Wildnis – Traum von der unberührten Natur

Henri Rousseau - Wildnis - Schirn Kunsthalle Frankfurt

Wildnis – Traum von der unberührten Natur

 

Von Christiane von Zitzvitz

13.11.2018

english text

„Wildnis“ – eine Ausstellung in der Schirm Kunsthalle Frankfurt

In Zeiten, in denen die weißen Flecken auf den Landkarten dieser Welt weitgehend verschwunden sind und ein „unberührter Naturzustand“ fast nur noch in Form von ausgewiesenen Reservaten existiert, scheint das Thema Wildnis in den Bildern und Sehnsüchten unserer Gegenwart eine besondere Konjunktur zu erfahren, und rückt somit wieder in den Fokus der Kunst.

Diese Suche nach den letzten freien Plätzen der Welt, die Expedition als künstlerisches Medium, prägen die Werke vieler zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler, denen die Schirn Kunsthalle Frankfurt noch bis zum 3. Februar 2019 eine beeindruckende Ausstellung widmet.

Über 100 Arbeiten von 34 bekannten internationalen Künstlern wie Gerhardt Richter, Thomas Struth, Julian Charrière, Markus Coates, Heinz Mack, Georgia O’Keeffe, Henri Rousseau oder Carleton E. Watkins vereinen Gemälde, Fotografien, Grafiken, Video- und Soundarbeiten, Skulpturen sowie Installationen, die den Verbindungen zwischen Wildnis und Kunst der Moderne bis zur Gegenwart nachgehen.

Bilderserie mit Fotos der Ausstellung von unserer Autorin:

5 Photos: Gerhard Richter, „Himalaja“, 1968, „Wildnis“ © Schirn Kunsthalle Frankfurt

Wildnis bezeichnet im traditionellen Wortsinn Örtlichkeiten und Instanzen, die sich dem menschlichen Zugriff verwehren und in denen die Natur sich selbst überlassen ist.
Dabei hat sich Wildnis als kulturelles Konzept in der abendländischen Geschichte schon immer vor allem als Gegenmodell konstituiert – in Abgrenzung zur Domäne des Kultivierten, des Domestizierten oder der Zivilisation schlechthin.

Philipp Demandt, Direktor der Schirn:
„Erst im Zuge des 18. Jahrhunderts wandelte sich die westliche Wildnis-Konzeption von der schreckenerregenden, bedrohlichen Gegenwelt außerhalb menschlicher Kontrolle zunehmend zu einer positiven Utopie, die nun umgekehrt einer zur Bedrohung werdenden Zivilisation entgegentrat“.

Damit einhergehend entwickelte sich „Wildnis“ als Inbegriff des Erhabenen zu einer ästhetischen Kategorie, die, vermittelt über die Romantik, bis heute wirksam ist.

3 Fotos der Ausstellungsräume:

3 Photos: Ausstellung „Wildnis“, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Foto: Wolfgang Günzel

Die dem Betrachter viel Raum gebende, unaufgeregte Hängung der Bilder teilt sich in fünf verschiedene Themenräume.

„Ferne, unberührte Natur“
Der erste Raum widmet sich der fernen, unberührten Natur, und zeigt Darstellungen von Wildnis im Sinne unberührter, sich selbst überlassener Naturschauplätze und konfrontiert zeitgenössische Werke mit ausgewählten historischen Fotografien.

„In der Wildnis“
Hier finden sich Arbeiten von Künstlern, die es in abgelegene, wilde Regionen gezogen hat, die sie als unbekannten künstlerischen Erfahrungsraum erkunden oder gar zur permanenten Arbeitsstätte erklären. Durch intensive, oft auch physische Auseinandersetzung mit den ungezähmten Kräften der Natur entstehen hier Werke, die Wildnis nicht unbedingt abbilden, sondern als integralen Bestandteil in sich tragen. Meist stehen Aspekte wie Licht, Leere, Materialität, Wachstum, Vergänglichkeit oder Verwandlung im Vordergrund.

„Wildnis in uns“
Dieses Thema zeigt nicht in erster Linie die ferne Landschaft, sondern weist im übertragenden Sinne auf das Innere des Menschen hin.
Mit der zunehmenden Kritik am Fortschrittsglauben der europäischen Zivilisation richteten Künstlerinnen und Künstler verschiedener avantgardistischer Bewegungen – etwa die Surrealisten oder später die Gruppe CoBrA – ihr Interesse auf verborgene und vergessene Dimensionen des Menschlichen. Als Kehrseite der Verhaltensnormierung durch die Konventionen der Zivilisation wurde Wildnis zu einer vieldeutigen Metapher – für innere Zustände und eine auf Trieb und Kontrollverlust begründete Kunst.

