Die neuen Filme im Kino: „ANORA“
Von Holger Jacobs
09.11.2024
Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂 (vier von fünf)
Eine Sexarbeiterin und ihr reicher Kunde – den Vergleich mit „Pretty Women“ aber verliert der Film von Sean Baker
Früher wurden exotische Orte dazu benutzt, um für das noch prüde Publikum möglichst akzeptabel erotische Szenen drehen zu dürfen.
Das konnten Szenen in Revue-Theatern, im Zirkus, im Harem oder auch bei Zigeunern (Pardon: Roma) sein.
Mit der Sexwelle der 70er Jahre kamen sogenannte „Aufklärungsfilme“ ins Kino oder „Dokumentarfilme“ mit Berichten über Sex- und Swingerclubs oder Peepshows.
Als das nicht mehr reichte, ging man gleich zu harten Pornos über, die aber nur noch in „adult“ Kinos gezeigt werden durften.
Der neuste Trend:
Privatpersonen laden freiwillig auf kostenlosen Internet Plattformen wie YouPorn oder PornHub ihre selbstgedrehten Videos hoch – zu sehen für jedermann.
Soll wohl ein besonderer Kick sein…
In der Welt der anspruchsvollen Filme kam nach der sexuellen Befreiung der 70er Jahren eine konservative Gegenbewegung in den 80er Jahren, die mit einem „R“ Rating (ab 17 Jahren) oder „X“ Rating (ab 18 Jahren) in den USA jeden Einsatz von nackten Brüsten, nackten Pos und sichtbaren Genitalien einen Riegel vorschiebt.
„Last Tango in Paris“, 1972 © Twentieth Century Fox
Nur im Independent Kino sind diese Regeln aufgehoben.
Regisseure wie Stanley Kubkrik („Eyes wide Shut“), Paul Verhoeven („Basic Instinct“), Jacques Rivette („Die schöne Querulantin“), Jean-Jacques Annaud („Der Liebhaber“), Lars von Trier („Nymphomania“) und Bernardo Bertolucci („Der letzte Tango von Paris“) scheren sich ein Dreck um irgendwelche Limits.
Alles wunderbare, hocherotische Filme, die ich nur empfehlen kann!
Will ein Regisseur heutzutage erotische Szenen drehen geht er in Sex-Clubs.
„Anora“
Mit den vorgenannten Filmen kann sich „Anora“ von SEAN BAKER leider nicht messen.
Dabei ist es klein schlechter Film. Nur großartig ist er eben auch nicht.
„Anora“, Poster © Universal Pictures
Handlung
Die Sexarbeiterin Anora (MICKEY MADISON, auch Ani genannt, die eigentlich nicht mit ihren Kunden schläft, sondern sie in einem Strip-Club nur scharf macht und zuletzt in einer Privat Lounge ihr Gesäß an deren Unterleib reibt, wird eines Tages von Ivan (MARK EYDELSHTEYN), dem Sohn eines reichen, russischen Oligarchen, der sogar noch jünger ist, als sie selbst, für eine ganze Woche gebucht – Beischlaf mit eingeschlossen. Ani willigt ein, denn sie findet den ca. 17-jährigen Knaben einfach süß.
Gemeinsam feiern sie in New York die Nächte durch, bis es mit dem Privatjet auch mal kurz nach Las Vegas geht.
Weil Ivan keinerlei Verantwortungsgefühl, weder für sich noch für andere hat, fragt er Ani spontan, ob sie ihn heiraten möchte.
Nach kurzer Verwunderung sagt sie zu und sie treten vor den Traualtar.
Doch kaum in New York zurück, beginnt der Ärger.
Die Eltern von Ivan, die von der Heirat in Moskau Wind bekommen haben, schicken ihren Aufpasser Toros (KAREN KARAGULJAN), der für Ordnung und vor allem für eine schnelle Scheidung sorgen soll.
Ani aber will sich nicht scheiden lassen und Ivan haut ab.
„Anora“ Poster
Kritik
Die Geschichte ist eine Art Tragik-Komödie.
