Premiere „Gods and Dogs“ vom Staatsballett Berlin
Von Holger Jacobs
29.06.2025
Wertung: 🙂 🙂 🙂 (drei von fünf)
Ein Ballett-Abend mit zwei modernen Choreographien
Zum Abschluss der Saison 2024/25 zeigt das Staatsballett Berlin noch einmal zwei Stücke von zwei zeitgenössischen Choreographen:
JIRI KYLIAN und CHRYSTAL PITE.
Während die Choreographie „Angels‘ Atlas“ von CRYSTAL PITE bereits im letzten Jahr von unserem Ballett-Ensemble einstudiert und gezeigt wurde, war „Gods and Dogs“ komplett neu.
„Gods and Dogs“
Der tschechische Choreograph JIRI KYLIAN, , 1947 in Prag noch unter Sowjetischer Besatzung geboren, begann bereits im Alter von 9 Jahren an der Ballettschule der Prager Oper zu trainieren.
1967 durfte er ausreisen und ein Stipendium an der Royal Ballet School in London wahrnehmen.
Nach seiner Ausbildung kehrte er nicht in sein Heimatland zurück, sondern wurde Ensemble-Mitglied beim Stuttgarter Ballett unter Direktor JOHN CRANKO.
Kaum, dass er in Stuttgart angekommen war, begann er bereits eigene Stücke zu realisieren und wurde auch explizit von seinem Chef dazu angeregt.
1973 schuf er seine erste Choreographie für das damals renommierteste Ballettensemble Europas, das Netherlands Dance Theater.
Bereits zwei Jahre später wurde er ihr Direktor, was er 24 Jahre blieb – eine einmalige Karriere. Allein für das Netherlands Dance Theater schuf er über 70 Choreographien, weitere für das Stuttgarter Ballett, das Bayerische Staatsballett, die Pariser Oper und das Ballett in Tokyo.
Zahlreiche Auszeichnungen folgten. Seit 1973 lebt und arbeitet er mit der Tänzerin SABINE KUPFERBERG zusammen.
Anders, als klassische Handlungsballette, die schon seit über 100 Jahren bekannt sind, kennen wir von zeitgenössischen Stücken gar nichts, wenn sie uns zum ersten Mal vorgeführt werden.
So auch bei „Gods and Dogs“.
Weshalb das Programmheft für die Interpretation etwas mithelfen muss.
JIRI KYLIAN beschäftigt sich wohl seit den 80er Jahren mit surrealistischen und abstrakten Tanzformen.
Auf dieser Basis ist scheinbar auch „Gods and Dogs“ entstanden zu sein.
Nach JIRI KYLIANS eigener Aussage wollte er darstellen, wie leicht unsere Psyche von scheinbarer Normalität in Wahnsinn übergleiten kann.
Aber nicht nur der Übergang von einem gesunden Geist zu einem kranken, sondern auch das plötzliche Auftreten einer Krankheit in einem bis dahin gesunden Körper soll hier zum Ausdruck gebracht werden.
Es sind die Brüche im Leben, die uns Menschen ausmachen.
Und wie wir damit umgehen.
Vier (Tanz-) Paare kommen nacheinander auf die Bühne und zeigen fließende, harmonische Bewegungen, untermalt mit der eingängigen Musik einer Komposition von LUDWIG VAN BEETHOVEN.
Doch plötzlich gibt es einen Bruch, ein lautes, metallisches Geräusch ist zu hören und die elektronische Musik des zeitgenössischen Komponisten DIRK HAUBRICH (*1966) setzt ein.
Die Bewegungen der Tänzerinnen und Tänzer wirken jetzt abgehackt, scheinbar unkontrolliert und die Münder formen sich zu lautlosen Schreien.
Besonders bemerkenswert ist ein gedrehter Sprung einer Tänzerin direkt in die Arme ihres Partners.
Im Eistanz würde man von einem Salchow oder Rittberger sprechen.
Wow!
So etwas habe ich in den vielen Ballett-Aufführungen, die ich in meinem Leben schon erlebt habe, noch nie gesehen.
Absolut beeindruckend.
Entsprechend geht ein großes „Bravo“ hier an die beteiligten Ensemble-Mitglieder.
Auch die anderen Paare müssen mit viel Technik und Können diesen Parforceritt der Choreographie bestehen.
