„Null“ an der Schaubühne Berlin
Von Gil Jung
28.3.2018
Mit der Inszenierung seines neusten Bühnenstückes sorgt Kult-Regisseur Herbert Fritsch für Ratlosigkeit und erntet Höflichkeitsapplaus
Hintergrund
Was macht man, wenn einem so gar nichts Neues einfallen will? Erst einmal ein bisschen mit der kreativen Krise kokettieren und dann – wie beim Kochen ohne länger nicht mehr eingekauft zu haben – einfach das nehmen, was in den Schränken über geblieben ist und improvisieren. In Herbert Fritschs Fall sind die „Schränke“ natürlich übervoll mit allem, was unorthodox, schräg, spontan und phantasievoll ist, garniert mit einer Handvoll über die Maßen talentierter Schauspieler und einem Sinn fürs Dadaistische. Dass der Ausnahmeregisseur dabei fast gänzlich auf Handlung und Dialoge verzichtet und das Stück „ergebnisoffen“ hat proben lassen, gehört zum Konzept von „Null“. Schauen wir mal, was dabei rumkommt! Mit Null Bock, Null Ahnung oder Nullnummer hat das aber nichts zu tun. Könnte es aber. „Herbert Fritsch und sein Ensemble entdecken sie neu, studieren am Nichts der Null die Möglichkeit von Allem und versuchen sich selbst der Abwesenheit von Sinn entgegenzusetzen, ohne selbst Sinn zu sein“, erläutert die Schaubühne. Und Herbert Frisch selber? Der will mit seiner zweiten großen Inszenierung am Berliner Lehninerplatz „keine Sehgewohnheiten aufbrechen und nicht dem Bürger die Maske vom Gesicht reißen. Ich will mit dem Nichts spielen, das sich als Etwas ausgibt.“
Handlung
„Null“ handelt von neun Personen, einem blinkenden und hupenden Gabelstapler, einer goldenen Poledance-Stange und einer mechanischen Hand in Monstergröße, die gleichermaßen etwas Beängstigendes wie Bechützendes hat. Und von jeder Menge Lärm. Besonders am Ende. Obwohl es Handelnde gibt – wunderbar in jeder einzelnen Rolle: Florian Anderer, Bernardo Arias Porras, Jule Böwe, Werner Eng, Ingo Günther, Bastian Reiber, Ruth Rosenfeld, Carol Schuler und Axel Wandtke – bleibt so etwas wie eine herkömmliche Handlung gänzlich aus. Mal stellen sich die Akteure in einer Reihe auf („ich stell mich jetzt nach außen“), mal ringen sie mit Gummigurten wie mit den Tentakeln eines Riesenoktupus, mal lassen sie sich allesamt von der Decke hängen wie Flummies am Seil, mal performen sie gekonnt und Frisch-typisch skurril an der Poledance-Stange oder laufen mit langen Schritten die Bühne ab wie Kinder beim „Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?!“ Das wirkt komisch, dadaistisch, amüsant und verwirrend. Eine „Null“ ohne Inhalt , ein Theater, das mehr an Kunst und Performance erinnert, als an erzählende Aufführung – aber immerhin konsequent.
Kritik
Es ist ein bisschen vertrackt wie bei „Des Kaisers neue Kleider“. Ist man selber blind oder der andere gerissen? Der Deutschlandfunk konstatierte Fritsch sich „mitten in die Geschichte der Selbstentdeckung der Welt“ zu begeben: „Konsequent startet er beim Nullpunkt, beim Nichts, bei der Leere und beim Urknall“. Der Abend sei „ein großer clownesker Spaß – und dennoch kein großer Fritsch-Abend“. Der Tagesspiegel findet, man habe es bei Fritschs neuer Arbeit „mit einer bewusst ausgeklügelten Null-Nummer zu tun, die ihr Programm unmissverständlich im Titel trägt“. Die Berliner Zeitung befindet, dass dieser Abend „der schmalste und pessimistischste war, den man von Fritsch bisher gesehen hat.“ Deutlich liest sich auch die Kritik der FAZ: „Mit dieser Kakophonie der Vergeblichkeit, in der Maschinen das Geschehen übernommen und die Menschen abgelöst haben, denen keine Gegenwehr mehr möglich ist, endet der Abend als erschöpftes Lamento. Oder unmissverständlich auf dem Nullpunkt der theatralischen Ausdrucksfähigkeiten: viel Aufwand, wenig Ertrag, viel Technik, wenig Herz.“ Der Spiegel empfiehlt das neue Stück gar „Demjenigen, der einmal wirklich nichts sehen will, dem sei diese ‚Null’ von Herbert Fritsch zutiefst angeraten“. Dem kann man Null hinzufügen.
„Null“ nach der Idee und Inszenierung von Herbert Fritsch
Schaubühne Berlin
Regie und Bühne: Herbert Fritsch, Kostüme: Bettina Helmi, Musik: Ingo Günther, Dramaturgie: Bettina Ehrlich, Licht: Carsten Sander.
Mit: Florian Anderer, Bernardo Arias Porras, Jule Böwe, Werner Eng, Ingo Günther, Bastian Reiber, Ruth Rosenfeld, Carol Schuler, Axel Wandtke.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, eine Pause
Uraufführung war am 26. März 2018
Nächste Vorstellungen am 28. und 30. März, 1., 2. , 27., 28., 29. und 30. April und 1. und 2. Mai 2018
Author: Gil Jung
Journalistin und Public Relation Managerin, schrieb viele Jahre für die Lifeystyle-Seite der Welt am Sonntag