Fin de Partie – Endspiel – Beckett – Staatsoper Berlin
Von Holger Jacobs
13.01.2025
Wertung: 🙂 🙂 (zwei von fünf)
Tolles Bühnenbild, tolle Videoprojektionen, aber eine nervenzerrende Musik
Viele, die in den 70er und 80er Jahren in Konzerte mit klassischer Musik gingen, können sich noch daran erinnern:
Zunächst wurden mehrere moderne Werke des 20. Jahrhunderts gespielt, wie Bartok, Ligeti oder Schönberg und danach kamen die Klassiker von Chopin über Schubert bis Brahms.
Und alle, die dabei waren, warteten eigentlich nur auf den zweiten Teil des Abends…
Nun, es ist durchaus berechtigt, dass auch zeitgenössische (klassische) Musik ein Publikum findet.
Genauso, wie in der der Bildenden Kunst, wo es Museen mit Arbeiten aus der Klassik und Romantik gibt und andere nur für zeitgenössische Kunst.
In der Bildenden Kunst hat sich der Publikumsgeschmack immer weiter zugunsten von Werken der heutigen Zeit verschoben, wie die Auktionsergebnisse zeigen.
In der Musik kann ich das (noch) nicht erkennen. Atonale, disharmonische Musik wirkt wohl für unsere Ohren nicht wirklich angenehm.
Dabei gibt es auch positive Ausnahmen, wie z.B. die Kompositionen von Richard Strauss, Benjamin Britten, Pierre Boulez, Dmitri Schostakowitch und Maurice Ravel.
Fin de Partie
Der Einakter „Fin de Partie“ ist die einzige Oper des österreichisch-ungarischen Komponisten GYÖRGY KURTAG (*1926) und wurde erst vor wenigen Jahren, 2018, in der Mailänder Scala uraufgeführt.
Sie entstand im Auftrag des damaligen Intendanten Alexander Pereira.
Das Publikum soll sehr gemischt reagiert haben:
Einige verließen den Saal vorzeitig, andere jubelten (wie auch in der Berliner Premiere am Sonntag).
Danach wurde die Oper noch in Amsterdam und Paris gezeigt.
Ob es nach den Premieren noch viele Aufführungen gab und ob sie vielleicht sogar von diesen Häusern in deren Repertoire aufgenommen wurde, weiß ich nicht.
Ich darf es allerdings bezweifeln.
Mein kurzes Video mit einem Ausschnitt aus „Fin de Partie“:
Handlung
Als Vorlage zu „Fin de Partie“ diente das Theaterstück „Endspiel“ (Endgame) von 1956 des irischen Dramatikers SAMUEL BECKETT (Nobelpreis für Literatur 1969).
Es handelt von einer dystopischen Welt, die vor ihrer völligen Auslöschung steht. Nur wenige Menschen sind noch am Leben, darunter die vier Protagonisten von „Fin de Partie“:, Hamm, Clov, Nell und Nagg.
Der blinde Hamm (LAURENT NAOURI) terrorisiert seinen Diener Clov (BO SKOVHUS) und seine Eltern Nell (DALIA SCHAECHTER) und Nagg (STEPHAN RÜGAMER).
Da alle ihrem nahenden Ende ins Auge sehen, erzählen sie sich nur noch Dinge aus einer besseren Vergangenheit. Und versuchen die anderen schlecht zu machen. Am Ende verlässt Clov seinen Peiniger Hamm und die Mutter stirbt. Das Schicksal des Vaters bleibt ungewiss.
GYÖRGY KURGAT war fasziniert von den Schriften SAMUEL BECKETTS und hat sich deshalb eines seiner Dramen als Vorlage genommen. Doch trotz einer Kürzung um die Hälfte wird das Stück für den Zuschauer nicht erträglicher.
Es gibt fast keinen Handlungsstrang, kein Vorankommen, keine Entwicklung.
