Zum Tode des Fotografen David Hamilton
Von Holger Jacobs
28.11.2016
Intro:
Am vergangenen Freitag starb der britische Fotograf David Hamilton in seinem Appartement, 41, boulevard du Montparnass im 6. Arrondissement von Paris.
Ein Nachruf:
Kitschig und pädophil sind die häufigsten Attribute, die heute über den denjenigen gesagt werden, der einst der bekannteste Fotograf der 70e- Jahre war. Seine Bildbände verkauften sich millionenfach und seine Poster hingen in fast allen (Mädchen!)-Zimmern der ganzen Welt. Warum gibt es heute eine so unterschiedliche Rezeption?
Die Zeit der 60er und 70er Jahre war eine völlig andere als heute. In vielen Dingen, aber besonders in der Sexualität. Nach der Depression der Nachkriegsjahre und der Prüderie der 50-er gab es damals nur eine Devise: Raus aus dem Mief! Der Drang nach Freiheit und Selbstbestimmung über sich und seine Sexualität war wie eine Explosion und erfasste die gesamte westliche Welt. Von Wien bis Chicago, von Helsinki bis San Francisco.
Schwule wollten schwul, Lesben lesbisch sein und alles dazwischen. So machte sich auch keiner Gedanken darüber, ob das Ablichten eines nackten minderjährigen Mädchens vielleicht Pädophilie sein könnte. In der heutigen Zeit mit den furchtbaren Missbrauchsfällen von Minderjährigen an Schulen und Kirchen sieht man das ganz anders. Würde heute jemand eine 12 Jährige fragen, ob er sie nackt fotografieren dürfe, käme wahrscheinlich die Polizei.
Gleichzeitig gab es Ende der 60er, Anfang der 70er, einen Hang zum Romantisch-Verklärten. Provoziert durch die Anti-Vietnam-Bewegung „Make love, not war“. Blümchen im Haar, Rüschen- Kleider und Blüschen, lange Halsketten, die bis über den Gürtel baumelten, geraffte, trägerlose Tops, Jeans mit weiten Schlaghosen und knallengem Po. Woodstock lässt grüßen.
David Hamilton bediente diese romantische Sexualität mit Perfektion. Genauso wie jede Zeit ihre Künstler hat, so hat sicher auch jede Zeit ihre Fotografen. Hamilton war der Lichtbildner der Stunde.
Dass diese Zeit schon bald vorbei war, wird deutlich, als 1976 das Ehepaar Bernd und Hilla Becher die Professur für Fotografie an der renommierten Kunstakademie in Düsseldorf annahmen. Sie waren bekannt geworden durch das immer gleiche Fotografieren von Industrieschornsteinen…
Andreas Gursky, Thomas Ruff, Thomas Struth, Candida Höfer waren die Topstars, die später aus deren Klasse hervorgingen.
Auch die Sexualität hat sich in den letzten 40 Jahren verändert. Wo noch in den 70er der Aufbruch herrschte, kam in den 80er der Konservatismus in Politik und Gesellschaft zurück (Kohl, Reagan, Thatcher). Und Ende der 80er kam Aids.
Ich hatte David Hamilton 1978 auf Sylt kennengelernt, wo er im Sommer häufig wohnte und Aufnahmen machte. Er hatte damals eine Ausstellung in einer kleinen Galerie in Westerland. Er war mir aber nicht besonders sympathisch. Er hatte etwas Schmieriges an sich.
Kurz vor seinem Tod wurde er von einer französischen Fernsehmoderatorin der Vergewaltigung bezichtigt, als sie mit Hamilton 1987 als 13-jährige im Nudisten-Camp Cap d’ Agde in Südfrankreich Aufnahmen machten. Ob das stimmt wird wohl nie mehr geklärt werden..
Ein Nachbar hatte David Hamilton am Freitag Abend leblos in seine Wohnung gefunden. Wie die Polizei später feststellte hatte er Tabletten genommen. Um 21.35 Uhr Ortszeit wurde er für tot erklärt.
Die Bilderserie zeigt seine bekanntesten Bücher, „Dreams of a young girl“ (1971), „Sisters“ (1973), „Private Collection“ (1976), „Bilitis“ (1977) und „Zärtliche Cousinen“ (1981). Mit dem letztgenannten Film wurde übrigens unsere deutsche Schauspielerin Anja Schüte („Der Trotzkopf“) bekannt. So wie die franz. Schauspielerin Emmanuelle Béart mit Hamiltons Film „Premiers Désirs“ 1983. Weiterhin seht Ihr eine Veröffentlichung in einer Spezialausgabe der franz. Vogue Beauté von 2003, sowie der franz. „L’Imbécile“ von 2004.
Author: Holger Jacobs
Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.