Parsifal bei den Münchner Opernfestspielen

Parsifal - Jonas Kaufmann - Foto: Ruth Walz

Parsifal bei den Münchner Opernfestspielen

 

Von Karin Zander

03.07.2018

english text below

Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂 (vier von fünf)

Erlösung dem Erlöser – Parsifal an der Bayerischen Staatsoper

Berlin feiert Nebtrebko und Domingo, zu Recht. Aber auch das Münchner Festspielpublikum jubelt über eine Opernproduktion auf einsamem Weltklasseniveau:  Jonas Kaufmann (Parsifal), Nina Stemme (Kundry), René Pape (Gurnemanz), Christian Gerhaher (Amfortas) , Wolfgang Koch (Klingsor)  – dieses Ensemble ist kaum zu toppen.

Getragen werden die Sänger von dem Zauberer am Pult des Bayerischen Staatsorchester: KIRILL PETRENKO dirigiert mit Leidenschaft und einer durchsichtiger Klarheit , die jede Nuance der Komposition zum Glänzen bringt und den Sängern die Möglichkeit gibt, in den leisen Stellen durch zarte, lyrische Stimmschönheit  zu begeistern und im Fortissimo mit Leichtigkeit über das große Orchester hinweg zu klingen. Kein Forcieren, kein berüchtigtes Wagnergetöse- niemals. Es gibt an diesem Abend – ich war in der zweiten Vorstellung am 1. Juli – Momente von so unvergesslicher Schönheit, wie ich sie in einem „Parsifal“ noch nie erlebt habe (und ich habe schon so einige erlebt und erlitten).

Dieser Münchner Parsifal bekommt seine Einmaligkeit aus dem Orchestergraben und aus der Intensität der Sänger. Und damit hat die BAYERISCHE STAATSOPER  etwas möglich gemacht, was über alle berechtigte Kritik an dem, was unzulänglich ist, hinaus weist:

Sie zeigt die Notwendigkeit von Richard Wagners Spätwerk – allen überflüssigen Phrasen des „Meisters“ und seiner Anhänger über das „Weihefestspiel“ und seine spirituelle Wirkung zum Trotz. Der Komponist hat mit dieser Oper ein – ich wage das große Wort – ewiges Werk geschaffen, das uns beschäftigen muss, das uns berührt, das zum Nachdenken und zum genauen Immer- Wieder- Hören verpflichtet.


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 empfiehlt die Bayerische Staatsoper


Kritik

So sehr der Maler GEORG BASELITZ  mit seinen  Kunstwerken auch die Bühne beherrschen will – im ersten Akt ein karger Märchenwald, im zweiten Akt eine auf Leinwand gemalte, in der Mitte geteilte Mauer und im 3. Akt wieder der Märchenwald, diesmal wie zu erwarten, in der Luft über Kopf hängend, alles in grau-braunen Farben gehalten – so würden seine eher belanglosen Bildwerke doch dem Regisseur PIERRE AUDI genügend Raum für eine eigene Konzeption lassen – doch leider ist diese an keine Stelle erkennbar.
Dabei könnte man im ersten Moment, wenn man sehr gutwillig an die Sache heran geht, der kaum vorhandenen Regie sogar dankbar sein, denn immerhin zeigt Audi durch seine indifferente Haltung, dass er mit der Gemengelage des Quasi- Religiösen in diesem Stück nichts zu tun haben will und damit befreit er es von der Vorstellung, hier ginge es um einen im weitesten Sinne christlichen Inhalt, irgendwo zwischen Requiem und Oberammergauer Passionstheater angesiedelt.

Mit jüdisch-christlichem Verständnis hat diese Oper tatsächlich überhaupt nichts zu tun, auch wenn christliche Versatzstücke aus dem Kontext heraus in die Geschichte hinein geschmolzen sind. Das erkennt man schnell. Gut so. Aber wenn das klar ist, warum das Heidnische dann nicht beim Namen nennen? Warum die Helden-Anbetung verniedlichen, das Monströse des Götzendienstes außer Acht lassen?  Kein sichtbarer Gral und ein Mini—Spieß als Speer-Ersatz.

