Die drei Leben der Hannah Arendt im Deutschen Theater

Die drei Leben der Hannah Arendt - Deutsches Theater © kultur24.berlin

Die drei Leben der Hannah Arendt im Deutschen Theater

 

Von Holger Jacobs

27.10.2025

Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂 (vier von fünf)

Das Vermächtnis der vielleicht wichtigsten politischen Denkerin des 20. Jahrhunderts präsentiert sich auf der Bühne durch fünf verschiedene Schauspielerinnen

Hannah Arendt

Über diese außergewöhnliche Frau zu schreiben fällt sehr schwer, weil sie erstens kaum zu fassen oder auch nur annährend zu beschreiben ist und zweitens, weil ihr Leben und ihr Wirken so umfangreich ist, dass es jeden Artikel sprengen würde.

Hannah Arendt, 1924, -CC- Wikimedia Commons

Deshalb versuche ich hier nur ein paar Fakten aufzuzeigen:
Geboren 1906 in Hannover als Tochter säkularer jüdischer Eltern, wuchs sie in Königsberg auf und studierte nach dem Abitur Philosophie in Marburg bei MARTIN HEIDEGGER, mit dem sie eine Liebesbeziehung einging und mit dem sie, trotz unterschiedlicher Auffassungen über den späteren Nationalsozialismus, bis zu ihrem Tode eng verbunden blieb.

Martin Heidegger 1920, -CC- Wikimedia Commons

Danach kurz nach Freiburg und anschließend nach Heidelberg, wo sie bei KARL JASPERS mit „Der Liebesbegriff bei Augustin“ (Julius Springer Verlag) promovierte.

Karl Jaspers 1910, -CC-Wikimedia Commons

Alles änderte sich, als 1933 ADOLF HITLER an die Macht kam und der Antisemitismus sich in Deutschland wie eine Seuche verbreitete.

Adolf Hitler 1933, -CC-Wikimedia Commons

Schon im Juli 1933 wurde sie von der Gestapo wegen ihrer Aktivitäten für die Zionistische Bewegung verhaftet, kam aber nach acht Tagen wieder frei (der zuständige Beamte soll sich in sie verliebt haben…).
Mit erschrecken musste HANNAH ARENDT feststellen, dass nur wenige Monate nach der Machtergreifung viele ihrer intellektuellen Freunde, so auch HEIDEGGER, sich der nationalsozialistischen Bewegung anschlossen.
Es waren nicht nur einfache Arbeiter, die HITLER zujubelten, sondern auch das gebildete Bürgertum, welches sich mit den Nazis zu arrangieren versuchte und die Diktatur unterschätzte.
Diese Erfahrung der Entfremdung von vielen ihrer alten Freunde war für HANNAH ARENDT sehr schmerzvoll, was sie in mehreren ihrer Schriften festhielt.
Von  nun an war sie keine Philosophin mehr, sondern politische Denkerin.

Hannah Arendt, 1933, -CC-Wikimedia Commons

HANNAH ARENDT floh zunächst nach Paris, dann über Marseille und Lissabon nach New York, welches ihre neue Heimat wurde.
Hier erfuhr sie über die Vernichtungslager in Deutschland und Polen.

Ausschwitz, Polen, Januar 1945, -CC-Wikimedia Commons

Erst 1950 kehrte HANNA ARENDT nach Deutschland zurück, nur um festzustellen, dass das deutsche Volk gegenüber ihren Verbrechen völlig teilnahmslos schien.
„Die Gleichgültigkeit, mit der sich die Deutschen durch die Trümmer bewegen, findet ihre Entsprechung darin, dass niemand um die Toten trauert.“

Trümmerfrauen in Deutschland, 1947, -CC-Wikimedia Commons

Sofort nach Kriegsende beschäftigte sich HANNAH ARENDT mit dem Imperialismus und dem Stalinismus und dem von ihr definierten Totalitarismus.
In ihrem Buch „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“, erschienen 1951, stellte sie fest, dass diese nur durch eine ideologische Massenbewegung mit Einsatz von Massenpropaganda entstehen konnte einhergehend mit dem Zusammenbruch der Rechtsordnung, wodurch Verbrechen und grausame Massaker möglich wurden.

Buch: „Elemente und Ursprung totaler Herrschaft“, Hannah Arendt © Piper Verlag

Aber auch Israel stand sie kritisch gegenüber, als sie bei ihren Besuchen bemerkte, wie feindselig sich Israelis und Palästinenser gegenüber standen. Ihrer Meinung nach könne Frieden nur durch eine Verständigung zwischen Arabern und Juden erreicht werden. Sie setzte sich schon damals für eine Zweistaatenlösung oder zumindest für eine Föderation ein.

