Von Max Ernst bis Dorothea Tanning: Netzwerke des Surrealismus

Von Max Ernst bis Dorothea Tanning - Neue Nationalgalerie @ kultur24.berlin

Von Max Ernst bis Dorothea Tanning: Netzwerke des Surrealismus

 

Von Holger Jacobs

26.09.2025

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Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂 (vier von fünf)

Kleine, aber feine Auswahl von bedeutenden Werken des Surrealismus

Einer der wichtigen Strömungen der Kunst des 20. Jahrhunderts war der Surrealismus.
Er ging einher mit anderen Formen der Abstrahierung, die in der internationalen Kunstszene der damaligen Zeit immer wichtiger wurden. Angefangen mit dem Impressionismus ab Mitte des 19. Jahrhunderts, ging es Anfang des 20. Jahrhunderts weiter mit dem Expressionismus (die „Brücke“ Maler) in Deutschland und dem Fauvismus (u.a. Henri Matisse, André Derain) in Frankreich, der die realen Farben gegen subjektive Farben austauschte.
Beim Fauvismus war der entscheidende Unterschied zur bisherigen Malerei, dass ein Bild nicht mit einer Zeichnung von Gegenständen begonnen wurde, sondern mit einer Farbkomposition.

Surrealismus

Neben diesen vorgenannten Kunstrichtungen kam ab ca. 1920 auch der Surrealismus als eine neue Form des bildnerischen Ausdrucks.
Zunächst begann diese Bewegung mehr als eine philosophisch intellektuelle Bewegung, angeführt durch den französischen Schriftsteller ANDRÉ BRETON und den Lyriker GUILLAUME APOLLINAIRE.

Angewidert durch den 1. Weltkrieg und den anschließenden politischen Unruhen wurde eine neue Realität im Unbewussten, Unwirklichen, Übernatürlichen und dem Traum gesucht. Die Theorien SIGMUND FREUDS hinterließen bei vielen Intellektuellen der damaligen Zeit tiefe Spuren.
Es wurde etwas gesucht, was über die tägliche Realität hinaus ging.
Als APOLLINAIRE 1917 zu seinem Theaterstück „Les Mamelles de Tirésias“ den Untertitel „Ein surrealistisches Drama“ verfasste, war der Name einer ganzen Bewegung gefunden.
Die Surrealisten fühlten sich als geistige Revolutionäre.
Entsprechend wurden neue Ausdrucksmittel in Musik, Literatur und Kunst gesucht.

Artwork by André Masson, Neue Nationalgalerie, ph: Holger Jacobs

Die Sammlung Ulla und Heiner Pietzsch

Der in Dresden geborene HEINER PIETZSCH (1930 – 2021) war Mitte der 50er Jahre vom Berliner Osten in den Westen gezogen und baute sich einen internationalen Kunststoffhandel auf, mit dem er in der Zeit des Deutschen Wirtschaftswunders viel Geld verdiente.
Schon früh ab den 60er Jahren fing er an zusammen mit seiner Frau Ulla eine bedeutende Sammlung von Kunstwerken der Klassischen Moderne aufzubauen.
Ein Schwerpunkt war der Surrealismus.
Im Sommer 2009 waren große Teile dieser Sammlung in der Neuen Nationalgalerie unter dem Titel „Bilderträume“ zu sehen.

Ausstellung „Bilderträume“, Neue Nationalgalerie, ph: Holger Jacobs

Nach Ende der Ausstellung 2010 schenkte das Ehepaar 60 Arbeiten davon der Neuen Nationalgalerie.
Im Jahre 2014, kurz vor Schließung der Neuen Nationalgalerie wegen Renovierung, wurden noch einmal 20 Werke der Sammlung gezeigt.
Titel: „20 Werke für das 20. Jahrhundert“.

Ausstellung „20 Werke“, 2024, Neue Nationalgalerie, ph: Holger Jacobs

Nach dem Tod von HEINER PIETZSCH im Jahre 2021 wurden 150 weitere Kunstwerke den Staatlichen Museen zu Berlin überlassen.
26 Arbeiten zum Thema „Surrealismus“ sind nun in der neuen Ausstellung zu sehen.

