Eröffnung der 13. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst

Berlin Biennale 2025 © kultur24.berlin

Eröffnung der 13. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst

 

Von Holger Jacobs

26.08.2024

for english text click here

Wertung: 🙂 🙂 🙂  (drei von fünf)

Die diesjährige Biennale startet unter dem Titel „das flüchtige weitergeben“

Alle zwei Jahre findet in Berlin eine international beachtete Ausstellung statt, die 1996 vom heutigen Direktor der Neuen Nationalgalerie KLAUS BIESENBACH im KW Institute for Contemporary Art in der Auguststraße 69 in Berlin-Mitte gegründet wurde.

Seitdem hat die Berlin Biennale stetig an Bedeutung gewonnen.
Mittlerweile werden international renommierte Kurator*innen gebeten, Künstler aus der ganzen Welt zu dieser großen Kunst-Schau einzuladen.

Dieses Jahr werden 170 Kunstwerke (Malerei, Fotografie, Video, Installation) von 60 Künstler, bzw. Künstlergruppen an vier verschiedenen Orten in Berlin ausgestellt.

Dabei ist auch die Auswahl der Ausstellungsorte ist immer etwas Besonderes.
So wurden 2006 Kunstwerke in der ehemaligen jüdischen Mädchenschule in der Auguststraße 11 gezeigt, welche seit der Wende 1990 leer stand.

Former jewish girls school 2006, ph: Holger Jacobs

Und 2016 wurde das ehemalige Staatsratsgebäude der DDR, rechts neben dem Humboldt-Forum/ Berliner Schloss gelegen, zum Hotspot.

Former State Council Building of the GDR, ph: Holger Jacobs

Dieses Jahr wird u.a. ein ehemaliges Gerichtsgebäude in Moabit zum Ausstellungsort, in dessen Fassade noch die Einschusslöcher aus dem 2. Weltkrieg zu sehen sind.

Courthouse, Lehrer Str. 60, Berlin Biennale, ph: Holger Jacobs

Somit nimmt jede Berlin Biennale auch immer Bezug zu der Vergangenheit der Stadt, was dieses Kunst-Event so spannend und so besonders macht.

Courthouse, Lehrer Str. 60, Berlin Biennale, ph: Holger Jacobs

Titel: „das flüchtige weitergeben“

Courthouse, Lehrer Str. 60, Berlin Biennale, ph: Holger Jacobs

Der Titel „das flüchtige weitergeben“ soll laut offiziellem Pressetext „auf den ästhetischen Charakter der gezeigten Werke hinweisen, auf flüchtige Formen der Übertragung und Materialisierung, auf eine Kunst, die Körper und Oralität einbezieht.“
Alles klar?
Sollte ich raten, könnte ich mir vorstellen, dass mit der Formulierung „flüchtig“ Kunstwerke gemeint sind, die nur von geringer zeitlicher Dauer, also „flüchtig“ sind.
Allerdings werden auf der Berlin Biennale viele Arbeiten gezeigt, die mit Gemälden, Skulpturen und Installationen durchaus viele Jahre überdauern werden.
Am besten Ihr schaut Euch selbst die Ausstellungsorte an und überlegt, was es wohl mit dem Titel auf sich hat.

Sehr verständlich dagegen ist das Statement der Kuratorin ZASHA COLAH über die Auswahl der Künstler und deren Werke.
ZASHA COLAHS Wunsch war es, Arbeiten von kreativen Köpfen zu zeigen, die unter politischen Repressionen leben und arbeiten müssen.
Und die es trotz Unterdrückung schaffen, Ihren Ideen Ausdruck zu geben und ihre Werke zu realisieren, manchmal sogar mit einem Schuss Humor.

Kunst im Gefängnis

Wie z.B. bei dem burmesischen Künstler HTEIN LIN (im Gerichtsgebäude Lehrter Str. 60), der in der Zeit seiner Haft anfing mit im Gefängnis vorhandenen Gegenständen Kunstwerke zu erschaffen, die er dann auch hinter Gittern ausstellte.

Kohlkopf auf dem Platz des himmlischen Friedens

Oder die chinesische Künstlerin HAN BING (im KW Institute), die auf dem Platz des himmlischen Friedens (Tian‘anmen-Platz) in Peking einen Kohlkopf spazieren führte, um an das Massaker an diesem Ort im Jahre 1989 zu erinnern.
Es handelte sich damals um die grausame Niederschlagung einer Studentenrevolte durch das chinesische Militär.

