Duato – Kylian – Naharin – Staatsballett Berlin
Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂 (vier von fünf)
Von Holger Jacobs
22.10.2015
Liebe Kulturfreunde,
Ballett ist nicht jedermanns Sache. Für die einen ist es nur ein „Rumgehopse“, für die anderen ist es zu schwülstig und wieder andere finden es schlicht langweilig.
Der neue Ballettabend an der Deutschen Oper Berlin ist sicher nicht langweilig, manchmal etwas schwülstig und rumgehopst wird sehr viel, aber das ganz bewusst.
Worum geht es?
Drei weltbekannte Choreographen, Nacho Duato (Intendant in Berlin), Jiri Kalian und Ohad Naharin wurden vom Staatsballett Berlin eingeladen, einen gemeinsamen Abend zu gestalten mit drei verschiedenen Stücken. Solche Gemeinschaftsproduktionen werden gerne gemacht, ist es doch für den Zuschauer besonders interessant mehrere Choreographien zu vergleichen und die verschiedenen Stilrichtungen kennenzulernen. Zumal, wenn Sie von solchen Topstars der Szene inszeniert und choreographiert werden.
Die Drei sind im ähnlichem Alter und kennen sich schon viele Jahre. Alle eint, dass sie eine klassische Ballettausbildung gemacht haben und trotzdem moderne Choreographien im zeitgenössischen Stil beherrschen. Häufig zeigen sie aber auch Mischformen zwischen Klassik und Moderne, besonders bei Kylian und Duato.
Am weitesten entfernt vom klassischen Ballet hat sich der Israeli Ohad Naharin. Er kam schon früh mit modernem Tanz in Berührung Seine ersten Schritte machte er in der Batsheva Dance Company in Tel Aviv, welche von Baroness Bethsabée (Batsheva) de Rothschild (*1914 – †1999) mit Hilfe der berühmten Martha Graham aus New York 1964 gegründet wurde. Heute ist Naharin selbst Leiter dieser Company. Mit Ihnen entwickelte er den sogenannten „Gaga“ Tanzstil, der einem Unwissenden schnell den Eindruck des Rumgehopses vermitteln könnte. Dabei handelt es sich um eine wilde und freie Form der Bewegung, die von jedem Tänzer individuell ausgeführt wird. Und dennoch ergibt sich in seinem Stück „Secus“ eine klare Struktur. Getanzt wird in Straßenkleidung und barfuß. Alles strahlt eine große Fröhlichkeit und Lebendigkeit aus und erinnert an ein junges Pferd, dass unbändig umhertollt. Es hat mir sehr gut gefallen.
Dagegen ist Nacho Duatos Stück am Anfang des Abends eher schwer und bedrohlich. „Castrati“ zeigt einen jungen Mann, der, um die jungenhafte Stimme zu erhalten, kastriert werden soll. Im 17. Und 18. Jahrhundert war das bei Sängern durchaus üblich. Häufig wurden diese Männer dann große Stars auf den Opernbühnen.
Jiri Kylian ist einmal mehr der Star des Abends. Seine Choreographie „Petite Mort“ hat auch mit Sexualität zu tun, aber nicht mit kastrierter, sondern mit leidenschaftlicher: drei Pärchen zeigen wie es ist, wenn sich der Mensch mit großer Hingabe seinen Gefühlen ausliefert. Petite mort steht im französischen für den Orgasmus und meint damit die Erschöpfung des Mannes nach dem Höhepunkt. Wunderschöne Musik (Adagio aus den Klavierkonzerten Nr. 21 und Nr. 23 von Mozart), tolle Bewegungen und ein starker Ausdruck: Die Solisten des Staatsballetts zeigten sich auf höchstem Niveau. Mir kamen die Tränen. Es war pure Lust und ein Vergnügen zuzuschauen.
Nacho DUATO – „Castrati“, Uraufführung war am 5. April 2002 in Spanien
Ohad NAHARIN – „Secus“, Uraufführung war am 12. Febr. 2005 in Tel Aviv
Jiri KYLIAN – „Petite Mort“, Uraufführung war am 23. August 1991 bei den Salzburger Festspielen
Mit den Solisten und dem Corps de Ballett der Staatsoper Berlin
Weitere Aufführungen am 23., 27. und 29. Oktober, sowie am 4. und 20. November 2015
Author: Holger Jacobs
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Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.