Premiere DIE WILDENTE in der Schaubühne Berlin

Die Wildente - Schaubühne Berlin ph: Bresdola

Premiere DIE WILDENTE in der Schaubühne Berlin

 

Von Holger Jacobs

13.09.2025

Wertung: 🙂 🙂 (zwei von fünf)

Der gescheiterte Versuch einen Klassiker in die Moderne zu überführen.

Nach 13 Jahren hat Intendant und Regisseur THOMAS OSTERMEIER wieder einmal ein Stück von HENRIK IBSEN (1828 – 1906)  inszeniert.
Damals war es „Ein Volksfeind“, ein Stück über die Lüge als Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen.
2012 hatte ich mein online Kulturmagazin kultur24.berlin noch nicht gegründet, wodurch mir diese Inszenierung entging.
Aber sie soll ein großer Erfolg gewesen sein.

„Ein Volksfeind“, Schaubühne 2012, ph: Arno Declair

Nun also „Die Wildente“ (Uraufführung 1885), ebenfalls ein Stück über die Lüge.
Doch dieses Mal geht es um Lebenslügen, durch die wir alle versuchen, unser Leben erträglicher zu machen.

„Die Wildente“, Henrik Ibsen, Schaubühne Berlin, ph: Bresdola

„Die Wildente“ von Henrik Ibsen

Gregers Werle, Sohn einer reichen Familie, kehrt nach vielen Jahren in das Haus seiner Eltern zurück.
Der Grund seines damaligen Abschieds war das schlechte Verhältnis zum Vater, Konsul Hakon Werle, den er beschuldigt am Tod der Mutter verantwortlich gewesen zu sein.
Dementsprechend ist auch das Wiedersehen schroff und kühl.
Bei seiner ersten Unterredung mit dem Vater erfährt Gregers, dass der ehemalige Mitgesellschafter der väterlichen Firma, Ekdal, wegen eines Vergehens, in welcher auch der Vater verwickelt war, zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde und nun als kleiner Angestellter beim Konsul sein Leben fristet.
Außerdem erfährt Gregers, dass sein alter Jugendfreund Hjalmar, Sohn von Ekdal, mit Gina, einer früheren Mitarbeiterin des Konsuls verheiratet ist.
Beide haben eine Tochter, die genauso alt ist, wie das Ehepaar verheiratet.

„Die Wildente“, Henrik Ibsen, Schaubühne Berlin, ph: Bresdola

Doch eines macht Gregers besonders stutzig: Sein Vater finanziert die gesamte Familie Ekdal, einschließlich der Tochter Hedvig.
Den alten Ekdal, weil dieser wohl zugunsten des Konsuls die Schuld und damit die Gefängnisstrafe auf sich genommen hat.
Und bei den jungen Eheleuten vermutet Gregers auf Grund des unmoralischen Lebenswandels des Konsuls, dass Gina wohl vorher dessen Geliebte war und leider schwanger wurde, weshalb auf Grund der gesellschaftlichen Umstände schnell ein Ehemann gesucht werden musste.
Also wurde sie mit dem völlig unfähigen Hjlmar verheiratet, der häufig zusammen mit seinem Vater auf dem Dachboden spielt, wo eine flügellahme Wildente ihnen echtes Jagen im Wald vorgaukelt.
Doch was Gregers wirklich Entsetzen bereitet ist die Tatsache, dass alle beteiligten Personen (bis auf Hedvig) diese Wahrheiten kennen oder zumindest erahnen, ohne daraus Konsequenzen zu ziehen.
Jeder lebt mit diesen Lebenslügen, ohne einmal aufzubegehren oder zumindest zu hinterfragen.
Gregers hasst nichts so sehr wie Lügen und versucht jetzt allen Betroffenen einen Spiegel vorzuhalten, weil er glaubt, dass nur die Wahrheit zu einem echtem und damit besserem Leben führt kann.
Doch er erreicht das genaue Gegenteil:
Das gesamte Lebenskonstrukt dieser beiden Familien gerät ins Wanken.
Und am Schluss ist ein Mensch tot…

„Die Wildente“, Henrik Ibsen, Schaubühne Berlin, ph: Bresdola

Kritik

Im heutigen Theater wird immer wieder versucht, möglichst „modern“ zu wirken.
Auch bei Klassikern.
Und dies äußert sich in erster Linie in der Anpassung der Sprache.
Bei neuen Stücken ist das ganz selbstverständlich.
Wer würde im Jahre 2025 schon die Sprache eines Heinrich von Kleist verwenden?
Doch die schöne Sprache einer Original-Lektüre aus dem 18. oder 19. Jahrhundert durch die Sprache des 21. Jahrhunderts zu ersetzen gelingt fast nie überzeugend. So auch hier.

