries to outdo her father in his cruelty and fanaticism in order to win his approval. He remains fond of Fenena. How often, the beloved child will then turn against the father and stands here on the side of the displaced Hebrews.

The pain over the loss of the beloved daughter ultimately leads to the collapse of the ruler (but unfortunately in the same hospital bed, in which already Mozart’s Titus had to die in a production of the Salzburg Festival). However, in the end, to regain his daughter’s love, Nabucco also steps in to the Jewish faith, regains his health and sanity, and dismisses all the prisoners. This Nabucco was wonderfully sung and played by Dimitri Platanias, who is currently considered one of the best vocalists for this game and has lived up to his reputation.

The role of the Abigaille, a dramatic coloratura soprano, is immensely demanding. The vocalist is driven to the limit with incredible register jumps over two octaves, magnificently mastered by Oksana Dyka. In addition, the role of Zaccaria was celebrated by Alexander Vinogradov and Ismael Dovlet Nurgeldiyev. Convincing the choir of the Staatsoper Hamburg under the direction of Eberhard Friedrich and Italian-bubbly the Philharmonic State Orchestra under the direction of Paolo Carignani.

The concept of production is dense and clever, the events comprehensible, but they also demand a lot from the audience. But the whole thing works and was well received by the audience, although first the Italian „opera spark“ did not quite want to jump over. Even though the performers without exception sang and played very well to excellent, the audience could not muster the enthusiastic joy of applause when they constantly looked at war pictures and photos of mutilated people. This caused occasional listeners to express their displeasure by exclamations and to leave the hall noisily. The Elbphilharmonie sends its regards ..

The world-famous captive chorus was the starting point for Serebrennikov’s concept of directing the suffering of a deported people looking back to their homeland and the global refugee flows of our time. He did not just want to talk about these people, but also to let them participate. For example, a project chorus was founded by refugees living in Hamburg, who participated in the performance.

On superimposed photo series, we see scenes of the refugees in various crisis areas of the world, very impressively a series of pictures from bombed, deserted, deserted cities, while the refugee project choir successively slowly comes to the curtain to concertante, so to speak in the original, to recite the prisoner choir. Here takes place what many people fear.

The audience was in the end thrilled about the complex performance and celebrated singer and director frenetic, the end of the ovations #freekirill t-shirts coated. At the subsequent premiere party, the protagonists then joined the audience and the Hamburg cultural scene exchanged opinions about the staging. Georges Delnon then had a video show that Serebrennikov had sent out as a greeting from the asylum, dressed up as an Assyrian, in which he expressed his joy over the successful work.

„Nabucco“ by Guiseppe Verdi
Hamburg State Opera

Musical direction: Paolo Carignani, stage design, stage design and costumes: Krill Serebrennikow, co-director: Evgeny Kulagin, collaboration stage: Olga Pavluk, collaboration costumes: Tatyana Dolmatovskaya, light: Bernd Gallasch, video: Ilya Shagalov, photography: Sergey Ponomarev, dramaturgy : Sergio Morabito, Choir: Eberhard Friedrich, Director: Vladislav Parapanov, Sascha-Alexander Todtner, Musical Assistance: Oliver Stapel.

With: Dimitri Platanias, Dovlet Nurgeldiyev, Alexander Vinogradov, Oksana Dyka, Fenena, Alin Anca, Sungho Kim, Na’ama Shulman (Anna).

 

 

 

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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