Es plätschert vor sich hin, bis dann Dank eines aufwändigen Bühnenbildes am Schluss eine Art Highlight des Abends entsteht. Einzig die wenigen Geschichten, die sich die vier erzählen, lässt den Zuschauer das Stück etwas mitverfolgen.
SAMUEL BECKETT war einer der wesentlichen Autoren des absurden Theaters, welches die klassischen Strukturen aufbrach (Einführung, Aufbau, Höhepunkt, Finale) und nur noch grotesk-komische Szenen aneinander reihte, die keinen Zusammenhang erscheinen lassen.
Kritik
Als Drama auf einer Theaterbühne mag Absurdität faszinierend sein (noch mehr beim Lesen desselben!), aber als Oper funktioniert es meiner Meinung nach überhaupt nicht.
Denn Absurdität ist mit Musik nicht darstellbar.
So wird die Oper „Fin de Partie“ auch wegen ihrer an den Nerven zerrenden Musik nach einiger Zeit sehr ermüdend (ich ertappte mich dabei mehrmals auf die Uhr zu schauen) und sehnte das Ende genauso herbei, wie die Protagonisten auf der Bühne.
Es war im wahrsten Sinne des Wortes ein Endspiel.
Doch es gilt auch Positive zu verzeichnen:
Absolut fantastisch ist das Bühnenbild (KASPAR GLARNER) und die mit ihr verbundene Videoproduktion (BIBI ABEI).
Auf zwei, manchmal sogar drei Ebenen sind Videoaufnahmen zu sehen, die in den besten Momenten die Bewegungen der Sänger*innen/ Darsteller*innen nachmachen, bzw. sie kopieren.
Das Karussell am Schluss ist natürlich das Highlight, obwohl es sich nur wenige Meter drehen kann.
Als Sänger gefiel mir besonders LAURENT NAOURI als Hamm. Starker, schöner Bass mit viel Ausdruck in Stimme und Spiel.
Fazit: Eine Oper mit schwieriger Musik und ohne erkennbaren Handlungsstrang. Nur für Fans von zeitgenössischer (klassischer) Musik im Stil eines Schönberg oder Ligeti.
Hinweis 1: Im Berliner Ensemble wird SAMUELS BECKETTS berühmtestes Stück „Warten auf Godot“ in einer Neuinszenierung zu sehen sein.
Premiere ist am 11. April 2025.
Hinweis 2: Wer eine geniale Verfilmung von „Warten auf Godot“ sehen möchte, dem empfehle ich „Wenn Katelbach kommt“ von Roman Polanski aus dem Jahr 1966.
„Fin de Partie“ von György Kurdag
Staatsoper Unter den Linden
Premiere war am 12.01.2025
Musikalische Leitung: Alexander Soddy, Inszenierung: Johannes Erath,
Bühne: Kaspar Glarner, Kostüme: Birgit Wentsch, Licht: Olaf Freese, Video: Bibi Abel.
Mit: Laurent Nouari, Bo Skovhus (Clov), Dalia Schaechter (Nell), Stephan Rügamer (Nagg)
Bilderserie mit 15 Fotos von der Aufführung:
English text
Fin de Partie – Endgame – Beckett – Berlin State Opera
By Holger Jacobs
Rating: 🙂 🙂 (two of five)
Great stage design, great video projections, but the music gets someones nerv
Many people who went to classical music concerts in the 70s and 80s can still remember it:
First, several modern works of the 20th century were played, such as Bartok, Ligeti or Schönberg, and then came the classics from Chopin to Schubert to Brahms.
And everyone who was there was actually just waiting for the second part of the evening…
Well, it is quite justified that contemporary music should also finds its audience.
Just like in the visual arts, where there are museums with works from the classical or romantic periods and others just for contemporary art.
In the visual arts, public taste has even shifted more and more in favor of works of the present, as the auction results show.
I can’t see that in music (yet). Atonal, disharmonious music is probably not particularly pleasant for our ears.
