Peer Gynt von Henrik Ibsen in der Volksbühne

Peer Gynt - Volksbühne Berlin - Foto: Roeder/ Jacobs

Peer Gynt von Henrik Ibsen in der Volksbühne

 

Von Holger Jacobs

30.09.2025

Wertung: 🙂 🙂 (zwei von fünf)

Acht Stunden mit Schauspielern in Masken, verzerrten Stimmen und herumspritzendem Sperma

Die Volksbühne war immer schon für einen Skandal gut.
Hier durfte sich CHRISTOPH SCHLINGENSIEF in den 2000er Jahren austoben mit Stücken wie „Kunst und Gemüse, A. Hipler“ von 2004 oder „Karpow City“ 2006.

Christoph Schlingensief – Nestroy-Preisverleihung 2009

Oder die Installation „Porn of Pure Reason“ 2013 mit Bildern, Videos und Gegenständen, die irgendwie mit Pornografie zu tun haben.

„Porn of Pure Reason“, 2013, Volksbühne Berlin, ph: Holger Jacobs

FRANK CASTORF beendete seine Volksbühnen Intendanz 2017 mit einer sieben-stündigen „Faust“ Inszenierung und JONATHAN MEESE veranstaltete 2023 mit „Monsau“, zwei Stunden Nonsens ohne Handlung.

Und natürlich darf in dieser Aufzählung die Regisseurin FLORENTINA HOLZINGER nicht fehlen, die mit „Sancta“ 2024 für einen Skandal sorgte und mit ihrem „A Yeare without Summer“ 2025 (kultur24 berichtete) ebenfalls viel Kritik erntete.
Nacktheit, Gewalt und Körperflüssigkeiten sind dabei allgegenwärtig geworden.

„Porn of Pure Reason“, 2013, Volksbühne Berlin, ph: Holger Jacobs

Vegard Vinge – Ida Müller

Das Regie-Duo VEGARD VINGE und IDA MÜLLER, welches jetzt „Peer Gynt“ an der Volksbühne einstudiert hat, passt da genau hinein.
Beide sind bereits für ihre überlangen und extremen Inszenierungen bekannt. 2011 gab es eine „Jon Gabriel Borkman“ Inszenierung über 12 Stunden an der Volksbühne und 2017 das mehrere Tage und Nächte andauernde „Nationaltheater Reinickendorf“ in einer Lagerhalle in Berlin.
Auch für „Peer Gynt“ wollte VEGARD VINGE wieder mehr als 10 Stunden, doch die Schauspielergewerkschaft schritt ein und verlangte 8 Stunden maxi.
Immer noch viel zu lange.

Die sehr schöne Musik von EDVARD GRIEG, die dieser extra zum Theaterstück schrieb, wird leider nur am Anfang, während das Publikum seine Plätze findet, eingespielt.

„Peer Gynt“, Volksbühne Berlin, ph: Holger Jacobs

Handlung

Das Drama „Peer Gynt“ war von dem norwegischen Autoren HENRIK IBSEN (1828 – 1906) zunächst als Gedicht oder als Erzählung gedacht, bis er es 1876 doch als Bühnenstück herausbrachte.
Die Uraufführung war am 24.02.1876 im Christiania Theater in Oslo.
Heute hat dieses Werk für Norwegen eine ähnliche Bedeutung wie der „Faust“ von JOHANN WOLFGANG VON GOETHE für die Deutschen.

Im Gegensatz zu GOETHES Faust ist IBSENS Hauptfigur Peer Gynt kein Gelehrter und angesehener Mann, sondern genau das Gegenteil:

„Peer Gynt“, Volksbühne Berlin, ph: Julian Roeder

Ein armer Bauernsohn, der versucht, mit Lügengeschichten sich eine bessere Welt vorzustellen. In seiner Traumwelkt leben Trolle und Dämonen, die die Menschen beherrschen. Verzweiflung und Gewalt beherrscht seine Seele.
Eines Tages entführt Peer eine junge Braut und missbraucht sie.

„Peer Gynt“, Volksbühne Berlin, ph: Julian Roeder

Dann verliebt er sich in die pietätvolle Solvejg, verlässt sie aber wieder und zieht in die Welt hinaus.
Nach einem Zeitsprung von 30 Jahren, in denen er in Afrika durch Sklavenhandel reich wurde, findet er sich in Marokko wieder und wird dort von seinem Geschäftspartner um sein Geld betrogen.
Verarmt kehrt er nach Hause zurück, wo ihm auch noch seine Seele genommen werden soll.
Doch Solvejg, die all die Jahre auf ihn gewartet hat, rettet ihn vor der Verdammnis.