Zunächst ist alles super toll, selbst der Sex-Job scheint Anora riesigen Spass zu machen.
Und die anschließende Sause mit Ivan und seinen Freunden im Luxus ist natürlich ebenfalls überaus amüsant.
Der Film wird erst dann interessant, wenn Papis Aufpasser kommen, die sich als ziemlich tollpatschig herausstellen. Während Ivan den Schwanz einzieht und klein beigibt, versucht Anora zu retten, was zu retten ist.
Am Schluss aber vergeblich.
Der Film ist durchaus rasant gedreht, mit wilden Szenen im Puff und bei den Partys.
Aber die Personen bleiben recht oberflächlich.
Man sieht zwar in Anoras große, schwarze Augen, aber die Dramen, die sie vielleicht schon durchlebt hat, sieht man nicht.
Und Ivan ist nur ein dummer, verwöhnter Junge aus reichem Elternhaus.
Das aber spielt MARK EYDELSHTEYN sehr gut.
Unwillkürlich muss man an „Pretty Woman“ von 1980 mit RICHARD GERE und JULIA ROBERTS denken.
Dort heiratet ebenfalls ein reicher Mann eine Prostituierte, nachdem er sie zunächst für eine Woche gebucht hatte.
Doch selbst wenn „Pretty Women“ eine komplette Schnulze ist, so ist der Film doch perfekt realisiert, so, wie es eben nur Hollywood kann.
Der einzige interessante Character dem Film „Anora“ ist der Bodygard Igor (JURI BORISSOV), der sich in Anora verliebt, es aber vor seinen Vorgesetzten nicht zeigen darf.
Die Art, wie er ständig versucht sie vor einer Flucht zurückzuhalten und dabei aber immer bemüht ist, ihr nicht weh zu tun (obwohl sie um sich schlägt, wie eine Furie) ist guter Slapstick.
Mickey Madison -CC-Glenn Francis/Wikimedia Commons
Die 25-jährige Schauspielerin MIKEY MADISON (spielte in „Once upon a time in Hollwood“ von Tarantino eine der Charles Manson Mädchen) macht ihre Sache gut, sieht aber bei weitem nicht so gut aus wie JULIA ROBERTS und ist auch nur einigermaßen sexy.
Es war wohl nicht so einfach für die Rolle der Anora eine gute Schauspielerin zu finden, da die Sex-Szenen doch recht heftig sind – aber das Höschen bleibt natürlich immer an (bei ihm übrigens nicht!).
Fazit: Obwohl der Film die Goldene Palme bei dem Filmfestival in Cannes gewonnen hat, finde ich ihn nicht wirklich bemerkenswert.
Aber für einen kleinen Spaß am Wochenende mit seiner Freundin im Arm mag der Film recht anregend sein…
Bilderserie mit 8 Fotos aus „Anora“:
„Anora“, Mark Eydelshteyn, Mickey Madison © Universal Pictures
English text
The new films in the cinema: “ANORA”
By Holger Jacobs
November 9th, 2024
Rating: 🙂 🙂 🙂 🙂 (four of five)
A sex worker and her rich customer – but Sean Baker’s film loses the comparison with “Pretty Women”
In the past, exotic locations were used to allow erotic scenes to be shot that were as acceptable as possible for the still prudish audience.
These could be scenes in revue theaters, in the circus, in the harem or even with gypsies (pardon: Roma).
With the sex wave of the 70s, so-called “educational films” came to the cinema or “documentaries” with reports on sex and swinger clubs or peep shows.
When that was no longer enough, they switched to hard porn, which was only allowed to be shown in “adult” cinemas.
The latest trend: private individuals voluntarily upload their self-made videos to free Internet platforms such as YouPorn or PornHub – for everyone to see.
It’s supposed to be a special kick…
In the world of more serious movies, the sexual liberation of the 1970s was followed by a conservative countermovement in the 1980s, which put a stop to any use of bare breasts, bare bottoms and visible genitals with an „R“ rating (17 years and over) or „X“ rating (18 years and over) in the USA.