Befreit den Mars!

Wer hier an den Film „Total Recall“ mit Arnold Schwarzenegger von 1990 denkt, liegt gar nicht so falsch.
Auch das argentinische Künstlerkollektiv ETCETERA (im KW Institute) möchte mit seiner Aktion „Liberate Mars“ (Befreit Mars) auf die unkontrollierte Ausbeutung der Bodenschätze unserer Erde und (in der Zukunft) der des Planeten Mars hinweisen. Technisch interessant gelöst, kommt der Besucher in einen grünen Raum mit einem Monitor, auf dem eine marsähnliche Landschaft zu sehen ist.
Per bluescreen (oder greenscreen) Verfahren nimmt eine Kamera den Besucher auf und versetzt ihn mitten in die Mars-Landschaft. Auf diese Weise durfte ich einmal kurz auf dem Roten Planeten verweilen…

ETCETERA artist group Argentina „Liberate Mars“, KW, ph: Holger Jacobs

Panties for Peace

Oder die Aktion des burmesischen Netzwerks LANNA ACTION FOR BURMA COMMITEE (im KW Institute) , welches zum Wahlkampf 2010 in Myanmar – die Namen „Burma“ und „Myanmar“ werden übrigens beide für dieses südostasiatische Land verwendet –  Tausende Damenunterhosen an verschiedene Funktionäre des Regimes schickte.
Laut einer Überlieferung gibt es in Myanmar den Aberglauben, dass die als überlegen geltende männliche Kraft durch die Berührung mit der Unterwäsche einer Frau geschwächt wird.
Name der Aktion: „Panties for Peace“!

Überall gibt es auf der Welt Unterdrückung oder zumindest Einflussnahme auf Kunst, Wissenschaft und Kultur, jetzt sogar in den USA durch den neuen US-Präsidenten DONALD TRUMP.
Denn dort müssen sich die Universitäten ab sofort bestimmten Regeln unterwerfen, um überhaupt noch öffentliche Gelder zu bekommen.
Die Universität von HAVARD hat jetzt dagegen geklagt.

Und das SMITHSONIAN INSTITUTE, ein Zusammenschluss von 21 Museen und 14 Bildungseinrichtungen in Washington DC, soll laut Trump nur noch Ausstellungen zeigen, welche ein positives Licht auf die USA werfen.
Da diese Museen zu 62 % mit Geldern des US-Kongress finanziert werden, könnte Trump hier einen großen kulturpolitischen Einfluss nehmen (keine Sklaven aus Afrika, keine Massaker an der indigenen Bevölkerung, et.c.).
Unterdrückung, Repression und Machtmissbrauch findet also nicht mehr nur in Diktaturen oder sogenannten „Schurkenstaaten“ statt.

Die Künstler der 13. Berlin Biennale kommen aus Ländern wie Myanmar, Indien, dem afrikanischen Sudan und Sambia, aus Kasachstan, Argentinien, Ungarn, Italien und Deutschland.

Die vier Ausstellungsorte:

Die KW Institute for Contemporary Art
KW Kunstwerke
Institute for Contemporaray Art
Augusstrasse 69
10117 Berlin
Mi–Mo 11–19 Uhr, Do 11–21 Uhr
Tel. 030 2434590
www.kw-berlin.de

KW Institute for Contemporary Art, ph: Holger Jacobs

Sophiensæle
Sophienstraße 18
10178 Berlin
Tel. 030 2835266
Mi – Mo 11 – 19 Uhr

Sophiensäle, ph: Holger Jacobs

Museum Hamburger Bahnhof
Invalidenstr. 50-51
10557 Berlin-Moabit
Di – Fr 10 – 18 Uhr, Sa + So 11 – 18 Uhr, Do -20 Uhr

Museum Hamburger Bahnhof, ph: Holger Jacobs

Gerichtsgebäude in der Lehrter Straße
Lehrter Straße 60
10557 Berlin
Mi – Mo 11 – 19 Uhr