„Peer Gynt“, Volksbühne Berlin, ph: Julian Roeder

Kritik

In VEGARD VINGES und IDA MÜLLERS Inszenierung könnt Ihr all das, was Ihr in der oben beschriebenen Handlung gelesen habt, gleich wieder vergessen.
Fast.
Was bleibt ist der Titel des Stücks und ein junger Mann mit seiner Mutter.
Alle weiteren auftretenden Personen erinnern nur wage an die im Theaterstück.

„Peer Gynt“, Volksbühne Berlin, ph: Holger Jacobs

Der Abend beginnt mit einem großen, halbdurchsichtigen Plastikvorhang, der teils bemalt ist, teils den Blick auf hintere Kulissen freigibt.

Zunächst wird ein Video auf den Vorhang geworfen, der einen jungen Mann mit blonder Perücke und weißer Gesichtsmaske zeigt, der in schrillen, verzerrten Tönen Dinge sagt, die der Zuschauer kaum versteht.
Ich verstand das Wort „Wahrheit“, sonst nichts.

„Peer Gynt“, Volksbühne Berlin, ph: Julian Roeder

Weiteres Merkmal der Sprache sind ständige Wiederholungen, die einhergehen mit Wiederholungen von Körperbewegungen.
Dabei werden die Bewegungen sehr langsam ausgeführt, als wenn die Zeit gedehnt wird.

Was ich spannend fand waren die verschiedenen Spielebenen.
Einmal wird etwas auf der Leinwand gezeigt, was offensichtlich vorproduziert wurde und gleich darauf sieht man, wie ein Kameramann dieselbe Szene live hinter dem Vorhang aufnimmt. Vorproduziertes und Reales wechseln sich ab. Genauso wie mal vor und mal hinter dem Vorhang gespielt wird, nur durch ein paar durchsichtige Stellen im Plastikvorhang sichtbar.
Erst nach ca. einer Stunde wird der Vorhang weggezogen.
Eine weitere Besonderheit sind die weißen Masken, die die Protagonisten bis zuletzt aufbehalten. Dadurch, dass auch die Stimmen verzerrt werden, bleiben die Darsteller hinter den Masken komplett anonym. In einer neuen Szene könnte es auch ein völlig neuer Schauspieler sein, der in dieselbe Rolle schlüpft, ohne das der Zuschauer es bemerkt.

„Peer Gynt“, Volksbühne Berlin, ph: Julian Roeder

Besonders positiv fällt das Bühnenbild auf, in welchem alles wie in einem Puppenhaus wirkt. Selbst eine Zahnbürste ist primitiv aus vier länglichen Hölzern gefertigt und anschließend sehr kindhaft bemalt (zu sehen in Großaufnahme im Video).

„Peer Gynt“, Volksbühne Berlin, ph: Julian Roeder

Die Puppenkisten-Charakteristik setzt sich auch in den Bewegungen der Schauspieler fort, die sich in langsamen, schlurfenden Schritten fortbewegen, als wären sie wie in einem Marionettentheater an Fäden aufgehängt.

Das wäre an Positivem auch schon alles.

Die ständigen Wiederholungen und schrillen Stimmen gehren mit der Zeit ziemlich auf die Nerven. Als der Hauptdarsteller dann noch auf offener Bühne anfängt zu onanieren und seinen Samen auf die Brust seiner Partnerin spritzt, war meine Geduld am Ende. Mit mir verließen dann zahlreiche andere Zuschauer ebenfalls den Theaterraum. Ich habe nichts gegen Sexualität und Erotik, solange sie in irgendeiner Weise ästhetisch rüberkommt.
Aber wenn es bei mir Ekel erzeugt, dann geht selbst der größte Theater-Enthusiasmus verloren.

Ich bin schon länger der Ansicht, dass wir eines Tages auch sich kopulierende Paare auf der Bühne erleben werden.
Wie in einem „Bumms-Lokal“ auf der Reeperbahn in Hamburg.
Fragt sich nur, ob das positiv zum Theatervergnügen beisteuern wird oder nicht.

Fazit: Schwer erträglich.

„Peer Gynt“, Volksbühne Berlin, ph: Julian Roeder

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and videographer.

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