So if you have often wondered why the naked bodies are always covered by the bedsheet during a love act in a film, or why a „rider position“ is only shown from behind and with a cloth over the base of the bottom, then you know why.
„Last Tango in Paris“, 1972 © Twentieth Century Fox
These rules are only lifted in independent cinema.
Directors like STANLEY KUBRICK (“Eyes Wide Shut”), PAUL VERHOEVEN (“Basic Instinct”), JACQUES RIVETTE (“The Beautiful Troublemaker”), JEAN-JACQUES ANNAUD (“The Lover”), LARS VON TRIER (“Nymphomania”) and BERNARDO BERTOLUCCI (“Last Tango in Paris”) don’t give a damn about any limits. All wonderful, highly erotic movies that I can only recommend!
If a director wants to shoot erotic scenes these days, he goes to sex clubs.
„Anora“
Unfortunately, “Anora” by SEAN BAKER cannot compete with the movies mentioned above.
„Anora“, Poster © Universal Pictures
Story
The sex worker Anora (MICKEY MADISON), also called Ani, who doesn’t actually sleep with her customers but only turns them on in a strip club and finally rubs her buttocks against their abdomen in a private lounge, is one day booked by Ivan (MARK EYDELSHTEYN), the son of a rich Russian oligarch who is even younger than she is, for a whole week – including intercourse.
Ani agrees because she finds the 17-year-old boy simply cute.
They party the nights away in New York until they take a private jet to Las Vegas.
Because Ivan has no sense of responsibility for himself or for others, he spontaneously asks Ani if she wants to marry him.
After a brief moment of surprise, she says yes and they walk down the aisle.
But as soon as they get back to New York, the trouble begins. Ivan’s parents, who have heard about the marriage, send their minder Toros (KAREN KARAGULJAN), who is supposed to bring order and, above all, a quick divorce.
But Ani does not want a divorce and Ivan takes off.
„Anora“ Poster
Critics
The story is a kind of tragic comedy.
At first everything is great, even the sex job seems to be a lot of fun for Anora.
And the subsequent party with Ivan and his friends in luxury is of course also extremely amusing.
The film only becomes interesting when daddy’s minders arrive, who turn out to be quite clumsy.
While Ivan „pulls his tail between his legs“ and gives in, Anora tries to save what can be saved.
But in vain in the end.
The film is shot at a fast pace, with wild scenes in the brothel and at the parties.
But the characters remain quite superficial.
You can see into Anora’s big, black eyes, but you can’t see the dramas that she may have already experienced.
And Ivan is just a stupid, spoiled boy from a rich family. But MARK EYDELSHTEYN plays him very well.
One cannot help but think of „Pretty Woman“ from 1980 with RICHARD GERE and JULIA ROBERTS.
In that movie, a rich man marries a prostitute after initially booking her for a week.
But even if „Pretty Women“ is complete kitschy, the film is perfectly realized, as only Hollywood can do.
The only interesting character in the movie „Anora“ is the bodyguard Igor (JURI BORISSOV), who falls in love with Anora but is not allowed to show it to his superiors.
The way he constantly tries to stop her from escaping and in the same time tries not to hurt her (even though she lashes out like a fury) is good slapstick.
Mickey Madison -CC-Glenn Francis/Wikimedia Commons
The 25-year-old actress MIKEY MADISON as Anora (played one of the Charles Manson girls in Tarantino’s „Once upon a time in Hollywood“) does a good job, but is far away as good-looking as JULIA ROBERTS and is only moderately sexy.
It was probably not easy to find a good actress for the role of Anora, as the sex scenes are quite intense – but of course the panties always stay on (not in Ivans case, by the way!).
Conclusion: Although the movie won the Palme d’Or at the Cannes Film Festival, I don’t find it particularly remarkable.
But for a little fun at the weekend with your girlfriend in your arms, the film may be quite stimulating…
Picture series with 8 photos of the movie:
„Anora“, Mark Eydelshteyn, Mickey Madison © Universal Pictures
Author: Holger Jacobs
Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.
