Clavigo am Deutschen Theater Berlin

Clavigo - Deutsches Theater Berlin 2015 © Holger Jacobs

Clavigo am Deutschen Theater Berlin

Wertung: 🙂 🙂 🙂    (drei von fünf)

Von Holger Jacobs

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15.11.15

Liebe Kulturfreunde,

 

Intro:

 

Bei meiner Rezession vor ein paar Tagen über „Le Nozze di Figaro“ an der Staatsoper Berlin schrieb ich noch: „Mozart, ach Mozart, wir lieben Dich“, dieses Mal könnte ich schreiben: „Ach Regie-Theater, wir lieben Dich gar nicht!“ Was in den 70er- und 80er Jahren so populär war, ist nun wieder im Vormarsch. Dabei sind Neu-Interpretationen von Stücken, gerade wenn sie 200- oder 300 Jahre alt sind, durchaus wünschenswert. Das kann gut oder sogar sehr gut werden, wie der „Faust 1“ von Michael Thalheimer vor 10 Jahren am Deutschen Theater, als vor komplett schwarzer Bühne gespielt wurde und nur die Schauspieler zu sehen und der Text von Goethe zu hören war. Basta. Das war grandios. Es geht auch umgekehrt, wie man es gerade bei der Faust-Inszenierung von Robert Wilson im Berliner Ensemble sehen kann, mit starken Farben, den Wilson-typischen maskenhaften Gesichtern und ausgeklügelter Bühnen und Lichttechnik. Auch das kann funktionieren. Aber was Stephan Kimmig hier als Regisseur bei Clavigo gemacht hat, will nicht recht überzeugen. Der erste Akt ist schon mal ganz gestrichen und der Rest des Textes wird nur in Auszügen bruchstückhaft präsentiert. Er wird ersetzt durch mehrere Einlagen, teils als Gesang (Marie: „Concerning the Universe“), teils als Vortrag (eine Gerda Viertel spricht über die Welthungerhilfe), Clavigo singt „I am a contemporary woman“ und eine Frau als Josephine Baker verkleidet zitiert Spottlieder aus einer weiteren Schrift Goethes.

Zwischendurch wird immer wieder auf das ursprüngliche Drama zurückgegriffen, welches sich zumindest wie ein roter Faden durch den Abend zieht.

 

Die Handlung (Das Original von Goethe):

 

Clavigo, ein Mann aus armen Verhältnissen, kommt nach Madrid und lernt, Marie, die Schwester des angesehenen franz. Dichters Beaumarchais (historisch), kennen und lieben. Durch die angesehene Verbindung bekommt er Zugang zum Hof und wird Archivar beim König. Doch oben angekommen, verlässt er Marie trotz Eheversprechens. Als eines Tages der Bruder von Marie zu Besuch kommt, stellt er Clavigo zur Rede und verlangt ein Abbitte- Schreiben für die Schwester, welches Clavigo auch unterschreibt. Doch der beste Freund von Clavigo, Carlos, will nicht, dass sich sein Freund zu etwas schriftlich verpflichtet. Clavigo sucht Marie auf, zeigt Reue und will Marie nun heiraten. Beaumarchais zerreißt daraufhin den Brief. Doch Carlos kann Clavigo davon überzeugen, erst einmal zu verschwinden und die Hochzeit nicht stattfinden zu lassen. Als Clavigo längere Zeit nicht mehr auftaucht ahnt Beaumarchais nichts Gutes. Plötzlich kommt auch noch die Nachricht, dass Clavigo Beaumarchais wegen Nötigung angeklagt hat. Marie wird vor Kummer schwer krank und stirbt. Bei ihrer Beerdigung kommt es zum Duell zwischen Clavigo und Beaumarchais, welches Clavigo nicht überlebt. Kurz vor seinem Tod fragt er noch, wie Marie gestorben ist: „Ihre letzten Worte waren Dein unglücklicher Name“.

 

Kritik:

 

Clavigo“ ist ein eher selten gespieltes Stück. Wohl auch, weil solche Art von Eheversprechungen heute kaum noch praktiziert werden und selbst die Ehe nicht mehr als ultimatives Ziel unserer Gesellschaft gilt. Seit der Uraufführung 1774 hat sich doch sehr viel verändert. Das muss sich auch Stephan Kimmig gedacht haben und hat deshalb versucht etwas ganz anderes daraus zu machen. Mehr wie ein bunter Abend mit viel Gesang (Musik: Polyester), viel Kostüm (Johanna Pfau), viel Video (Julian Krubasik, Lambert Strehlke) und interessantem Bühnenbild (Eva-Maria Bauer). Für’ s Auge wird wahrhaftig Einiges geboten. Besonders der zunächst am Boden liegende und zum Schluß stehende Heißluftballon ist äußerst schön anzuschauen. Und auch die Video-Projektionen, die sich teils im Ballon, teils auf einer den ganzen Bühnenraum fassenden Leinwand abspielen, sind gut gemacht.

Eine weitere Besonderheit ist die Tatsache, dass außer einer männlichen Rolle, die des Carlos (Moritz Grove), alle Figuren umgekehrte Geschlechter aufweisen; also: Clavigo wird von Susanne Wolff (wie immer großartig) gespielt, Marie von Marcel Kohler, Beaumarchais von Katheen Morgeneyer und Maries Freund, Buenco, von Franziska Machens. Wohl um zu zeigen, dass in Liebesfragen beide Geschlechter letztlich gleich treu oder untreu, gleich falsch oder aufrichtig sein können. Das wird aber beim Text manchmal schwierig, wenn zwar Clavigo gemeint, aber mit „sie“ angesprochen, umgekehrt von Marie und „er“ erzählt wird. Die Kostüme (Johanna Pfau) sind ein bunter Mix von Parker mit Jeans (Beaumarchais), Reifrock und blaues Abendkleid (Clavigo), klassischer Business-Anzug (Carlos), Lederjacke und Rocker-Strumpfhose (Marie) und Cocktailkleid mit Tutu (Buenco).

 

Die Inszenierung wirkt wie ein Potpourri aus Zirkus, Gesang, Kostümball und ein bisschen Goethe.

 

Der Münchner Merkur schrieb über die erste Premiere dieser Produktion bei den Salzburger Festspielen (Co-Produktion) im August diesen Jahres von „Pillepalle“ und „Festival-Fiasko“. Und auch die anderen Kritiken waren nicht viel besser. Mir jedoch hat es gefallen. Es war unterhaltend, witzig und vor allem viel fürs Auge. Für einen visuellen Menschen wie mich also ein Grund hineinzugehen.

 

„Clavigo“ nach Johann Wolfgang von Goethe
Regie: Stephan Kimmig
Clavigo: Susanne Wolff
Marie: Marcel Kohler
Beaumarchais: Katheen Morgeneyer
Carlos: Moritz Grove
Buenco: Franziska Machens

 

Berlin-Premiere war am 13.11.2015
Nächste Aufführungen am 17. und 23. November, 6. und 18. Dezember 2015

 

Clavigo (Susanne Wolff) und Marie (Marcel Kohler) vor Heißluftballon, "Clavigo" am Deutschen Theater Berlin 2015 © Holger Jacobs

35 Bilder: Clavigo (Susanne Wolff) und Marie (Marcel Kohler) vor Heißluftballon, „Clavigo“ am Deutschen Theater Berlin 2015 © Holger Jacobs

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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