Unterwerfung nach Michel Houellebecq am Schauspielhaus Hamburg

Unterwerfung - Schauspielhaus Hamburg 2016 © Klaus Lefebvre

Unterwerfung nach Michel Houellebecq am Schauspielhaus Hamburg

 

Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂 🙂  (fünf von fünf)

 

Von Julia Engelbrecht-Schnür

 

Julia-Engelbrecht-Schnür-Portrait-2-120

 

6.2.2016

 

Für mich steht schon jetzt fest: „Unterwerfung“ am Schauspielhaus ist die Inszenierung des Jahres zwischen Elbe und Alster. Mit frenetischem Applaus bedankte sich das Hamburger Premierenpublikum am Sonnabend nach fast zweieinhalb Stunden packender Theaterkunst bei dem erschöpften Einzeldarsteller Edgar Selge und der erleichterten Intendantin Karin Beier, die den Roman von Michel Houellebecq so gelungen auf die Bühne holte. Als fesselnden Monolog.

 

Wer das verstörende Buch über die Islamisierung von Paris im Jahre 2020 gelesen hat, stellt schon nach wenigen Minuten fest: Genauso, habe ich ihn mir vorgestellt, diesen Protagonisten, diesen Literaturprofessor Francois, der desillusioniert und frustriert auf sein Leben und die Gesellschaft blickt, seinen sexistischen Neigungen nachspürt und sich in einer selbstmitleidigen Egozentrik verliert. Genauso muß auch der Autor des viel diskutierten Romans „Unterwerfung“ ihn sich vorgestellt haben. Wäre Michel Houellebecq jetzt unter den Zuschauern, er hätte seine wahre Freude an dem facettenreichen Mimenspiel dieses 67jährigen Ausnahmekünstlers.

 

Als hätte sich die Kaaba von Mekka bis kurz vor die erste Zuschauerreihe geschoben (Bühnenbild Olaf Altmann), verstellt eine pechschwarze und unüberwindbare Wand den Blick in den Bühnenraum. Nur ein schmaler Streifen Bühnenfläche bleibt sowie in der Senkrechte ein mannshohes Kreuz, das wie ausgestanzt in der schwarzen Wand klafft. Diese verknappte Spielfläche dient Edgar Selge, um die emotionale Enge und Ausweglosigkeit von Francois’ abendländischem Dasein sichtbar zu machen. Und wie ihm das gelingt! Mal klemmt, mal hängt, mal hangelt er sich durch das Kreuz und schließlich glitscht er von den Schrägen, als sich das christliche Symbol auch noch zu drehen beginnt. Wie in der rotierenden Trommel einer Müllabfuhr wird Francois mit dem Müll seiner verdreckten Vorstellungen durcheinander geworfen. „Die Menschheit interessiert mich nicht. Sie widert mich an“, gellt es aus seinem von Selbstmordgedanken getrübten Hirn, das sich nach Erlösung sehnt.

 

Als die faustsche Falle zuschnappt und Francois der Verlockung eines Lebens im Dienste Allahs, also in der Unterwerfung, erliegt (drei Frauen, dreifaches Gehalt), löst sich die Enge auf. Die schwarze Wand weicht gespenstisch in den Hintergrund, das Kreuz verschwindet, Raum entsteht. Verschleierte Frauen schaffen Ordnung in das Requisiten-Chaos aus Mülltüten, Schnapsflaschen und besudelter Kleidung. Endlich Erleichterung. Ja, so reizvoll könnte ein Leben als Moslem auf uns wirken. Das ist es, was uns Michel Houellebecq mahnend zu denken geben will. Wir werden dieser Verlockung viel entgegen zu setzen haben (müssen).

 

 

„Unterwerfung“,

Deutsches Schauspielhaus Hamburg,

Kirchenallee 39

20099 Berlin

Nächste Vorstellungen am 10., 16., 17. Februar sowie 3.,12., 16. und 26. März, jeweils 20 Uhr.

 

"Unterwerfung", Edgar Selbe, Schauspielhaus Hamburg © Klaus Lefebvre

„Unterwerfung“, Edgar Selbe, Schauspielhaus Hamburg © Klaus Lefebvre

Author: Julia Engelbrecht-Schnür

Journalistin

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