GOTT im Berliner Ensemble

"GOTT", Berliner Ensemble, Foto: Matthias Horn

GOTT im Berliner Ensemble

 

Von Holger Jacobs

14.10.2020

Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂 (vier von fĂŒnf)

Das neue TheaterstĂŒck von Ferdinand von Schirach stellt wieder eine Gewissensfrage zur Diskussion.

Als am 26. Februar 2020 das Bundesverfassungsgericht den Paragraphen 217 des Strafgesetzbuches nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und damit fĂŒr nichtig erklĂ€rte, ging dieses Ereignis im aufziehenden Gewitter der Corona-Pandemie etwas unter.

Doch einer hatte ganz genau zugehört: Ferdinand von Schirach, der im eigentlichen Leben Rechtsanwalt ist und aus den Erfahrungen seines Berufes schon viele BĂŒcher geschrieben hat.
Von Schirach gilt als der erfolgreichste Schriftsteller unserer Zeit, seine Werke landen regelmĂ€ĂŸig auf Platz 1 der Bestseller-Listen. Seine bekanntesten Romane sind sicherlich „VERBRECHEN“, „SCHULD“ und „DER FALL COLLINI“. Von Schirachs erstes TheaterstĂŒck „TERROR“ hatte am 5. Oktober 2015 gleichzeitig im Theater Frankfurt (inszeniert vom damaligen Intendanten Oliver Reese, der jetzt Intendant am Berliner Ensemble ist und das StĂŒck „GOTT“ hier zur UrauffĂŒhrung brachte) und im Deutschen Theater in Berlin seine Premiere.
Kultur24 berichtete damals von dieser Premiere von „TERROR“ 2015 im Deutschen Theater in Berlin.

„TERROR“ wurde zum erfolgreichsten zeitgenössischen TheaterstĂŒck in Deutschland. Bisher wurde es in 60 Theatern in 11 LĂ€ndern aufgefĂŒhrt. Allein in Deutschland gab es bisher ĂŒber 1000 AuffĂŒhrungen und konnte in der Spielzeit 2016/ 2017 sogar Goethes „FAUST“ ĂŒberholen…

Ein Programm Tipp:
Am 23. November 2020 bringt die ARD im Fernsehen um 20.15 Uhr (bereits jetzt in der Mediathek zu sehen) das StĂŒck „GOTT“ als Fernsehspiel. Mit Lars Eidinger (Schauspieler an der SchaubĂŒhne Berlin) als Anwalt Biegler, Ulrich Matthes (Schauspieler am Deutschen Theater Berlin) als Bischof Thiel, Barbara Auer als Vorsitzende, Ina Weisse als Ethikratsmitglied, Anna-Maria MĂŒhe als VertrauensĂ€rztin, Christiane Paul als Richterin Litten und Matthias Habich als Richard GĂ€rtner. Hier geht der Suicid Wunsch nĂ€mlich von einem Mann aus. Unbedingt anschauen!

7 photos: „GOTT“ auf ARD| Das Erste am 23.11.2020 © ARD Degeto

Corona

Das Berliner Ensemble lĂ€sst die Zuschauer zurzeit Corona-bedingt nur in einzelnen SchĂŒben in das Haus eintreten: Um 19.00 Uhr alle, die im Parkett sitzen, um 19.10 Uhr fĂŒr die im 1. Rang und um 19.20 Uhr den 2. Rang.
Um 19.30 Uhr schließlich beginnt die Vorstellung.
Seit der neuen Regelung des Berliner Senats fĂŒr Veranstaltungen vom 11. September dĂŒrfen jetzt die Zuschauer bis auf 1 Meter Distanz nebeneinandersitzen. Allerdings gibt es auch keine freien Reihen mehr und viele Zuschauer sitzen dadurch im BE direkt vor oder hinter einem anderen Zuschauer, was sicherlich weniger als einen Meter Abstand bedeutet.
Aber solange es keinen Superspreader bei einem dieser Vorstellungen gibt, wird sich wohl auch keiner beschweren. Ich saß zum GlĂŒck in einer Loge, bei der von vier StĂŒhlen nur 2 besetzt waren – mit 1,50 Meter Abstand, was eine ungewohnte und auch sehr angenehme Freiheit fĂŒr Arme und Beine bedeutete.
Die Masken mĂŒssen jetzt aber die gesamte Vorstellung lang getragen werden.

