Der Mensch im Holozän – Deutsches Theater
nach Max Frisch in einer Fassung von Thom Luz und David Heiligers
Von Severin Lohmer
28.9.2016
Intro
Auch das Deutsche Theater in Berlin hat sich für die neue Theatersaison ein besonderes Theaterstück ausgesucht.
Wobei die Frage erlaubt ist, wird da ein Theaterstück im klassischen Sinne inszeniert?
Ich behaupte nein und trotzdem lohnt sich der Abend. Es ist eher ein gelungener Kunstabend, mit viel Musik, sehr zurückgenommenen Schauspielern und atmosphärischen Bildern, die erst ganz langsam, aber nachhaltig ihre Wirkung entfalten. Als Vorlage dient die Erzählung „Der Mensch erscheint in Holozän“ von Max Frisch, aus dem Jahre 1979.
Inhalt
Herr Geiser, ein einsamer alter Mann, hat sich in einem Bergdorf zurückgezogen. Er ist noch körperlich und geistig fit, aber einsam und ist sich darüber bewusst, dass sein Ende mehr oder weniger Nahe ist. Um dem nicht ins Auge sehen zu müssen, folgt er einem strengen Tagesablauf mit Gartenarbeit und Einkäufen. Diese Routine wird durch eine bevorstehende Naturkatastrophe mit Bergsturz und starken Regenfällen unterbrochen. Herr Geiser zieht sich in seine Hütte zurück und macht kauzige Dinge: aus Knäckebrot-scheiben baut er hohe Pagoden und flutet seine Räume mit unzähligen Zetteln voller Lebensweisheiten. Dabei steht, wie er selbst sagt, ein Gedanke immer im Vordergrund: „Schlimm ist nicht das Unwetter – schlimm wäre der Verlust des Gedächtnisses“.
Als das Unwetter, weniger schlimm als erwartet, vorbeizieht, endet das geistige Leben von Herrn Geiser mit einem Schlaganfall.
Kritik
Die erste Hälfte dieses neunzigminütigen Abends besteht nur aus atmosphärischen Versatzstücken: Ulrich Matthes, als Herr Geiser, erscheint immer wieder stumm in seiner Hütte und beobachtet das Geschehen. Judith Hofmann führt als Fremdenführerin ein Gruppe durch die einsame Bergwelt und die Bühne, die zu einem Großteil aus wandernden Klavieren besteht, führt ein musikalisches Eigenleben.
Auch die zweite Hälfte des Abends ist eingerahmt in eine gewisse schweizerische Gelassenheit. Nun ergreift Herr Greiser das Wort. Wer jetzt ein großes Spiel von Ulrich Matthes erwartet, wird enttäuscht. Er nimmt sich ganz zurück und lässt Platz für die Musik, die Geräusche und vielen Lichtstimmungen zwischen Hell und Dunkel. Der Text steht hier bewußt nicht im Vordergrund, sondern ist Teil eines Kunstabends des Schweizer Regisseurs Thom Luz.
Am Ende verließ ich den Saal und dachte an 90 unaufgeregte Minuten, aber auch an die Angst vor dem Verlust des Gedächtnisses.
Als Teaser gibt es ein kleines Video von der Foto/Tv Probe auf kultur24.berlinTV
„Der Mensch im Holozän“
Musikalische Bearbeitung: Mathias Weibel
Bühne: Wolfgang Menardi, Thom Luz
Kostüme: Sophie Leypold
Herr Geiser – Ulrich Matthes
Elisabeth – Judith Hofmann
Corinne – Franziska Machens
Schwiegersohn – Leonhard Dering
Sonnenforscher – Wolfgang Menardi
Armand Schulthess – Danièle Pintaudi
Deutsches Theater Berlin
Schumannstrasse 13a
117 Berlin
nächste Vorstellungen: 28. September, 13. und 22. Oktober 2016
Author: Holger Jacobs
Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
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Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.