„Von Max Ernst bis Dorothea Tanning – Netzwerke des Surrealismus“

Die Ausstellung findet in kleineren Räumen im unteren Teil der Neuen Nationalgalerie statt.
Somit handelt es sich hierbei auch nicht um eine Mammut-Ausstellung, sondern eher um eine kleine, feine Präsentation von ein paar wirklich schönen Arbeiten bedeutender Künstler, wie JOAN MIRÓ, MAX ERNST, SALVADOR DALI und RENÉ MAGRITTE.

Artwork by Joan Miró, Neue Nationalgalerie, ph: Holger Jacobs

Aufgeteilt ist die Ausstellung in drei Abschnitte:
1. Netzwerke
2. Flucht und Vertreibung
3. Exil

Im ersten Teil wird gezeigt, wie sich die Künstler in Paris miteinander austauschten.
Paris war in den 2oer Jahren des letzten Jahrhunderts der Melting-Pot der Kunstszene.
Fast alle bedeutenden Künstler der damaligen Zeit lebten in der Seine-Metropole.

André Bretton (3. von links), Neue Nationalgalerie, ph: Holger Jacobs

Und die meisten von ihnen kannten sich.

Der zweite Teil geht auf die Vertreibung vieler von ihnen aus dem durch die Nazis besetzte Frankreich ein.
Viele der Künstlern waren Juden oder wurden auf Grund ihrer politischen Einstellung verfolgt.

Surrealismus, Neue Nationalgalerie, ph: Holger Jacobs

Der dritte Teil zeigt die Künstler in ihrem Exil in den USA, wohin sich die meisten flüchteten.
Und dort wiederum war es die Stadt, die niemals schläft, New York, die zur neuen Heimat der Vertriebenen wurde.

Surrealismus, Neue Nationalgalerie, ph: Holger Jacobs

Gute Kontakte zum Museum of Modern Art führten schnell zu einer gewissen Bekanntheit und reiche Kunstliebhaberinnen wie PEGG GUGGENHEIM (heiratete MAX ERNST im Dezember 1941 in New York) waren ebenfalls eine große Hilfe.

Max Ernst + Dorothea Tanning, Neue Nationalgalerie, ph: Holger Jacobs

Ein besonderes Kapitel der Ausstellung ist den Provenienzen der Bilder zugedacht.
Auf Wunsch von ULLA und HEINER PIETZSCH wurde von Seiten der Staatlichen Museen zu Berlin die Provenienzen der einzelnen Werke der Sammlung erforscht.
Deshalb steht zu jedem ausgestellten Bild eine Auflistung seines Weges, vom Künstler über verschiedene Händler und Galerien bis zur Sammlung PIETZSCH.

Provenienz „Voltage“ von Dorothea Tanning, Neue Nationalgalerie, ph: Holger Jacobs

Bei einigen von ihnen kann man sogar auf deren Rückseite die einzelnen Stationen erkennen.

Joan Miró, front and back, Neue Nationalgalerie, ph: Holger Jacobs

Fazit: Sehenswert

„Max Ernst bis Dorothea Tanning – Netzwerke des Surrealismus“
Neue Nationalgalerie Berlin
Vom 17. Oktober 2025 – 01.03.2026

Bilderserie mit 9 Fotos von Werken der Ausstellung:

DOROTHEA TANNING „Voltage“, 1942, Neue Nationalgalerie, ph: Holger Jacobs

 

English Text

 

 

From Max Ernst to Dorothea Tanning: Networks of Surrealism

 

By Holger Jacobs


September 26, 2025

Rating: 🙂 🙂 🙂 🙂 (four of five)

A small but fine selection of important works of Surrealism

One of the most important movements in 20th-century art was Surrealism.
It went hand in hand with other forms of abstraction that were becoming increasingly important in the international art scene of the time.
Beginning with Impressionism in the mid-19th century, it continued at the beginning of the 20th century with Expressionism (the „Brücke“ painters) in Germany and Fauvism (including Henri Matisse and André Derain) in France, which replaced real colors with subjective colors.
The crucial difference between Fauvism and previous forms of painting was that a picture did not begin with a drawing of objects, but with a color composition.