Meine Kritik jetzt auch als Podcast:

Handlung + Kritik

Auch in dem neuen StĂŒck von Ferdinand von Schirach geht es um das Thema Justiz, aber auch wie immer in seinen Werken um WĂŒrde und Freiheit.
Bei „GOTT“ geht es besonders um letzteres.

Beim Eintreten in den Theatersaal sieht der Zuschauer auf der BĂŒhne einen hohen Raum, der, Ă€hnlich wie in einem Hörsaal, mehrstufige SitzbĂ€nke aufweist, dem Publikum zugewandt.

Langsam treten nacheinander 8 Personen ein; manche unterhalten sich, manche sitzen nur da und schauen vor sich hin. Schließlich ergreift einer der Anwesenden das Wort, richtet sich an das Publikum und stellt sich als Vorsitzender des Deutschen Ethikrates , den es auch in der realen Welt gibt, vor.
Es handelt sich hier um einen SachverstÀndigenrat mit 26 Mitglieder, die auf vier Jahre vom BundesprÀsidenten berufen werden auf Vorschlag der Bundesregierung und des Bundestages.

Der Ethikrat soll mit einem Expertenteam aus Wissenschaftlerin, Juristen und Theologen unabhÀngig dringende Fragen der Gesellschaft diskutieren. Der Rat ist sowohl Dialogforum, als auch Beratungsgremium.
Er soll die gesellschaftliche Diskussion durch öffentliche Veranstaltungen fördern. Genau ein solches ist das neue TheaterstĂŒck von Ferdinand von Schirach.

Auf der BĂŒhne gibt der Vorsitzende des Ethikrates (Gerrit Jansen) das heutige Thema des Ethikrates bekannt, welches hier (als TheaterstĂŒck) öffentlich diskutiert werden soll:
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 26. Februar 2020 ĂŒber die Zulassung eines Ă€rztlich assistierten Suizids.

Konkret geht es in dieser Sitzung um die anwesende Elisabeth GÀrtner (Josefin Platt), 78 Jahre alt, die nicht mehr leben möchte, seitdem ihr Mann vor drei Jahren verstarb und lange auf diese Entscheidung des Verfassungsgerichts gewartet hatte.
Sie trĂ€gt ihren Wunsch zu Sterben mit viel Inbrunst und Überzeugungskraft vor.
Ebenfalls anwesend: Ihre VertrauensÀrztin Frau Brandt (Christine Schönfeld), die das tödliche Medikament Natrium-Pentobarbital  bereitstellen soll und ihr Anwalt Biegler (Martin Rentzsch).

Doch zunÀchst trÀgt auf Aufforderung die Verfassungsrichterin Litten (Judith Engel) die Rechtslage vor.
Das Bundesverfassungsgericht setzte in seinem Urteil insbesondere die Selbstbestimmung ĂŒber das eigene Leben in Freiheit und Autonomie vor allem anderen. Der Mensch hast das Recht selber bestimmen zu dĂŒrfen, ob er leben möchte oder nicht.
Egal unter welchen UmstÀnden.
Denn es geht nicht allein, wie man vielleicht denken sollte, um bereits todkranke Menschen, die nur noch am Tropf hÀngen, sondern auch um kerngesunde Menschen egal welchen Alters, die den Wunsch hegen, aus dem Leben zu scheiden.
Diesem Wunsch muss entsprochen werden. Und derjenige darf sich dabei von einem Arzt helfen lassen, indem dieser ihm die tödliche Medizin besorgt. Einnehmen muss sie TodessĂŒchtige aber selber.
Auf Nachfrage bestÀtigt Richterin Litten, dass es in anderen LÀndern teilweise schon seit langem eine Möglichkeit des assistierten Suicids gibt.
So in den Niederlanden, Belgien und der Schweiz, sowie in einigen US-amerikanischen Bundesstaaten.

Besonders die Schweiz gilt in dieser Hinsicht weltweit als am liberalsten. Bereits seit 1982 gibt es dort in dafĂŒr vorgesehenen Instituten die Möglichkeit freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Seit dieser Zeit haben ca. 3000 Menschen aus der ganzen Welt kommend diese Möglichkeit wahrgenommen.
Im letzten Jahr sogar 85 Deutsche.

Der NĂ€chsten, der der Vorsitzende das Wort erteilt, ist Frau Keller (Bettina Hoppe), ein Mitglied des Ethikrates. Sie meint, die Erlaubnis zum assistierten Suicid könnte zu einem enorm anwachsenden Suicid-Wunsch psychisch labiler Personen fĂŒhren, die sich vielleicht nur wegen eines flĂŒchtigen Liebeskummers umbringen möchten.
Anwalt Biegler aber erwidert, dass das Bundesverfassungsgericht der Freigabe zum assistierten Suicid eine grĂŒndliche psychologische und medizinische Beratung voransetzt.
Ähnlich, wie es schon beim Schwangerschaftsabbruch der Fall ist.

