Skandal beim Staatsballett – die Intendanten gehen

Staatsballett Berlin - Sasha Waltz - Johannes Öhman Photos: Carlos Quezada/ Andre Rival

Skandal beim Staatsballett – die Intendanten gehen

 

Von Holger Jacobs

23.01.2020

English text below

Nach nur 5 Monaten Amtszeit beenden Sasha Waltz und Johannes Öhman ihre gemeinsame Intendanz am Staatsballett Berlin.

Gestern gab die Pressestelle des Staatsballetts bekannt, dass sowohl Johannes Öhmann, als auch Co-Intendantin Sasha Waltz, ihre Posten beim Staatsballett Ende Dezember 2020 aufgeben werden. Die Absage kam, nachdem beide als Tandem die Leitung der Staatlichen Ballettkompanie in Berlin erst im September 2019 übernommen hatten und somit nur 5 Monate im Amt waren.
Ihre Amtszeit sollte eigentlich bis 2025 dauern.

Was war passiert?

Die Geschichte erinnert sehr stark an den Skandal um Chris Dercon, der als Intendant der Volksbühne ebenfalls nach kaum 7 Monaten sein Amt aufgab.

Beide Skandale haben gemeinsam, dass ihr Ursprung in einer Entscheidung des damaligen Kultursenators (und heutigen Regierenden Bürgermeisters) Michael Müller und seinem Kulturstaatsekretär Tim Renner liegt.
In beiden Fällen hatten sie sich für Kandidaten ausgesprochen, die jeweils von Fans und Fachpublikum vehement kritisiert wurden.
Schon bei der Wahl von Chris Dercon zum Nachfolger von Frank Castorf als Intendant der Volksbühne lief die Theatergemeinde Sturm, genauso wie nur 2 Jahre später bei der Wahl von Sasha Waltz als Nachfolger von Nacho Duato als Intendantin des Staatsballetts.
Nach Bekanntwerden dieser Entscheidung wurde sogar eine online Petition gestartet, in der sich immerhin 20.000 Tänzer*innen, Choreographen, Ballettbegeisterte und Opernfans gegen die Ernennung von Sasha Waltz aussprachen.

v.l.n.r. Michael Müller, Chris Dercon, Tim Renner © Volksbühne Berlin

Die damalige Ablehnung betraf hauptsächlich Sasha Waltz, die sich zwar als Choreographin zeitgenössischer Stücke große Dienste erworben hatte, aber wenig bis gar keine Erfahrung im klassischen Ballett hat. Ihr Stil beruht ausschließlich auf Tanztheater und Modern Dance.
Eine Ausbildung zur klassischen Balletttänzerin hat Sasha Waltz auch nie genossen.
Wie sollte so jemand Intendantin eines Staatsballetts werden, deren Stil in erster Linie auf klassischem Ballett beruht, mit Spitzentanz, Tutu, Reifröcken, Plié und Pas-de-deux?

Sasha Waltz hatte dieses Manko wohl selbst erkannt, als sie bei den Gesprächen mit Michael Müller und Tim Renner auf einen Co-Intendanten bestand, der explizit vom klassischen Ballett kommt. Ihr Vorschlag: Johannes Öhman, damals Direktor des Königlich Schwedischen Balletts in Stockholm. Und so sollte es auch kommen.

Johannes Öhman und Sasha Waltz bei der Premiere von „Half life“ am 7. September 2018 in der Komischen Oper © Holger Jacobs

Warum die plötzliche Absage?

Anders als bei Chris Dercon feierte das neue Staatsballett unter dem Tandem Öhman/ Waltz große Erfolge.
In der Saison 2018/ 2019 (Johannes Öhman hatte schon ein Jahr zuvor seine Stelle angetreten) verzeichnete das Staatsballett eine Auslastung von 87%, die höchste seit ihrer Gründung im Jahre 2004. Dabei waren die Neuproduktion „La Bayadère“ mit neun ausverkauften Abenden am erfolgreichsten, gefolgt von dem sensationellen Stück „Half life“ von Sharon Eyal mit vier ausverkauften Abenden.