Warum nutzt Audi nicht die darstellerischen Möglichkeiten des Ensembles, um die Rollen mit Leben zu erfüllen? Vor allem: warum setzt er nicht auf die charismatische Ausstrahlung von Jonas Kaufmann, um einen „Erlöser“ zu zeigen, dem die gebeutelte Menschheit blind hinterherläuft? Kaufmann (wie auch seine Sänger-Kollegen) bekommt keine ihn stützende Regie, um die Strahlkraft und Gefahr eines Quasi-Messias darzustellen, denn Audi hat einen wesentlichen Lehrsatz des Theaters nicht beherzigt:
Niemand kann einen König spielen, die anderen müssen spielen, dass er der König ist!

Und genau das geschieht eben nicht. Pierre Audi zeigt eine Inszenierung ohne Mut und ohne Haltung. Wenn es aber eine Oper gibt, die man nicht auf die Bühne bringen sollte ohne eine klare, dezidierte Haltung, dann ist es Parsifal.

JONAS KAUFMANN macht das Beste aus dem Regie-Vakuum. Er zieht vom seinem ersten Auftritt an durch sein intensives Spiel und seine aussagestarke Gesangskunst die Führung des Geschehens an sich. Der junge, hübsche Naturbursche der ersten beiden Akte liegt ihm noch immer sowohl darstellerisch als auch stimmlich, wenn der ganz sanfte Schmelz der Stimme auch den Heldenrollen der letzten Jahre ein wenig geopfert wurde. Im Zusammenspiel mit RENE PAPE (Gurnemanz), der mit beeindruckender Souveränität, großer Textverständlichkeit und gesanglicher Farbigkeit die vielen Facetten seiner Endlos- Partie bewältigt, gelingt ihm eine berührende Sensibilität und Nähe, die sicher auch auf der langjährigen Vertrautheit der beiden Sänger basiert. Entsetzt dagegen  beobachtet Parsifal die heiligen Handlungen und den an seiner Dauerwunde dahin siechenden, aber noch immer recht temperamentvollen Amfortas , den CHRISTIAN GERHAHER mit viel Ausdruckskraft singt und im Gegensatz zu der minimalistischen Spielweise seiner Kollegen für meinen Geschmack ein wenig zu theatralisch spielt.

Nachdem WOLFGANG KOCH als Klingsor mit voluminöser Stimme den bösen Zauberer im Kasperltheater vor dem Vorhang gegeben hat, lässt Jonas Kaufmann die Liebesspiele mit den in degoutante Nackt- Trikots gekleideten Blumenmädchen (ein Pendant zu der ebenso geschmacklosen Nacktheit der Gralsritter im ersten Akt) so lebensecht erscheinen, dass man ihn inmitten von soviel Hässlichkeit nur bedauern kann. Er schnuppert an den Frauen und wundert sich, dass ihn die Hängebrüste und dicken Bäuche nicht wirklich anmachen.

So soll Liebe aussehen? Armer Parsifal! Dann allerdings kommt die wirkliche Herausforderung in Form von NINA STEMME als Kundry die nach ihrem Zottelhexenauftritt in ersten Akt nun in weiblicher Schönheit ihre Erotik ausspielen und ihre volle warme Stimme zum Strahlen bringen kann. Jonas Kaufmann spielt  diese Szene mit seiner Partnerin zusammen  so innig, dass  sein „Paulus – Erlebnis“, das Erkennen seiner Berufung, umso entsetzlicher erscheint.  „Amfortas, die Wunde!“ – mit  voller, warmer Stimmkraft singt Kaufmann diesen Monolog wie einen entsetzten Hilfeschrei und dem Publikum läuft ein Schauer über den Rücken. Ein furchtbares Wunder hat diesen Mann aus seinem bisherigen Leben, aus seiner eigenen Persönlichkeit herauskatapultiert.

Auch im dritten Akt ist es Jonas Kaufmanns Intensität zu danken, dass  die Entwicklung Parsifals zur Leuchtfeuerfigur einigermaßen plausibel wird. Weder René Pape noch Nina Stemme bekommen von der Regie Hilfen, um diese Wandlung durch ihre Reaktion sichtbar und verstehbar zu machen. Leichte, verschämt wirkende Lichtwechsel sind das einzige Mittel, um die von Parsifal selbst geforderte Salbung zum König und seine ersten Amtshandlungen optisch zu verstärken.