Wodurch HANNAH ARENDT aber schließlich weltweit berühmt wurde, war ihre Berichterstattung über den Eichmann-Prozess.
Nachdem israelische Agenten des Mossad 1960 den geflüchteten Nazi-Verbrecher ADOLF EICHMANN in Argentinien ausfindig machen und ihn nach Israel für einen Strafprozess entführt konnten, wurde HANNAH ARENDT von der Zeitschrift The New Yorker nach Jerusalem geschickt, um über den Prozess zu berichten.

Adolf Eichmann während seines Prozesses 1961 in Israel, -CC-Wikimedia Commons

Neben zahlreichen Reportagen entstand daraus das Buch „Eichmann in Jerusalem“,veröffentlicht in den USA 1963, indem sie feststellte, dass es sich bei EICHMANN, wie wohl auch bei den meisten anderen Nazi-Verbrechern, gar nicht um das Teuflisch-Dämonische oder das zutiefst Böse handelte, wie z.B. bei einem „Macbeth“ von Shakespeare, sondern um einen realitätsfernen und gedankenlosen Beamten, der nur an sein persönliches Vorankommen dachte, selbst wenn es bedeutete, die Deportation von Millionen von Juden in die Gaskammern zu organisieren.
Daraus entwickelte HANNAH ARENDT den Begriff von der „Banalität des Bösen“, der ihr, gerade unter Juden, viele Feinde einbrachte.
Der aber, wie ich finde, völlig richtig gewählt wurde und bis heute seine Gültigkeit hat.

Theater, Filme, Bücher

Zurzeit erleben wir einmal mehr ein Revival der berühmten Denkerin, wie schon im Jahre 2000, als die hebräische Übersetzung von „Eichmann in Jerusalem“ in Israel erschien – mit viel Kritik und mit viel Medienaufmerksamkeit.
Seit dem 18. September 2025 läuft in unseren Kinos „Hannah Arendt – Denken ist gefährlich“ von den Regisseuren CHANA GAZIT, MAIA HARRIS und JEFF BIEBER; eine Dokumentation über ihr Leben mit Originalzitaten, gesprochen von der deutschen Schauspielerin NINA HOSS.

Film: „Hannah Arendt – Denken ist gefährlich“, 2025, © Progress Filmverleih

Vor wenigen Tagen war die Premiere von “Arendt – Denken in finsteren Zeiten“  von RHEA LEMAN im Thalia Theater in Hamburg mit CORINNA HARFOUCH in der Hauptrolle.
Und jetzt „Die drei Leben der Hannah Arendt“ nach einer Graphik-Novelle von KEN KRIMSTEIN in den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Berlin.

Ist es vielleicht ein Zufall, dass wir uns wieder mit Totalitarismus und Imperialismus beschäftigen?
Was ist mit dem russischen Überfall auf die Ukraine, einhergehend mit einer massenhaften Propaganda und Desinformation seitens des Präsidenten WLADIMIR PUTIN?
Und was ist mit XI PING, dem chinesischen Staatspräsidenten, der regiert wie ein Diktator und sich vor kurzem zum Führer des Landes auf Lebenszeit ausrufen ließ?
Und was  ist mit solchen Politikern wie DONALD TRUMP? Ist er schon auf dem Weg dorthin?

Wladimir Putin und Donald Trump 2019, -CC-Wikimedia Commons

Der US-Amerikaner KEN KRIMSTEIN ist ein bekannter Cartoonist für den The New Yorker und veröffentlichte 2018 die Grafik-Novelle „Die drei Leben der Hannah Arendt“, die einer Art Biografie gleicht.

Buch: „Die drei Leben der Hannah Arendt“, Ken Krimstein, © dtv Verlag

Wobei es sich laut KRIMSTEIN bei den drei Leben, grob skizziert, um folgendes handelt:
1. Verhaftung durch die Gestapo
2. Flucht in die USA
3. Hannah und ihre Philosophen

Die Regisseurin THERESA THOMASBERGER erarbeite zusammen mit dem Dramaturgen BERND ISELE eine Bühnenfassung dieser Grafik-Novelle mit zusätzlichen original Textpassagen aus einem Interview, welches der Fernsehmoderator GÜNTER GAUS 1964 mit HANNAH ARENDT führte.