HENRIK IBSEN ist nach WILLIAM SHAKESPEARE der meist-gespielte Autor in der Theaterszene.
Und das nicht ohne Grund.
Denn genau wie SHAKESPEARE beherrscht IBSEN sowohl die Auswahl spannender Themen, als auch einer hervorragender Sprache.
Nimmt man sie weg, verliert das Stück eine Menge an Qualität.
Regisseur THOMAS OSTERMEIER hat in Zusammenarbeit mit Dramaturgin MAJA ZADE eine völlig neue Fassung nach der Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel geschrieben.
Da  ist plötzlich die Rede von K.I. (künstliche Intelligenz) und Computern und anderem modernen Zeug.
Und das gesprochene Wort verliert sich in umgangssprachlichen Phrasen.
Dabei wissen wir alle aus eigener Erfahrung, dass dramatische Familiensituationen auch heute noch genauso vorkommen können, wie vor 150 Jahren.
Das durch eine moderne Sprache unbedingt klar zu machen wäre also gar nicht notwendig gewesen.
Apropos gesprochenes Wort:
Anders, als in anderen Theatern, werden die Schauspieler bei THOMAS OSTERMEIER nicht durch Mikrofon und Lautsprecher unterstützt, sondern müssen den Text durch ihre eigene Stimme an den Zuschauer bringen.
Was ich im Prinzip sehr schätze!
Doch das verlangt vom Darsteller ein gute Intonation und eine ausgefeilte Sprachtechnik, was heute wohl viele Schauspieler nicht mehr beherrschen.
So war THOMAS BADING als Konsul Werle nur mit Mühe zu verstehen und bei den anderen (mit Ausnahme bei bei MARCEL KOHLER als Gregers) war es nicht viel besser.

„Die Wildente“, Henrik Ibsen, Schaubühne Berlin, ph: Bresdola

Die schauspielerische Leistung des Ensembles fand ich ansonsten durchweg überzeugend,.
Besonders MARCEL KOHLER als Gergers Werle stach positiv hervor.
Was mich weniger überzeugte, war Regisseur OSTERMEIERS Schauspielführung, bzw. die Art, wie er die einzelnen Personen sich darstellen ließ.
Konsul Werle war mir viel zu distanziert und nonchalant, als würde ihn das alles gar nichts angehen.
Die Darstellung des unfähigen Hjalmar Ekdal (STEFAN STERN) mit seinen fettigen Haarsträhnen und ständig in billiger Unterwäsche spielend war mir zu überzogen – optisch, wie schauspielerisch.
Und Hjalmars Frau Gina (MARIE BURCHARD) ging völlig unter und wurde, zumindest von mir, kaum wahrgenommen.
Auch der arme Vater Ekdal (FALK ROCKSTROH) war viel zu unterwürfig und irgendwie neben der Spur.
Einzig die Darstellung der Tochter Hedvig (MAGDALENA LERMER) konnte mich überzeugen.
Sie spielt eine junge Frau, die diese sozial unterprivilegierte Situation ihrer Familie als Normalzustand empfindet und sich damit abgefunden hat.
Auch wenn sie Gregers Werle ständig in den Ohren liegt, ob er ihr nicht einen Praktikumsplatz in der Presseabteilung der Fa. Werle beschaffen könnte – was der natürlich immer wieder vergisst.

„Die Wildente“, Henrik Ibsen, Schaubühne Berlin, ph: Holger Jacobs

Selbst die Optik der Inszenierung in Form von Bühne (MAGDA WILLI) und Kostüm (VANESSA BORGMANN) konnte mich nicht überzeugen.
Die Bühne bestand nur aus zwei Räumen, die auf einer runden Drehbühne mal den einen (die reichen Werles), mal den anderen (die armen Ekdals) zeigte.
Das ist doch etwas zu wenig.
Und die Klamotten waren einfach nur hässlich.

Fazit: Bemüht, aber fehlgeschlagen.

Holger Jacobs, ph: Holger Jacobs

 

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and videographer.

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