Ich hatte den Eindruck, dass der (Titel-) Held des Abends selbst über seine offensichtlich überirdische Wunderkraft staunte, als sich zur erlösenden Schlussmusik ein leichter, durchsichtiger Gazevorhang mit aufgemalter Taube in goldenem Licht vor die Szene senkte. Parsifal konnte dank fehlender Regieleistung nicht zeigen, woher seine Wirkkraft kam und wozu er sie nutzen wird – aber Jonas Kaufmann wusste sehr wohl, dass er ein großes Werk an diesem Abend vollbracht hat.

„Erlösung dem Erlöser“ – ach ja, man hätte szenisch noch so viel mehr daraus machen können mit diesen grandiosen Sänger-Darstellern und Musikern! Ein berechtigter Jubel-Applaus und Standing Ovation dankte dem Ensemble für die lange, wundersame Sternstunde, die, wenn schon nicht erlösen, so doch versöhnen konnte.

PARSIFAL von Richard Wagner, Musikalische Leitung Kirill Petrenko, Regie Pierre Audi, Bühenbild Georg Baselitz, Kostüme: Florence von Gerkan
Mit Jonas Kaufmann, Nina Stemme, Rene Pape, Christian Gerhaher, Wolfgang Koch
Nächste Vorstellungen: 5., 8. und 31. Juli 2018

Hier unsere Bilderserie mit 16 Fotos aus allen drei Akten:

16 Photos: Amfortas (Christian Gerhaher) und Parsifal (Jonas Kaufmann), PARSIFAL © Wilfried Hösl/ Bayerische Staatsoper

english text

Parsifal at the Munich Opera Festival
By Karin Zander
07/03/2018
Berlin celebrates Nebtrebko and Domingo, rightly. But also the Munich Festival audience cheers on an opera production on a lonely world class level: Jonas Kaufmann (Parsifal), Nina Stemme (Kundry), René Pape (Gurnemanz), Christian Gerhaher (Amfortas), Wolfgang Koch (Klingsor) – this ensemble is hard to beat.
The singers are carried by the magician on the podium of the Bavarian State Orchestra: KIRILL PETRENKO conducts with passion and a transparent clarity, which brings every nuance of the composition to shine and gives the singers the opportunity to inspire in the quiet places by tender, lyrical vocal beauty and to sound fortissimo over the great orchestra with ease. No forcing, no notorious Wagnergetös- never. There are moments of such unforgettable beauty that I have never experienced in a Parsifal (and I’ve seen and suffered so many) on this evening – I was in the second performance on July 1st.
This Munich Parsifal gets its uniqueness from the orchestra pit and from the intensity of the singers. And with that, the BAVARIAN STATE OPERA has made possible something that points beyond all justified criticism of what is inadequate:
It shows the necessity of Richard Wagner’s late work – all superfluous phrases of the „master“ and his followers about the „consecration festival“ and its spiritual effect in defiance. With this opera the composer has created a – I dare say the great word – eternal work that has to occupy us, that touches us, that makes us think and listen carefully.
Critics
As much as the painter GEORG BASELITZ wants to dominate the stage with his works of art – a meager fairytale forest in the first act, in the second act a wall painted on canvas, divided in the middle, and in the third act again the fairytale forest, this time as expected, in hanging overhead, all in gray-brown colors –
his rather inconsequential pictures would leave the director PIERRE AUDI enough room for his own conception – but unfortunately this is not recognizable at any point. In the first instance, if you approach the issue very well, you might even be grateful to the hardly existing director, because after all, Audi’s indifferent attitude shows that he has nothing to do with the mumbling of the quasi-religious in this piece he wants and thus frees it from the idea that this is about a Christian content in the broadest sense, somewhere between Requiem and Oberammergauer Passionstheater settled.
But with Jewish-Christian understanding, this opera actually has absolutely nothing to do, even if Christian elements have melted out of context into history. You can tell that quickly. OK then. But if that’s clear, then why not call the pagan by name? Why divine hero worship neglect the monstrosity of idolatry? No visible Grail and a mini spit as a spear substitute.
Why does not Audi use the acting possibilities of the ensemble to bring the roles to life? Above all, why does he not rely on the charismatic charisma of Jonas Kaufmann to show a „Savior“, who blindly runs after the shaken humanity? Kaufmann (as well as his singer-colleagues) does not get him supporting director, to represent the radiance and danger of a quasi-Messiah, because Audi has not heeded a key proposition of the theater:
Nobody can play a king, the others have to play that he is the king!

