FRÜHLINGSSTÜRME in der Komischen Oper Berlin

Frühlingsstürme - Komische Oper Berlin © Holger Jacobs/ kultur24.berlin

FRÜHLINGSSTÜRME in der Komischen Oper Berlin

 

Von Holger Jacobs

26.01.2020

Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂 🙂 (fünf von fünf)

English text below

Die gelungene Neuinszenierung einer wunderbaren Operette aus dem Berlin der 30er Jahre

Wenn es eine Möglichkeit gibt sich in die Zeit der 20er und Anfang 30er Jahre des letzten Jahrhunderts hineinzuversetzen, dann durch diese Operette des Komponisten Jaromir Weinberger.

Jaromir Weinberger (*1896) war ein österreichisch-ungarischer Komponist mit jüdischer Herkunft, der gleich mit seinem ersten größeren Werk, „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“, 1927, große Erfolge feiern konnte. Es wurde in nur wenigen Jahren über 2000 Mal aufgeführt. Ende März 2020 soll dieses Werk ebenfalls in der Komischen Oper neu inszeniert werden.

Am 20. Januar 1933 kam es im Admiralspalst in Berlin zur Uraufführung seiner Operette „Frühlingsstürme“. Kein geringerer als Richard Tauber, einer der bekanntesten und beliebtesten Sänger im damaligen Deutschland, sang den Part des „Ito“. Ein ähnlicher Erfolg wie mit seinem Werk „Schwanda…“ bahnte sich an, jeder Abend war ausverkauft. Doch am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler nach längeren politischen Unruhen von Reichspräsident Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Sofort nach der Machtergreifung ließ Hitler jüdische Einrichtungen schließen und verbannte jüdische Kunst und Musik aus öffentlichen Häusern. Deshalb fiel für die „Frühlingsstürme“ bereits am 12. März 1933 der letzte Vorhang.

Jaromir Weinberger musste mit seiner Frau über Paris in die USA immigrieren und lebte dort, wie die meisten deutschen Flüchtlinge, unter ärmsten Verhältnissen. Er versuchte noch zu komponieren, aber seine Werke gerieten in Vergessenheit. 1967 nahm er sich in Florida das Leben. Seine Mutter und Schwester wurden von den Nazis getötet.

Ein besonderes Lob verdient Norbert Biermann, Professor an der Universität der Künste, der über zwei Jahre lang die Partitur zu „Frühlingsstürme“ rekonstruierte. Denn von den Noten war nur ein Klavierauszug geblieben, die Originalpartitur war verschollen. Durch Recherche in mehreren europäischen Bibliotheken, ein Buch mit Regieanweisungen und alten Schallplattenaufnahmen, ist eine neue Partitur zu „Frühlingsstürme“ entstanden, nach der nun diese Operette erneut aufgeführt werden konnte.

Handlung

Hintergrund ist der Russisch-Japanische Krieg von 1904, bei dem Beide die Gebiete der chinesischen Mandschurei für sich beanspruchten. Der russische General Katschalow (Stefan Kurt) hat aus Geiz billige chinesische Hausangestellte für sich engagiert, unter denen sich aber auch der japanische Spion Ito (Tansel Akzeybek) befindet. Die schöne Lydia Pawlowska (Vera-Lotte Boecker) hat sich in Ito verliebt, Katschalow wiederum liebt Lydia. Schließlich wird Ito doch entdeckt, kann aber mit Hilfe Lydias entkommen, die sich dafür dem General Katschalow verspricht.
Als der Krieg nach zwei Jahren vorbei ist treffen sich alle bei den Friedenverhandlungen im italienischen San Remo wieder. Lydia, die Ito immer noch liebt, aber jetzt mit General Katschalov zusammen ist, muss feststellen, dass Ito, mittlerweile Verhandlungsführer der Japaner, nun verheiratet ist. Dessen Frau, ebenfalls angereist, bittet Lydia um den Verzicht ihrer Liebe zu Ito. Schweren Herzens gibt sie dieser Bitte nach und bleibt bei ihrem General.

Kritik

Dem Intendanten und Regisseur Barrie Kosky scheint es eine Herzensangelegenheit zu sein, Operetten und Opern der Weimarer Zeit wieder auf die Bühne zu bringen. Einer der Gründe ist sicher, dass es sich dabei meist um jüdische Komponisten handelt, die alle unter der Nazizeit ihre erfolgreiche Tätigkeit in Deutschland beenden und ins Ausland fliehen mussten.
Wie z.B. Wolfgang Korngold, dessen Oper „Die Tote Stadt“ (Uraufführung 1920) im September  2018 in der Komischen Oper zur Premiere kam (kultur24 berichtete)

Der zweite Grund ist sicher, dass Barrie Kosky das Revuehafte liebt. Diese Mischung aus seriösem Musiktheater und slapstigartiger Darstellung ist genau Koskys Ding. Hier kann er sich austoben in wilden Bühnenszenen mit tanzenden Gents, vor Lust schreienden Ladys und stimmgewaltigen Sängern.