„Wildnis oder Zivilisation“
Die abendländische Denktradition beruht seit jeher auf der kategorialen Trennung von Natur und Kultur, Wildnis und Zivilisation. Ambivalent bleibt dabei immer die Position des Tieres, das sich – vom intimen Spiegelbild zum radikalen Gegenüber des Menschen – zwischen diesen Polen bewegt.

„Künstliche Welt“
In diesem Raum schließlich stellt die traditionelle Vorstellung von Wildnis im Sinne sich selbst überlassener Natur grundlegend zur Diskussion. Daraus gehen Möglichkeiten und Entwürfe neuer, alternativer Modelle von Wildnis in einer Zeit „nach der Natur“ hervor.

„Wildnis“
Schirn Kunsthalle Frankfurt
Römerberg
60311 Frankfurt
Vom 1. November 2018 bis 3. Februar 2019
Di, Fr, Sa, So 10–19 UHR, Mi + Do –22 UHR

Briton Rivière, „Beyond man’s footsteps“, 1894, „Wildnis“, © Schirn Kunsthalle Frankfurt

english text

Wilderness – dream of untouched nature
By Christiane von Zitzvitz
13/11/2018
„Wildnis“, an exhibition in the Schirm Kunsthalle Frankfurt
In times when the white spots on the maps of this world have largely disappeared and an „untouched state of nature“ exists almost exclusively in the form of designated reserves, the topic of wilderness seems to be experiencing a particular boom in the images and aspirations of our time, and thus moves back into the focus of art.
This search for the last vacant places in the world, the expedition as an artistic medium, characterizes the works of many contemporary artists to whom the Schirn Kunsthalle Frankfurt dedicates an impressive exhibition until 3 February 2019.
More than 100 works by 34 well-known international artists such as Gerhardt Richter, Julian Charrière, Markus Coates, Max Ernst, Georgia O’Keeffe, Henri Rousseau and Carleton E. Watkins combine paintings, photographs, graphics, video and sound works, sculptures and installations pursue the connections between wilderness and modern art to the present.
In the traditional sense of the word, wilderness refers to places and instances that refuse human access and in which nature is left to its own devices. Wilderness as a cultural concept in Western history has always been constituted above all as a counter model – in contrast to the domain of the cultivated, domesticated or civilization par excellence.
Philipp Demandt, director of the Schirn: „It was not until the eighteenth century that the Western conception of wilderness from the frightening, threatening counter-world outside human control increasingly turned into a positive utopia, which now conversely confronted a civilization becoming threatening.“

Along with this, wilderness, as the epitome of the sublime, developed into an aesthetic category that, mediated by Romanticism, is still effective today.

The viewer’s space giving, unagitated hanging of the images is divided into five different theme rooms.
„Distant, untouched nature“
The first room is dedicated to the remote, unspoiled nature, depicting wilderness in the sense of untouched, self-reliant natural settings and confronts contemporary works with selected historical photographs.
„In the Wild“ Here you will find works by artists who have moved to remote, wild regions, exploring them as an unknown artistic experiential space or even making it a permanent workplace. Through intensive, often physical confrontation with the untamed forces of nature arise here works that do not necessarily represent wilderness, but carry as an integral part in itself. In most cases, aspects such as light, emptiness, materiality, growth, transience or transformation are in the foreground.
„Wilderness in us“
This theme does not primarily show the distant landscape, but points in the transference sense to the inside of man. With the growing criticism of the belief in progress of European civilization artists of various avant-garde movements – such as the Surrealists or later the group CoBrA – their interest in hidden and forgotten dimensions of the human. As the flip side of behavioral standardization by the conventions of civilization, wilderness became an ambiguous metaphor for inner states and art based on drive and loss of control.
„Wilderness or Civilization“ The Western tradition of thinking has always been based on the categorical separation of nature and culture, wilderness and civilization. The position of the animal, which moves from the intimate mirror image to the radical opposite of the human being, between these poles always remains ambivalent.
„Artifical World“
Finally, in this room, the traditional notion of wilderness in the sense of self-relinquished nature is fundamentally up for discussion. From this, possibilities and designs of new, alternative models of wilderness emerge in a time „after nature“.

„Wilderness“ Schirn Kunsthalle Frankfurt, Römerberg, 60311 Frankfurt
From November 1, 2018 to February 3, 2019
Tuesday, Friday – Sunday, 10:00 to 19:00
Wednesday and Thursday 10-22

Author: Christiane von Zitzewitz

Journalistin und Buchhändlerin

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