And that is exactly what is not happening. Pierre Audi shows a production without courage and without attitude. But if there is an opera that should not be put on stage without a clear, dedicated attitude, then it is Parsifal.
JONAS KAUFMANN makes the most of the directorial vacuum. From his first appearance, he attracts the lead of the action through his intense playing and his expressive vocal art. The young, handsome male nature of the first two acts is still both actorically and vocally, if the very gentle melancholy of the voice was sacrificed a little to the heroic roles of recent years. In conjunction with RENE PAPE (Gurnemanz), who masters the many facets of his endless play with impressive sovereignty, great text comprehension and vocal color, he succeeds in creating a touching sensibility and closeness, which is certainly based on the longtime familiarity of the two singers. On the other hand, Parsifal, horrified, observes the ordinances and Amfortas, who is languishing at his permanent wound but still quite spirited, and who, with much expressiveness, sings and in contrast to the minimalist style of his colleagues, plays a little too theatrically for my liking.
After WOLFGANG KOCH as Klingsor with voluminous voice has given the evil wizard in the puppet theater in front of the curtain, Jonas Kaufmann lets the love games with the dressed in degoutant nude jersey flower girls (a counterpart to the equally tasteless nudity of the Grail Knights in the first act) so lifelike appear that you can only regret him in the midst of so much ugliness. He sniffs at the women and wonders that his dangling breasts and big bellies do not really turn him on.
So should love look like? Poor Parsifal! Then, however, the real challenge comes in the form of NINA STEMME as Kundry after their shit witch appearance in the first act now in female beauty play their eroticism and bring their full warm voice to radiate. Jonas Kaufmann plays this scene so intimately with his partner that his „Paulus experience“, the recognition of his calling, all the more appalling. „Amfortas, the wound!“ – Mercer sings this monologue like a horrified cry for help with full, warm vocal power and the audience runs a shiver down his spine.
A terrible miracle has catapulted this man out of his previous life, out of his own personality.
Also in the third act, it is Kaufmann’s intensity and cultivated vocal beauty, with which he expresses equally lyrical moments and dramatic outbursts to express that the development of Parsifal the beacon figure is reasonably plausible. Neither René Pape nor Nina Stemme get help from the director to make this change visible and understandable through their reaction. Light, shameful changes of light are the only means of visually reinforcing the anointing required by Parsifal himself as king and his first official acts.
I had the impression that the (title) hero of the evening himself was amazed at his obviously supernatural miracle power, when a light, transparent gauze curtain with a painted dove in golden light sank down to the releasing final music. Parsifal could not show where his effectiveness came from and what he would use it for, due to the lack of directing power – but Jonas Kaufmann knew well that he had done a great job that night.
„Salvation to the Redeemer“ – oh yes, you could have made so much more scenic with these great singer-actors and musicians! A justified cheering applause and a standing ovation thanked the ensemble for the long, wondrous, glorious moment that could, if not redeem, at least reconcile.

PARSIFAL by Richard Wagner, Conductor Kirill Petrenko, Director Pierre Audi, Painting Georg Baselitz, Costumes: Florence von Gerkan
With Jonas Kaufmann, Nina Stemme, René Pape, Christian Gerhaher, Wolfgang
cook
Next performance: 5, 8 and 31 July 2018

Author: Karin Jacobs-Zander

Karin Jacobs-Zander, Dramaturgin und Autorin der Bücher „Lebenslotsen“ und „Wo München am schönsten ist“ aus dem Ellert & Richter Verlag, lebt in München als freie Journalistin

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