Und so gelingt es Barrie Kosky auch hier sehr gekonnt dieser Operette die Seele der beschwingten Musik einzuhauchen. Besonders kommt dabei die Stimmung der damaligen Zeit im Berlin der 20er Jahre zum Ausdruck. Eine Zeit, die Berlin bis heute prägt und nun genau 100. Geburtstag feiert. Sollte also ein Tourist, der heute Berlin besucht, wissen, wie es hier vor 100 Jahren hier zuging, der sollte unbedingt diese Inszenierung in der Komischen Oper sehen: Mehr 2oer Jahre Feeling geht nicht!

Gerade das größte Talent der Akademie der Komischen Oper, Sopranistin Vera-Lotte Boecker, kann hier als Lydia Pawlowska ihr ganzes Talent zeigen: Spiel, Ausdruck und Gesang werden von ihr in einer perfekten Mischung gezeigt, um die schöne Lydia darzustellen, die in wunderbaren Arien von ihrer Liebe zu dem Japaner Ito erzählt. Seht dazu auch mein Video auf kultur24 TV:

Daneben wirkt Tansel Akzeybek als Ito doch etwas blass, zumal er mich auch stimmlich nicht überzeugen konnte. Ganz anders der Schauspieler Stefan Kurt, der seinen als reine Sprechrolle angelegten Part mit Bravour absolvierte und in sehr gekonnter Weise von komisch bis zu seriös das Publikum begeisterte. Szenenapplaus! Seine Kalauer erinnerten an Charlie Chaplin, besonders seine kleine Tanzeinlage an der Wand und die Szene mit der Drehtür.

Überzeugend auch das zweite Paar des Abends, Alma Sadé als Tatjana, Tochter des Generals und Dominik Köninger als ihr etwas verrückter Liebhaber Roderich Zirbitz.

Fazit: So gut amüsiert und emotional bewegt hat mich in Berlin schon lange keine Inszenierung mehr. Deshalb zurecht: 5 Sterne!

„Frühlingsstürme“ von Jaromir Weinberger
Komische Oper Berlin
Musikalische Leitung: Jordan de Souza, Inszenierung: Barrie Kosky, Bühnenbild: Klaus Grünberg, Kostüme: Dinah Ehm, Dramaturgie: Ulrich Lenz
Mit:
Vera-Lotte Boecker (Lydia), Alma Sadé (Tatiana), Tansel Akzeybek (Ito), Stefan Kurt (General Katschalow), Dominik Köninger (Roderich Zirbitz), Tino Lindenberg (Oberst Baltischew), Luca Schaub (Großfürst Michailowitch)

Nächste Vorstellungen: 29. Januar, 8., 13. und 23. Februar, 1., 12., 28. und 31. März 2020

Hier die ganze Operette in 30 Bildern:

General Katschlow (Stefan Kurt) gesteht Lydia (Vera-Lotte Boecker ) seine Liebe, „Frühlingsstürme“, Komische Oper Berlin © Holger Jacobs/ kultur24.berlin

English text

FRÜHLINGSSTÜRME (spring storms) in the Komische Oper Berlin
By Holger Jacobs
01/26/2020
Rating: 🙂 🙂 🙂 🙂 🙂 (five out of five)
A successful new production of an operetta from Berlin in the 1930s
If there is a way to move into the 20s and early 30s of the last century, it is through this operetta by the composer Jaromir Weinberger.
Jaromir Weinberger (* 1896) was an Austrian-Hungarian composer of Jewish origin, who was able to celebrate great successes with his first major work, „Schwanda, the Bagpiper“, in 1927. It was performed over 2000 times in just a few years. At the end of March 2020, this work will also be re-staged in the Komische Oper.
On January 20, 1933, his operetta „Frühlingsstürme“ premiered in the Admiralspalst in Berlin. None other than Richard Tauber, one of the best known and most popular singers in Germany at the time, sang the part of „Ito“. A similar success as with his work „Schwanda …“ was on the horizon, every evening was sold out. But on January 30, 1933, Adolf Hitler was appointed Reich Chancellor by Reich President Hindenburg after lengthy political unrest. Immediately after the seizure of power, Hitler shut down Jewish institutions and banished Jewish art and music from public houses. Therefore, the last curtain fell for „Frühlingsstürme“ on March 12, 1933.
Jaromir Weinberger and his wife had to immigrate to the United States via Paris and, like most German refugees, lived there under the poorest conditions. He still tried to compose, but his works were forgotten. In 1967 he committed suicide in Florida. His mother and sister were killed by the Nazis.
Special praise deserves Norbert Biermann, professor at the University of the Arts, who reconstructed the music notes for „Frühlingsstürme“ for over two years. Because only a piano reduction remained of the operetta music, the original music notes were lost. Through research in several European libraries, a book with stage directions and old recordings, a new partitur for „Frühlingsstürme“ has emerged, after which this operetta could now be performed again.