Artwork by André Masson, Neue Nationalgalerie, ph: Holger Jacobs

Surrealism

In addition to the aforementioned art movements, Surrealism emerged around 1920 as a new form of visual expression.
Initially, this movement began as more of a philosophical and intellectual movement, led by the French writer ANDRÉ BRETON and the poet GUILLAUME APOLLINAIRE.
Disgusted by World War I and the subsequent political unrest, a new reality was sought in the unconscious, the unreal, the supernatural, and dreams.
SIGMUND FREUD’s theories left a deep mark on many intellectuals of the time.

They were looking for something that transcended everyday reality.
When APOLLINAIRE subtitled his play „Les Mamelles de Tirésias – A Surrealist Drama“ in 1917, the name of an entire movement had been found.
The Surrealists saw themselves as intellectual revolutionaries.
Accordingly, new means of expression were sought in music, literature, and art.

The Ulla and Heiner Pietzsch Collection

HEINER PIETZSCH (1930–2021), born in Dresden, moved from East Berlin to West Berlin in the mid-1950s and built up an international plastics business, earning considerable money during the German „Wirtschaftswunder“.
Early in the 1960s, he and his wife Ulla began building a significant collection of Classical Modernist artworks.
One focus was Surrealism.

Ausstellung „Bilderträume“, Neue Nationalgalerie, ph: Holger Jacobs

In the summer of 2009, large parts of this collection were on display at the Museum Neue Nationalgalerie under the title „Picture Dreams.“
When the exhibition ended in 2010, the couple donated 60 of these works to the Neue Nationalgalerie.
In 2014, shortly before the Neue Nationalgalerie closed for renovations, another 20 works from the collection were shown.
Title: „20 Works for the 20th Century.“

Ausstellung „20 Werke“, 2024, Neue Nationalgalerie, ph: Holger Jacobs

Following HEINER PIETZSCH’s death in 2021, 150 additional artworks were given to the Berlin State Museums.
26 of these works, focusing on the theme of „Surrealism,“ are now on display in the new exhibition.

„From Max Ernst to Dorothea Tanning – Networks of Surrealism“

The exhibition takes place in smaller rooms in the lower part of the Neue Nationalgalerie.
Thus, this is not a mammoth exhibition, but rather a small, fine presentation of a few truly beautiful works by important artists, such as Joan Miro, Max Ernst, Salvador Dali, and René Magritte.

Artwork by Joan Miró, Neue Nationalgalerie, ph: Holger Jacobs

The exhibition is divided into three sections:
1. Networks
2. Flight and Expulsion
3. Exile

The first part shows how the artists in Paris interacted with each other.
Paris was the melting pot of the art scene in the 1920s.
Almost all of the important artists of the time lived in the Seine metropolis.

André Bretton (3. von links), Neue Nationalgalerie, ph: Holger Jacobs

And most of them knew each other.
The second part addresses the expulsion of many of them from Nazi-occupied France.

Surrealismus, Neue Nationalgalerie, ph: Holger Jacobs

Many of the artists were Jewish or were persecuted because of their political views.
The third part shows the artists in their exile in the USA, where most of them fled.
And there, in turn, it was the city that never sleeps, New York, that became the new home of the displaced persons.

Surrealismus, Neue Nationalgalerie, ph: Holger Jacobs

Good contacts with the Museum of Modern Art quickly led to a certain notoriety, and wealthy art lovers like Peggy Guggenheim (who married Max Ernst in December 1941 in New York) were also of great help.

Max Ernst + Dorothea Tanning, Neue Nationalgalerie, ph: Holger Jacobs

A special chapter of the exhibition is dedicated to the provenances of the paintings.
At the request of Ulla and Heiner Pietzsch, the Berlin State Museums researched the provenances of the individual works in the collection.
Therefore, each exhibited painting includes a list of its journey, from the artist through various dealers and galleries to the Pietzsch Collection.

Provenienz „Voltage“ von Dorothea Tanning, Neue Nationalgalerie, ph: Holger Jacobs

Some of them even feature the individual stations on the back.

Joan Miró, front and back, Neue Nationalgalerie, ph: Holger Jacobs

Conclusion: Worth seeing

„Max Ernst to Dorothea Tanning – Networks of Surrealism“
Neue Nationalgalerie Berlin
From October 17, 2025 – March 1, 2026

Image series with 9 photos of artworks in the exhibition:

DOROTHEA TANNING „Voltage“, 1942, Neue Nationalgalerie, ph: Holger Jacobs

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and videographer.

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