Günter Gaus, 1982, -CC-Wikimedia Commons

Kritik

Der Vorstellung beginnt mit einem Auszug dieses Interviews.
Ein kleiner Junge betritt die Bühne, setzt sich mit dem Rücken (wie damals bei dem Interview) zum Publikum und befragt die Schauspielerin ABAK SAFAEI-RAD. Etwas befremdlich wirkt es, dass es sich dabei um eine farbige Schauspielerin handelt, wo doch HANNAH ARENDT selbst durch und durch europäisch aussah.
So länger das Gespräch aber dauert, stellt der Zuschauer fest, dass ABAK SAFAEI-RAD die Mimik und Gestik von ARENDT perfekt nachahmt und sehr überzeugend die damalige Szene nachspielt, auch wenn die Zigarette (ARENDT war Kettenraucherin) nur eine Fake ist.
GÜNTER GAUS aber von einem 10- oder 12-jährigen Jungen (THEO STEINNECK) spielen zu lassen, der seine Sache trotz ein paar Versprecher ganz gut meistert, tut dem Gedenken an den brillanten Moderator von damals nicht gut.
Gerade die Persönlichkeit dieses GÜNTER GAUS, auch wenn man ihn nur schräg von hinten sah, trug zum Gelingen dieses historischen Interviews bei, welches später sogar mit einem Grimme-Preis belohnt wurde.
Das Interview ist übrigens auf Youtube zu sehen.

Deutsches Theater: „Die drei Leben der Hannah Arendt“, ph: Jasmin Schuller

Im Laufe des Abends wechseln sich die anderen Schauspielerinnen nacheinander beim Interview ab, kommen aber an die Performance von ABAK SAFAEI-RAD nicht heran.

Unterbrochen werden diese Sitzungen von Spielszenen, die den Werdegang der HANNAH ARENDT, ebenfalls mit den fünf Schauspielerinnen in verschiedenen Rollen, nachzeichnen.
Vom ersten Mal, als sie als „Jüdin“ von anderen Mitschülern beschimpft wurde, bis eben zu diesem Interview, welches am Schluss in einer kurzen Sequenz im Original per Projektion eingespielt wird.

Die Idee, alle Personen mit diesen fünf Schauspielerinnen zu besetzen, mag ja ganz interessant klingen, aber Persönlichkeiten, wie HEIDEGGER oder WALTER BENJAMIN (trifft ARENDT in Paris und bei ihrer Flucht), müssen schon von ihrem Äußeren mehr Männlichkeit aufweisen, um die Rolle der Frau zum Mann in der damaligen Zeit besser darstellen zu können.
Und auch das Verhältnis von HANNAH ARENDT zu „ihren“ Männern.

Der Versuch, durch die Kleidung (Kostüme: MARILENA BÜLD) den einzelnen Charakteren etwas mehr Zeitkolorit zu geben, klappt nicht.
Mit Rüschenröcken, undefinierbaren Lederjacken, flattrigen Blusen und Hängekleidchen im Nadelstreifenlook ist keine Annäherung an die gemeinten damaligen Persönlichkeiten erkennbar.

Applaus: „Die drei Leben der Hannah Arendt“, DT, ph: Holger Jacobs

Interessant dagegen ist die Bühne von MIRJAM BÜLD mit wenigen, aber gekonnt eingesetzten Elementen und einer durchbrochenen Wand auf einer Drehbühne.

Die Musik (OSKAR MAYBÖCK) ist durch zwei Songs, gesungen von SVENJA LIESAU, gelungen, stört mich aber etwas im Kontext zum Stücks.

Am Schluss kommt noch einmal ein langer Monolog mit den vielen Gedanken HANNAH ARENDTS, die ich aber auf Grund der vorherigen überhäufenden Statements nicht mehr geistig aufnehmen konnte und mir deshalb eindeutig zu lang erschien.

Fazit: Ein Bravo für das Thema, die Umsetzung zeigt dagegen Schwächen.
Trotzdem: unbedingt hingehen, das Thema ist zu wichtig!

Die drei Leben der Hannah Arendt“
Nach einer Grafik-Novelle von Ken Krimstein
Regie: Theresa Thomasberger
Bühnenfassung: Bernd Isele, Theresa Thomasberger
Musik: Oskar Mayböck
Bühne: Mirjam Schaal, Kostüme: Marilena Büld
Mit: Mareike Beykirch, Julischka Eichel, Svenja Liesau, Daria von Loewenich, Abak Safaei-Rad und Theo Steinbeck als Günter Gaus.

Bilderserie mit acht Fotos der Inszeniereung:

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and videographer.

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