Court House, Lehrter Str. 60, Berlin-Moabit. ph: Holger Jacobs

Der letztgenannte Ausstellungsort ist für mich das eigentliche Highlight der diesjährigen Biennale, weil es neben der Kunst auch so viel Geschichte beinhaltet.
1902 als Gerichtsgebäude gebaut, gilt der Kommunistenführer KARL LIEBKNECHT als einer der prominentesten Verurteilten seiner Zeit, als er hier 1916 eingesperrt wurde.
Unter den Nazis diente das Gebäude einem Militärgericht.
Nach dem 2. Weltkrieg befindet sich das Gebäude auf der Westseite von Berlin und wurde von der Bundesrepublik Deutschland als Strafvollzugsamt genutzt.
Zu den bekanntesten Insassen im anschließenden Gefängnis galten in den 70er Jahren die Mitglieder der RAF (Rote Armee Fraktion).
Wegen mangelnder hygienischer Einrichtungen und schlechter technischer Ausrüstung wurde die Anlage 2012 geschlossen.
Seitdem steht das Gebäude leer.
Für die Zukunft plant die Berliner Senatsverwaltung für Kultur, das Gebäude im Anschluss an die Biennale zu einem künstlerischen Produktionsort für die Freie Szene Berlins zu entwickeln.

13. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst
14. Juni – 14. September 2025
www.13.berlinbiennale.de

Bilderserie mit Fotos aus den KW Kunstwerken:

KIKI ROCA, „El Corpino“ (the bra), Argentina 1995, KW, ph: Holger Jacobs

Bilderserie mit Fotos aus dem Gerichtsgebäude in der Lehrter Strasse 60:

ARTCOM PLATFORM „The Song of Lake Balkash“, Court House, ph: Holger Jacobs

 

English

 

 

Opening of the 13th Berlin Biennale for Contemporary Art

 

By Holger Jacobs


August 26, 2024

Rating: 🙂 🙂 🙂 (three out of five)

This year’s Biennale begins under the title „Passing the Fugitive on“

Every two years, the internationally acclaimed exhibition BERLIN BIENNALE takes place in Berlin, founded in 1996 by Klaus Biesenbach, the current director of the Neue Nationalgalerie, at the KW Institute for Contemporary Art at Auguststraße 69 in Berlin-Mitte.
Since then, the BERLI BIENNALE has steadily grown in importance.
Internationally renowned curators are now asked to invite artists from all over the world to this major art show.
This year, 170 works of art (paintings, photography, video, installations) by 60 artists or artist groups will be exhibited at four different locations in Berlin.

The selection of exhibition venues is always something special.
In 2006, works of art were shown in the former Jewish girls‘ school at Auguststraße 11, which had stood empty since the fall of the Berlin Wall in 1990.

Former jewish girls school 2006, ph: Holger Jacobs

And in 2016, the former State Council building of the GDR, located to the right of the Humboldt Forum/Berlin Palace, became a hotspot.

Former State Council Building of the GDR, ph: Holger Jacobs

This year, one of the exhibition venues will be a former courthouse in Berlin-Moabit, whose facade still bears the bullet holes from World War II.

Courthouse, Lehrer Str. 60, Berlin Biennale, ph: Holger Jacobs

Thus, every BERLIN BIENNALE references Berlin’s past, which makes this art event so exciting and so special.

Courthouse, Lehrer Str. 60, Berlin Biennale, ph: Holger Jacobs

Title: „Passing the Fugitive on“

According to the official press release, the title „passing the fugitive on“ is intended to „refer to the aesthetic character of the works on display, to fugitive forms of transmission and materialization, to an art that incorporates the body and orality.“
Checked?

If I were to guess, I could imagine that the word „fugitive“ refers to works of art that are only temporary, i.e., „fugitive“
However, the BERLIN BIENNALE  is showing many works that will certainly last for many years, including paintings, sculptures, and installations.
It’s best to visit the exhibition venues yourself and consider what the title might be about.

In contrast, curator ZASHA COLAH’s (born in India 1982)  statement on the selection of artists and their works is much more understandable.
ZASHA COLAH’s wish was to showcase works by creative minds who have to live under political repression.
And who, despite the oppression, manage to express their ideas and realize their art works, sometimes even with a touch of humor.

Art in Prison

For example, the Burmese artist HTEIN LIN (in the courthouse at Lehrter Str. 60) who, while incarcerated, began to create works of art using objects available in the prison, which he then exhibited behind bars.

Cabbage in Tiananmen Square

Or the Chinese artist HAN BING (at the KW Institute), who carried a cabbage at Tiananmen Square in Beijing to commemorate the massacre on this square in 1989.
At that time, it was the brutal suppression of a student revolt by the Chinese military.