Story
The background is the Russo-Japanese War of 1904, in which both areas of Chinese Manchuria claimed for themselves. The Russian General Katschalow (Stefan Kurt) hired cheap Chinese domestic workers for himself, but among them is the Japanese spy Ito (Tansel Akzeybek). The beautiful Lydia Pawlowska (Vera-Lotte Boecker) fell in love with Ito, Katschalow in turn loves Lydia. One day Ito is discovered, but can escape with the help of Lydia, who promises General Katschalow to stay with him. When the war is over after two years, everyone meets again at the peace negotiations in San Remo, Italy. Lydia, who still loves Ito but is now with General Katschalov, finds out that Ito, now the negotiator of the Japanese, is married now. His wife, who has also came to San Remo, asks Lydia to give up her love. With a broken heart she gives in to this request and stays with the general.

Critics
It seems to be a matter close to the heart of the director (and head of Komische Oper) Barrie Kosky to bring operettas and operas from the Weimar period back onto the stage. One of the reasons is certain that these are mostly Jewish composers who all ended their successful work in Germany during the Nazi era and had to flee abroad. Such as Wolfgang Korngold, whose opera „Die Tote Stadt“ (world premiere in 1920) premiered at the Komische Oper in September 2018 (Kultur24 reported).
The second reason is certain that Barrie Kosky loves revue. This mixture of serious music theater and slap-like performance is exactly Kosky’s thing. Here he can let off steam in his wild stage scenes with dancing gents, ladies screaming with lust and singers with powerful voices.
And so here too Barrie Kosky skillfully breathes the soul of the lively music into this operetta. The mood of that time in Berlin in the 1920s is particularly evident. A time that has shaped Berlin to this day and is now celebrating its 100th birthday. So if a tourist who visits Berlin today wants to know how things were 100 years ago, he should definitely see this staging: More 20’s feeling is impossible!
In particular, the greatest talent of the Komische Oper Academy, soprano Vera-Lotte Boecker, can show her full talent here as Lydia Pawlowska: playing, expression and singing are shown in a perfect mixture by her to portray the beautiful Lydia, who are in wonderful arias about her love for the Japanese Ito. See also my video on kultur24 TV:

In addition, Tansel Akzeybek as Ito looks a bit pale, especially since he couldn’t convince me with his voice. The actor Kurt Stefan is completely different. He performed his part as a pure speaking role with flying colors and excellently enthused the audience in a very skillful way, from funny to serious. Applause! His squeak reminded of Charlie Chaplin, especially his little dance inlay on the wall and the scene with the revolving door.
The second couple of the evening, Alma Sadé as Tatjana, daughter of the general and Dominik Köninger as her somewhat crazy lover Roderich Zirbitz, were also convincing.
Conclusion:
I haven’t had such a good entertainment and emotion in Berlin for a long time. It really deserves 5 stars!

„Frühlingsstürme“ by Jaromir Weinberger
Komische Oper Berlin
Musical direction: Jordan de Souza, production: Barrie Kosky, stage design: Klaus Grünberg, costumes: Dinah Ehm, dramaturgy: Ulrich Lenz
With:
Vera-Lotte Boecker (Lydia), Alma Sadé (Tatiana) , Tansel Akzeybek (Ito), Stefan Kurt (General Katschalow), Dominik Köninger (Roderich Zirbitz), Tino Lindenberg (Colonel Baltischew), Luca Schaub (Grand Duke Michailowitch)
Next performances: January 29, February 8, 13 and 23, March 1, 12, 28 and 31, 2020

30 photos: General Katschlow (Stefan Kurt) gesteht Lydia (Vera-Lotte Boecker ) seine Liebe, „Frühlingsstürme“, Komische Oper Berlin © Holger Jacobs/ kultur24.berlin

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

Cookies help us deliver our services. By using our services, you agree to our use of cookies.