Doch die Saison 2019/ 2020 (jetzt mit Co-Intendantin Sasha Waltz) begann nicht so erfolgreich.
Gleich die erste Premiere „Plateau Effekt“ von Jefta van Dinthe (kultur24 berichtete) war eher ein laues Stück. Auch die nächste Premiere „Ekman/ Eyal“ konnte nur bedingt überzeugen – und „Sunny“ von Emanuel Gat in der Volksbühne war ein kompletter Reinfall.

Die erste Premiere in dieser Saison mit einem klassischen Ballett, „Dornröschen“ in einer Choreographie von Marcia Haydée, wurde jetzt sogar in die nächste Spielzeit verschoben. Nur Sasha Waltz erste und wohl auch letzte Choreographie für das Staatsballett Berlin soll trotz aller Widrigkeiten am 25. April 2020 uraufgeführt werden. Wie werden sehen, wie das Berlin Ballettpublikum es aufnehmen wird.

Warum kam es zum Eklat?

Hier kann nur vermutet werden.
Die Tatsache, dass Johann Öhman am Tag der Aufgabe seiner Intendanz bereits eine neue Stelle, nämlich Künstlerischer Leiter des Dansens Hus in Stockholm, nachweisen konnte (siehe Instagram-Photo), kann nur bedeuten, dass er sich bereits im Herbst vergangenen Jahres (seine Co-Intendanz mit Sasha Waltz hatte gerade erst begonnen) an anderen Balletthäusern umgehört hat, in welchem wohl bald eine Stelle freiwerden würde. Als er das Angebot vom Dansens Hus bekam, sagte er sofort zu – auch wenn in Größe und Bedeutung diese Schwedische Kompanie dem Staatsballett Berlin nicht das Wasser reichen kann…

Dieser Umstand kann nur so gewertet werden, dass Johannes Öhman auf jeden Fall weg wollte, egal wohin.
Aber warum?

Dazu gab es am 27.01.2020 ein nachgeschobenes Statement von Johannes Öhman und Sasha Waltz:
Johannes Öhman gab als Begründung für seine Entscheidung an, dass er aus familiären Gründen zurück nach Schweden wolle.
Und Sasha Waltz drückte sich eher sibyllinisch aus: „Aus Verantwortungsbewusstsein für die Zukunft des Balletts… stelle ich mein Amt zur Verfügung.“
Und weiter: „In meiner Verantwortung gegenüber dem Staatsballett, werde ich in Ruhe und ohne Zeitdruck eine Entscheidung über das Ende meiner Amtszeit fällen. Hört Sasha Waltz also nun auf oder macht sie nach 2020 doch weiter?

Meine Meinung: Auch wenn alle das Gegenteil behaupten, irgendetwas muss zwischen Johannes Öhman und Sasha Waltz nicht gestimmt haben. Was, das wissen Beide wohl nur allein.

Fazit: Ein komplettes Versagen der Berliner Kulturpolitik, die es zweimal hintereinander nicht geschafft hat die richtigen Kandidaten für wichtige Kulturämter zu auszuwählen.
Und eines sollte deutlich werden: Ohne die Beteiligung und Mitbestimmung aller Beteiligten kann und sollte kein Intendant mehr nominiert werden.
Als gutes Beispiel gehen hier die Berliner Philharmoniker voran, die sich schon seit 1882 ihren jeweiligen Chef selber wählen – und das mit großem Erfolg!

Johannes Öhman im Dansens Hus in Stockholm genau an dem Tag seiner Bekanntgabe zur Aufgabe der Intendanz (Post auf Instagram):

https://www.instagram.com/p/B7ngPwipaU-/?utm_source=ig_web_copy_link

English text

State Ballet scandal – the directors are leaving

By Holger Jacobs


01/23/2020

After only 5 months, Sasha Waltz and Johannes Öhman ended their joint directorship at the Staatsballett Berlin.