Danach tritt Herr Sperling (Ingo HĂŒlsmann) auf. Er ist Vorsitzender der deutschen Ärztekammer und ein vehementer Gegner dieser neuen Regelung. Ärzte wĂ€ren schon allein durch ihren Hippokratischen Eid (nach einem griechischen Arzt der Antike benannt) daran gebunden, Leben zu retten und nicht zu vernichten. Die Frage, ob sich dann Frau GĂ€rtner lieber vor einen Zug werfen oder von einem Haus springen solle lĂ€sst ihn dann etwas hilflos zurĂŒck.
In Deutschland liegt ĂŒbrigens die Höhe der Selbstmorde jĂ€hrlich bei ca. 10.000.

Ganz zum Schluss kommt die Frage an den katholischen Bischoff Thiel (Veit Schubert). Mit ihm liefert sich Anwalt Biegler ein spannendes Wortgefecht, welches auch den Höhepunkt des Abends bildet. Der Bischoff behauptet nÀmlich, dass der Mensch, von GOTT geschaffen, gar kein Recht auf Selbstbestimmung in Bezug auf sein Leben hÀtte, weil GOTT ihm das Leben geschenkt habe.
Dieses Geschenk dĂŒrfe der Mensch natĂŒrlich nicht zurĂŒckgeben.

Anwalt Biegler entgegnet, dass nirgendwo in der Bibel stĂŒnde, Gott hĂ€tte den Menschen gesagt, sie dĂŒrften sich nicht selber töten (steht ĂŒbrigens auch nicht in der jĂŒdischen Tora oder dem islamischen Koran).
Der Bischoff erwidert, der heilige Augustinus hĂ€tte aber im 400. Jahrhundert n.Ch. dieses Verbot ausgesprochen. Und Papst Johannes Paul II. hĂ€tte sogar verfĂŒgt, dass der Selbstmord mit einem Mord an einer anderen Person gleichzusetzen wĂ€re.

Am Schluss wendet sich der Vorsitzende an das Publikum und bittet um eine Abstimmung: Wer ist fĂŒr diese neue Regelung oder wer möchte lieber zur alten Regelung zurĂŒck, in der der assistierte Suicid unter Strafe gestellt wurde.
Zu meinem Erstaunen gab es eine Mehrheit gegen die neue Regelung, 204 contra und nur 146 pro.
Im Internet könnt Ihr die Abstimmungsergebnisse aller 5 Theater in Deutschland, in denen das StĂŒck zurzeit gespielt wird, nachlesen.

Dabei stellt sich heraus, dass nur hier in Berlin ca. 60% dagegen sind, wĂ€hrend in Hamburg, DĂŒsseldorf und Trier ĂŒber 60% dafĂŒr sind.
Sind die Berliner in dieser Frage weniger aufgeklĂ€rt, als der Rest der Bundesrepublik? Oder hat das vielleicht etwas mit der frĂŒheren DDR zu tun?
Ich weiß es nicht.
Hier im Publikum gestern Abend konnte ich feststellen, dass besonders Àltere Menschen dagegen stimmten.

Fazit: Das StĂŒck ist genial und politisch hochaktuell, wie immer bei Ferdinand von Schirach. Insgesamt fand ich die Inszenierung damals von „TERROR“ am Deutschen Theater aber etwas spannender. Auch sprachlich waren einige Schauspieler gestern Abend nicht auf der Höhe.
Überzeugen konnten dagegen Martin Rentzsch als Anwalt, Veit Schubert als Bischoff und Josefin Platt als Elisabeth GĂ€rtner.

„GOTT“ von Ferdiand von Schirach
Premiere/ UrauffĂŒhrung war am 10. September 2020
Regie: Oliver Resse
Berliner Ensemble
NĂ€chste Vorstellungen am 14., 15., 30. und 31. Oktober 2020.

Bilderserie mit 9 Fotos der AuffĂŒhrung:

9 photos: v.l.n.r. Ingo HĂŒlsmann (Sperling), Judith Engel (Litten), Martin Jentzsch (Biegler), Gerrit Jansen (Vorsitzender), Veit Schubert (Bischof Thiel), „Gott“ von Ferdinand von Schirach, Regie: Oliver Reese

 

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and videographer.

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