Beeindruckend auch der riesige Vorhang im Hintergrund, der aus vielen metallisch glänzenden Schnüren besteht.
Er kommt während der Vorstellung langsam nach unten und fängt am Schluss an hin und her zu schwingen, woraus sich eine wunderschöne Wellenbewegung ergibt.
Hier mein Video mit einem kleinen Ausschnitt aus „Gods and Dogs“:
Der Titel „Gods and Dogs“ geht laut JIRI KYLIAN auf die Götter-Darstellungen der alten Ägypter zurück, die ihren Heiligen oft das Antlitz von Tieren gaben.
So sieht z.B. der Kopf von ANUBIS einem Hund oder Schakal sehr ähnlich.
„Gods and Dogs“ von Jiri Kylian
Uraufführung 2008
Premiere vom Staatsballett Berlin war am 28.06.2025
Choreographie und Bühne von Jiri Kylian
Musik: Ludwig van Beethoven, Dirk Haubrich
„Angels‘ Atlas“ von Chrystal Pite
Im zweiten Teil des Abends zeigt das Staatsballett eine Arbeit der kanadischen Choreographin CHRYSTAL PITE (*1970).
Sie hatte lange unter dem Ballettdirektor WILLIAM FORSYTHE in Frankfurt getanzt.
Parallel entwickelte sie bereits in jungen Jahren eigene Choreographien.
PITE ist freischaffend und lebt und arbeitet heute mit ihrer eigenen Kompanie in Vancouver.
Doch immer wieder wird sie für Auftragsarbeiten an viele Balletthäuser der Welt geholt.
Das Stück „Angel’s Atlas“ entwickelte CHRYSTAL PITE 2020 für das National Ballett of Canada.
2021 wurde es von Ballett Zürich übernommen, als unser heutiger Ballettdirektor CHRISTIAN SPUCK dort noch Intendant war.
„Angels‘ Atlas“ zeigt auf einer sich über die ganze Bühne erstreckenden Videoleinwand ein beeindruckendes Lichterspiel, welches Signale von weit entfernten Galaxien darstellen könnten.
Im Vordergrund bewegen sich fast gleichförmig 35 Tänzerinnen und Tänzer wie Wogen eines Meeres zur Musik von Tschaikowsky, Morten Lauridsen und Owen Belton.
Das Stück kreiert schöne Bilder, doch fehlt mir ein geistiger Ansatz, der diesen Bildern einen Sinn verleihen würde.
So plätschert die Performance 40 Minuten vor sich, ohne dass es für mich sichtbare Höhepunkte gibt.
Weshalb mein Urteil über „Angels‘ Atlas“ auch eher bescheiden ausfällt.
„Angels‘ Atlas“ von Chrystal Pite
Uraufführung 2020
Premiere vom Staatsballett war 28.04.2024
Choreographie von Chrystal Pite
Bühne: Jay Gower Taylor, Kostüme: Nancy Bryant
Mit dem Ensemble des Staatsballett Berlin
Nächste Vorstellungen: Am 2., 6., 7., 13. Und 18. Juli 2025
Bilderserie mit sechs Fotos von „Gods and Dogs“ und „Angels‘ Atlas“ :
English test
Premiere of „Gods and Dogs“ by the Berlin State Ballet
By Holger Jacobs
June 29, 2025
Rating: 🙂 🙂 🙂 (three out of five)
English text
A ballet evening with two modern choreographies
To conclude the 2024/25 season, the Berlin State Ballet will once again present two pieces by two contemporary choreographers:
JIRI KYLIAN and CHRYSTAL PITE.
While CRYSTAL PITE’s choreography „Angels‘ Atlas“ was already rehearsed and performed by our ballet ensemble last year, „Gods and Dogs“ was completely new.
„Gods and Dogs“
Czech choreographer Jiri Kylian, born in Prague in 1947 under Soviet occupation, began training at the Prague Opera Ballet School at the age of 9. In 1967, he was allowed to leave the country and accept a scholarship to the Royal Ballet School in London.
After completing his training, he did not return to his homeland but became a member of the Stuttgart Ballet ensemble under director John Cranko.
Barely had he arrived in Stuttgart when he began creating his own pieces, explicitly encouraged to do so by his director.
In 1973, he created his first choreography for what was then Europe’s most renowned ballet ensemble, the Netherlands Dance Theater.