But there are some positive exceptions, such as the music of Richard Strauss, Benjamin Britten, Pierre Boulez, Dmitri Shostakovich and Maurice Ravel.
My short video of the final sequence:
Fin de Partie
The one-act opera „Fin de Partie“ is the only opera by the Austro-Hungarian composer GYÖRGY KURTAG (*1926) and was premiered just a few years ago, in 2018, at La Scala in Milan.
It was commissioned by the then artistic director Alexander Pereira.
The audience is said to have reacted very mixed:
Some left the hall early, others cheered (as they did at the Berlin premiere on Sunday).
The opera was then shown in Amsterdam and Paris.
I don’t know whether there were many more performances after the premieres and whether it was perhaps even included in the repertoire of these houses.
I doubt it, though.
Story
The play “Endgame” from 1956 by Irish playwright SAMUEL BECKETT (Nobel Prize for Literature 1969) served as the basis for “Fin de Partie”.
It is about a dystopian world that is on the verge of complete extinction.
Only a few people are still alive, including the four protagonists of “Fin de Partie”: Hamm, Clov, Nell and Nagg.
The blind Hamm (LAURENT NAOURI) terrorizes his servant Clov (BO SKOVHUS) and his parents Nell (DALIA SCHAECHTER) and Nagg (STEPHAN RÜGAMER).
As everyone faces their impending end, they only tell each other stories from a better past.
And try to make the others look bad.
In the end, Clov leaves his tormentor Hamm and Hamm’s mother dies.
The fate of his father remains uncertain.
GYÖRGY KURGAT was fascinated by SAMUEL BECKETT’s writings and therefore used one of his dramas as a model.
But despite cutting it in half, the play is no more bearable for the audience.
There is almost no plot, no progress, no development.
It plods along until, thanks to an elaborate stage design, a kind of highlight of the evening emerges at the end.
Only the few stories that the four tell each other allow the audience to follow the play.
SAMUEL BECKETT was one of the main authors of absurd theater, which broke up the classic structures (introduction, build-up, climax, finale) and only strung together grotesquely comic scenes that appear to have no connection.
Critics
Absurdity may be fascinating as a drama on a theater stage (even more so when reading it!), but in my opinion it doesn’t work at all as an opera.
Because absurdity cannot be represented with music.
The opera „Fin de Partie“ becomes very tiring after a while, also because of its nerve-racking music (I caught myself looking at the clock several times) and I longed for the end just as much as the protagonists on stage.
It was an endgame in the truest sense of the word.
But there are also some positive aspects:
The stage design (KASPAR GLARNER) and the associated video production (BIBI ABEI) are absolutely fantastic.
Video recordings can be seen on two, sometimes even three levels, which imitate or copy the movements of the singers/actors in the best moments.
The carousel at the end is of course the highlight, even though it can only rotate a few meters.
As a singer, I particularly liked LAURENT NAOURI as Hamm.
Strong, beautiful bass with a lot of expression in voice and playing.
Conclusion: An opera with difficult music and no recognizable plot. Only for fans of contemporary (classical) music in the style of Schönberg or Ligeti.
Note 1: The Berliner Ensemble will be showing a new production of SAMUELS BECKETT’s most famous piece „Waiting for Godot“.
The premiere is on April 11, 2025.
Note 2: If you want to see a brilliant film adaptation of „Waiting for Godot“, I recommend „When Katelbach Comes“ („Cul-de-Sac“) by Roman Polanski from 1966.
„Fin de Partie“ by György Kurdag
Staatsoper Unter den Linden
The premiere was on January 12, 2025
Musical direction: Alexander Soddy, direction: Johannes Erath,
Stage: Kaspar Glarner, costumes: Birgit Wentsch, lighting: Olaf Freese, video: Bibi Abel.
With: Laurent Nouari, Bo Skovhus (Clov), Dalia Schaechter (Nell), Stephan Rügamer (Nagg)
Image series with 15 photos from the performance:
Author: Holger Jacobs
Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and videographer.