Yesterday, the State Ballet Press Office announced that both Johannes Öhmann and co-director Sasha Waltz will leave their positions at the State Ballet at the end of December 2020. The cancellation came after both of them had taken over the management of the State Ballet Company in Berlin in tandem in September 2019 and were therefore only in office for 5 months. Their term of office was supposed to last until 2025.
What happened?
The story is very reminiscent of the scandal surrounding Chris Dercon, who also resigned as director from the Volksbühne after just 7 months.
Both scandals have in common that their origin lies in a decision by the then cultural senator (and current governing mayor) Michael Müller and his secretary of state for culture, Tim Renner. In both cases, they had spoken out for candidates who were vehemently criticized by fans and the specialist public. The theater community was already in anger when Chris Dercon was elected to succeed Frank Castorf as artistic director of the Volksbühne. The same two years later when Sasha Waltz was elected to succeed Nacho Duato as artistic director of the state ballet. After this decision became known, an online petition was launched, in which 20,000 dancers, choreographers, ballet enthusiasts and opera fans opposed the appointment of Sasha Waltz.

v.l.n.r. Michael Müller, Chris Dercon, Tim Renner © Volksbühne Berlin

The rejection at the time mainly concerned Sasha Waltz, who had done great service as a choreographer of contemporary pieces, but had little or no experience in classical ballet. Her style is based exclusively on Dance Theater and Modern Dance. Sasha Waltz has never enjoyed training as a classical ballet dancer. How should someone become the director of a state ballet whose style is primarily based on classical ballet, with lace dance, tutu, hoop skirts, plié and pas-de-deux?

Sasha Waltz had probably recognized this herself when she insisted on a co-director during the conversations with Michael Müller and Tim Renner, who comes explicitly from classical ballet. Her suggestion: Johannes Öhman, then director of the Royal Swedish Ballet in Stockholm. And that’s how it should come.

Why the sudden cancellation now?
Unlike Chris Dercon, the new state ballet enjoyed great success under the tandem Öhman / Waltz. In the 2018/2019 season (Johannes Öhman had taken up his position a year earlier), the Staatsballett had an occupancy rate of 87%, the highest since its foundation in 2004. The new production „La Bayadère“ was the most successful with nine sold-out evenings , followed by the sensational piece „Half life“ by Sharon Eyal with four sold out evenings.
But the 2019/2020 season (now with co-director Sasha Waltz) did not start as successfully. The first premiere of „Plateau Effect“ by Jefta van Dinthe (kultur24 reported) was more of a gentle piece. The next premiere „Ekman / Eyal“ was only partially convincing, and „Sunny“ by Emanuel Gat in the Volksbühne was a complete failure.
The first premiere this season with a classic ballet, „Sleeping Beauty“ in a choreography by Marcia Haydée, has now even been postponed to the next season. Only Sasha Waltz’s first and probably last choreography for the Staatsballett Berlin is to be premiered on April 25, 2020 despite all the adversity. We will see how the Berlin ballet audience will take it.

Johannes Öhman und Sasha Waltz bei der Premiere von „Half life“ am 7. September 2018 in der Komischen Oper © Holger Jacobs

Why did the scandal occur?
I can only guess. The fact that Johann Öhman already had a new position on the day (Wednesday, January 22, 2020) he gave up his position as artistic director of Dansens Hus in Stockholm (see Instagram photo) shows that he already asked at other ballet houses for a job in fall of last year (his co-direction with Sasha Waltz had just started).
When he received the offer from Dansens Hus, he immediately accepted – even if this Swedish is far away from the level of the Staatsballett Berlin in terms of size and importance …
This fact can only be assessed in such a way that Johannes Öhman definitely wanted to leave, no matter where.

On January 27, 2020, there was a late statement by Johannes Öhman and Sasha Waltz:
Johannes Öhman gave the reason for his decision that he wanted to go back to Sweden for family reasons.
And Sasha Waltz expressed herself more sibylline: „Out of a sense of responsibility for the future of ballet … I give up my position as director.“ And further: „In my responsibility towards the State Ballet, I will make a decision about the end of my term in peace and without time pressure.“ So does Sasha Waltz stop now or will she continue after 2020?

My Opinion: Even if everyone says the opposite, something must not have been right between Johannes Öhman and Sasha Waltz!

Conclusion: A complete failure of Berlin’s cultural policy, which has failed twice in succession to select the right candidates for important cultural offices. And one thing should become clear: Without the participation of all those involved, no director can and should no longer be nominated. As a good example, the Berliner Philharmoniker are leading the way. They have been choosing their own directors since 1882 – and with great success!

https://www.instagram.com/p/B7ngPwipaU-/?utm_source=ig_web_copy_link

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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