R.W. Fassbinder im Berliner Ensemble

Bremer Freiheit - Berliner Ensemble © Lucie Jansch

R.W. Fassbinder im Berliner Ensemble

 

Von Severin Lohmer

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26.5.2016

Aus gegebenem Anlass möchte ich diese Kritik einmal anders beginnen: Das Stück „Bremer Freiheit“, dass seine Premiere am 21. Mai im Berliner Ensemble feierte, ist die erste Inszenierung der jungen Regisseurin Catharina May. Die erste Regiearbeit ist für jeden Regisseur immer etwas ganz besonderes. Dazu muss man wissen, dass die meisten angehenden Regisseure nach langer Ausbildung häufig als Assistent in irgendeinem Provinznest landen und selbst dort vergeblich auf ihre erste Regiearbeit warten müssen. Catharina May studierte in Wien, arbeitete danach bei verschiedenen Regisseuren als Assistentin, bevor sie schließlich zum Berliner Ensemble kam. Zur Entscheidung, Catharina May ihr erstes Stück am BE inszenieren zu lassen, kann man dem Intendanten Claus Peymann nur gratulieren.

Rainer Werner Fassbinders 16. Bühnenstück „Bremer Freiheit“, uraufgeführt 1971 (und von ihm selbst 1972 verfilmt), geht auf eine Anfang des 19. Jahrhunderts tatsächlich stattgefundenen Mordserie in Bremen zurück. Gesche Gottfried mordete dort mehrere Jahre in ihrem engeren Umfeld. Ihre beiden Ehemänner, ihren Liebhaber, drei ihrer Kinder, ihre Eltern und weitere 7 Personen. Sie war 1831 in Bremen die letzte Frau, die öffentlich enthauptet wurde. Noch heute gibt es einen Erinnerungsstein am Bremer Dom.

Natürlich geht es Fassbinder nicht nur um die spannende Kriminalgeschichte, sondern um die Motivlage. Warum wird eine Frau zur Mörderin? „Bei mir geht es um die Ausbeutbarkeit von Gefühlen, von wem auch immer sie ausgebeutet werden.“ – „Meine Auffassung von Liebesgeschichten klassischer Art ist, dass Zweierbeziehungen Unterdrückungsstrategien der bestehenden Gesellschaft sind.“

Ein Kriminalhauptkommissar aus der heutigen Zeit zum Wesen weiblicher Tötungskriminalität: „Wenn Frauen töten, dann hat das immer auch etwas mit Männern zu tun. Ihre Taten basieren häufig auf zwischen-menschlichen Konflikten, die gravierend sind oder als gravierend empfunden werden und mit einer Fremdbestimmung durch den männlichen Partner einhergehen. In der Mehrzahl der Fälle sollen durch die Tat Beziehungen verhindert oder beendet oder ermöglicht werden – inkriminierte Befreiungsschläge.“

Der Bühnenbildner Karl-Ernst Hermann hat eine einfache, aber sehr vielseitig bespielbare Bühne geschaffen. Ein roter Laufsteg zieht sich wie ein Blitz durch den Raum, die dazugehörige Beleuchtung erinnert sehr an Catharina Mays ehemaligen Meister Robert Wilson und die einzigen Requisiten bestehen aus 15 harmlosen Kaffeetassen.

Catharina May kann im Berliner Ensemble auf ein wunderbares Ensemble zurückgreifen: Da ist zunächst die Hauptfigur, Krista Birkner, die sehr einprägsam eine kraftvolle Frau spielt, die einfach nur leben und lieben möchte und nur durch die Umstände zu einer beängstigenden Mörderin wird. Ursula Höpfner-Tabori überzeugt als strenge, vom Leben gezeichneten Mutter. Und bei den Männern treten vor allen Joachim Nimitz als Vater der Mörderin und Axel Werner als Pater hervor.

Wie lebte und liebte Fassbinder als Regisseur in seinem Verhältnis zu seinen Darstellerinnen? In seinem Stück „Bremer Freiheit“ traut keiner einer Frau zu, den Betrieb ihres Mannes zu übernehmen. Das hat sich heute mit Angela Merkel und vielen weiblichen Frauen in der Politik sehr geändert.

In der Welt des Theaters sieht es leider anders aus: Während noch vor wenigen Jahren 16 % der Theaterhäuser von Frauen geführt wurden, sind es heute nur noch 7 %. Ab 2016 müssen börsennotierte Konzerne 30 Prozent ihrer Aufsichtsratsposten mit Frauen besetzen. Ob sich solch eine Regelung jemals für Theater durchsetzen ließe, die uns doch so gerne den Spiegel der Gesellschaft vorhalten?

Bremer Freiheit - Berliner Ensemble © Lucie Jansch

5 Bilder: Bremer Freiheit – Berliner Ensemble © Lucie Jansch

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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