Just two years later, he became its director, a position he held for 24 years – a unique career.
He created over 70 choreographies for the Netherlands Dance Theater alone, as well as others for the Stuttgart Ballet, the Bavarian State Ballet, the Paris Opera, and the Tokyo Ballet.
Numerous awards followed.
Since 1973, he has lived and worked with the dancer Sabine Kupferberg.
Unlike classical narrative ballets, which have been known for over 100 years, we know nothing about contemporary pieces when they are first presented to us.
This is also the case with Jiri Kylian’s „Gods and Dogs.“
Which is why the program booklet must provide some assistance with the interpretation.
JIRI KYLIAN has been working with surrealist and abstract dance forms since the 1980s.
„Gods and Dogs“ also seems to have originated on this basis.
According to JIRI KYLIAN’s own statement, he wanted to depict how easily our psyche can slip from apparent normality into madness.
But not only the transition from a healthy mind to a sick one is to be expressed here, but also the sudden onset of illness in a previously healthy body.
It is the disruptions in life that define us as human beings.
And how we deal with them.
Four (dance) couples come onto the stage one after the other and demonstrate flowing, harmonious movements, accompanied by the catchy music of a composition by LUDWIG VAN BEETHOVEN.
But suddenly there’s a break, a loud, metallic noise is heard, and the electronic music of contemporary composer DIRK HAUBRICH (*1966) begins.
The dancers‘ movements now appear jerky, seemingly uncontrolled, and their mouths form silent screams.
Particularly noteworthy is a dancer’s twisting leap directly into the arms of her partner.
In ice dancing, this would be called a Salchow or Rittberger.
Wow!
I’ve never seen anything like this in all the ballet performances I’ve seen in my life.
Absolutely impressive.
Accordingly, a big „bravo“ goes to the ensemble members involved.
The other couples also have to endure this dazzling choreography tour de force with great technique.
Also impressive is the huge curtain in the background, made of many shiny metallic cords.
It slowly descends during the performance and begins to swing back and forth at the end, creating a beautiful undulating motion.
According to Jiri Kylian, the title „Gods and Dogs“ goes back to the ancient Egyptian depictions of gods, who often gave their saints the faces of animals.
For example, the head of ANUBIS closely resembles a dog or jackal.
„Gods and Dogs“ by Jiri Kylian
World premiere 2008
Premiere by the Berlin State Ballet on June 28, 2025
Choreography and stage design by Jiri Kylian
Music: Ludwig van Beethoven, Dirk Haubrich
Dancers: Irina Wheeler, Mark Geilings, Fiona McGee, Martin ten Korthaar, Emma Antrobus, Jan Casier, Michelle Willems, Matthew Knight
„Angels‘ Atlas“
In the second part of the evening, the State Ballet presents a work by Canadian choreographer CHRYSTAL PITE (*1970).
She danced for a long time under ballet director WILLIAM FORSYTHE in Frankfurt.
At the same time, she developed her own choreographies at a young age.
PITE is a freelancer and now lives and works with her own company in Vancouver.
However, she is regularly commissioned by many ballet companies around the world.
CHRYSTAL PITE developed the piece „Angels‘ Atlas“ in 2020 for the National Ballet of Canada.
In 2021, it was performed by Ballet Zurich when our current ballet director CHRISTIAN SPUCK was still their artistic director.
„Angels‘ Atlas“ presents an impressive play of lights on a video screen extending across the entire stage, which could represent signals from distant galaxies.
In the foreground, 35 dancers move almost uniformly like the waves of an ocean to the music of Tchaikovsky, Morten Lauridsen, and Owen Belton.
The piece creates beautiful images, but I lack a intellectual approach that would give these images a meaning.
Thus, the performance ripples along for 40 minutes without any visible climaxes.
Which is why my assessment of „Angels‘ Atlas“ is rather modest.
„Angels‘ Atlas“ by Chrystal Pite
World Premiere 2020
The Staatsballett premiere was April 28, 2024
Choreography by Chrystal Pite
Stage Design: Jay Gower Taylor, Costumes: Nancy Bryant
With the ensemble of the Staatsballett Berlin
Next performances: July 2, 6, 7, 13, and 18, 2025
Image series with five photos of „Gods and Dogs“ and „Angels‘ Atlas“:
Author: Holger Jacobs
Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and videographer.