Liberate Mars!

If you’re thinking of the 1990 movie „Total Recall“ with Arnold Schwarzenegger, you’re not far off the mark.
The Argentinian artist collective ETCETERA (at the KW Institute) also wants to draw attention to the uncontrolled exploitation of the natural resources of our Earth and (in the future) of the planet Mars with its „Liberate Mars“ campaign.
In an interesting technical solution, visitors enter a green room with a monitor showing a Mars-like landscape.
Using a bluescreen (or greenscreen) process, a camera records the visitor and transports them into the heart of the Martian landscape.
This allowed me to briefly linger on the Red Planet…

ETCETERA artist group Argentina „Liberate Mars“, KW, ph: Holger Jacobs

Panties for Peace

Or the campaign by the Burmese network LANNA ACTION FOR BURMA COMMITEE (at the KW Institute), which sent thousands of women’s panties to various regime officials during the 2010 election campaign in Myanmar – the names „Burma“ and „Myanmar“ are both used for this Southeast Asian country.
According to a tradition, there is a superstition in Myanmar that male power, considered superior, is weakened by contact with a woman’s underwear.
The campaign is called „Panties for Peace.“

All over the world, there is oppression or at least influence on art, science, and culture, now even in the USA under the new US President Donald Trump.
That’s because universities there must now submit to certain rules in order to receive any public funding at all.
HARVARD UNIVERSITY has now filed a lawsuit against this.

And the SMITHSONIAN INSTITUTE, an association of 21 museums and 14 educational institutions in Washington, DC, should, according to Trump, only show exhibitions that shed a positive light on the United States.
Since these museums are 62% funded by the US Congress, Trump could exert significant cultural policy influence here (no slaves from Africa, no massacres of indigenous populations, etc.).
Oppression, repression, and abuse of power no longer occur only in dictatorships or so-called „rogue states.“

The four exhibition venues:

The KW Institute for Contemporary Art
KW Kunstwerke
Institute for Contemporary Art
Augusstrasse 69
10117 Berlin
Wed–Mon 11 a.m.–7 p.m., Thu 11 a.m.–9 p.m.
Tel. +49 30 2434590
www.kw-berlin.de

KW Institute for Contemporary Art, ph: Holger Jacobs

Sophiensæle
Sophienstrasse 18
10178 Berlin
Tel. +49 30 2835266
Wed–Mon 11 a.m.–7 p.m.

Sophiensäle, ph: Holger Jacobs

Museum Hamburger Bahnhof
Invalidenstr. 50-51
10557 Berlin-Moabit
Tue–Fri 10 a.m.–6 p.m., Sat + Sun 11 a.m.–6 p.m., Thu–8 p.m.

Museum Hamburger Bahnhof, ph: Holger Jacobs

Courthouse on Lehrter Strasse
Lehrter Strasse 60
10557 Berlin
Wed–Mon 11 a.m.–7 p.m.

Former Court House Lehrter Str. 60, ph: Holger Jacobs

The courthouse exhibition venue is, for me, the real highlight of this year’s Biennale because, in addition to the art, it also contains so much history.
Built in 1902 as a courthouse, the famous communist leader Karl Liebknecht KARL LIEBKNECHT was considered one of the most prominent convicts of his time when he was imprisoned here in 1916.
Under the Nazis, the building served as a military court.
After World War II, the building was located on the west side of Berlin and served as a penitentiary for the Federal Republic of Germany.
Among the most famous inmates in the prison in the 1970s were members of the RAF (Red Army Faction).
Due to inadequate hygiene facilities and poor technical equipment, the facility was closed in 2012.
The building has stood empty ever since.
For the future, the Berlin Senate Department for Culture plans to develop the building into an artistic production space for Berlin’s independent art scene following the Biennale.

13th Berlin Biennale for Contemporary Art
June 14 – September 14, 2025
www.13.berlinbiennale.de

Photo series with photos from the KW artworks and the courthouse on Lehrter Strasse:

KIKI ROCA, „El Corpino“ (the bra), Argentina 1995, KW, ph: Holger Jacobs

 

Picture series with photos of the former court house, Lehrter Str. 60:

ARTCOM PLATFORM „The Song of Lake Balkash“, Court House, ph: Holger Jacobs

 

 

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and videographer.

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