„Die Pest“ im Deutschen Theater Berlin

Die Pest - Deutsches Theater Berlin © Declair/ Jacobs/ kultur24.berlin

„Die Pest“ im Deutschen Theater Berlin

 

Von Holger Jacobs

16.06.20

English text

Endlich wieder Schauspiel live – das Deutsche Theater Berlin zeigt auf seinem Vorplatz Albert Camus‘ „Die Pest“.

Nach der Deutschen Oper mit „Das Rheingold auf dem Parkdeck“ und dem Berliner Ensemble mit seinem Hoftheater, zeigt nun auch das Deutsche Theater endlich wieder live und analog Schauspiel auf offener Bühne.

Der Hof des Berliner Ensembles, Foto: Holger Jacobs

Die Begeisterung meiner Kollegin Maria Ossowski in unserem Bericht über die Aufführung des „Rheingolds“ auf dem Parkhaus der Deutschen Oper und meiner eigenen bei der Begehung der neuen Ausstellung im Museum Hamburger Bahnhof (Wiedereröffnung nach 3-monatiger Schließung), kann ich jetzt nur eine weitere Begeisterung hinzufügen, nach diesem wunderbaren Theaterabend in der Schumannstraße in Berlin-Mitte.

Der Vorplatz des Deutschen Theaters, Foto: Holger Jacobs

Max Reinhardt, der große Theatermann und Intendant des Deutschen Theaters von 1905 – 1930, schaut mich als Statue von rechts würdevoll an, als ich mich auf dem Vorplatz eben jenes Theaters auf einen Plastikstuhl in coronabedingter Manier mit 2 Meter Abstand zu den anderen Zuschauern niederlasse.

Es soll „Die Pest“ gespielt werden, ausgerechnet diese Theateradaption des berühmten Romans von Albert Camus, der nichts anderes beschreibt, als die Heimsuchung einer Stadt durch die schlimmste Seuche, welche die Menschheit bis heute befallen hat: Dem schwarzen Tod!

Kein Drama könnte zu unserer heutigen Situation besser passen.
Das Ausbrechen der Seuche, die Erkenntnis, dass es sich um eine besonders schlimme Erkrankung handelt, das Verschließen der Menschen in ihren Häusern, das massenhafte Sterben der Infizierten, die Hilflosigkeit der Medizin und dann das langsame Absinken der Todesraten bis zu den ersten Lockerungen und dem Freiheitsgefühl der Gesunden nach überstandener Epidemie.

Der Zuschauer hat den Eindruck, dass diese Geschichte gerade erst in den letzten Monaten geschrieben wurde.
Als Erlebnisbericht zu Corona 2020.
Der Roman ist aber 73 Jahre alt!
Und doch: alles, was auf der Bühne zu hören ist, scheinen wir gerade erlebt zu haben.

Oder doch nicht?
Wenn wir jetzt Anfang Juni wieder die vielen Menschen in den Gassen sehen, dichtgedrängt in Restaurants, in den Bussen und Bahnen und die vielen fröhlichen Gesichter junger Leute in Party-Laune könnte der Zeitzeuge gewillt sein zu denken, alles wäre doch nicht so schlimm gewesen.
Dabei kann die Corona-Epidemie durchaus wieder erneut ausbrechen, wie gerade in China gesehen.
Und wir sollten nicht vergessen: Bisher sind über 8 Millionen Menschen weltweit an dem Sars CoV- 2 Virus  erkrankt, über 450.000 daran gestorben.

Aber zurück zu unserer Theateraufführung auf dem Vorplatz des Deutschen Theaters.

Nachdem mich also Max Reinhardt wohlwollend als einer von ca. 80 Zuschauern akzeptiert hat (jeder Abend ist ausverkauft), sitze ich auf meinem Platikstuhl und genieße diese wundervolle frühsommerliche Stimmung in Berlin bei 23 Grad Celsius, zwitschernden Vögeln in den Bäumen und blau-rosa leuchtendem Abendhimmel.

Ach, Corona, war da was?

Doch als der aus Mazedonien stammende und in Heidelberg aufgewachsene Schauspieler Bozidar Kocevski auf die ca. 30 qm schwarz angemalte Bühne betritt wird es ernst.
Die Geschichte von der Pest in der algerischen Stadt Oran gleicht wirklich sehr unserer heutigen Corona-Pandemie.
Aber Albert Camus wollte in seinem 1947 veröffentlichtem Roman nicht wirklich über eine Krankheit erzählen: Für ihn war  sein Roman „Die Pest“ eine Aufarbeitung der Gräuel des 2.Weltkriegs mit Krieg, Vernichtungslagern und dem nationalsozialisten Wahn.
Gleich einer Seuche überschwemmten Grausamkeit und Faschismus damals in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts ganz Europa und keiner wusste zunächst, wie man es zurückdrängen und besiegen könnte. Doch letztlich besiegten Hitler und seine Schergen sich selbst, indem sie immer größer, mächtiger, aber auch wahnwitziger wurden und dann darin selber umkamen.
Wie ein Virus eben. Wenn es keinen Wirt mehr findet, stirbt es aus…

„Die Pest“ mt Schauspieler Božidar Kocevski, Foto: Holger Jacobs

Der DT-Schauspieler Bozidar Kocevski spielt alle Charaktere des Dramas selbst: den Arzt Dr. Rieux, der verzweifelt versucht zu retten, was nicht zu retten ist, sein Freund Tarrou, der ebenfalls helfen will, sich aber infiziert und stirbt. Der Journalist Rambert, der aus Paris kommend über die „arabische Frage“ schreiben soll, aber nun wegen der Quarantäne nicht mehr zurück darf.  Oder den Rathausangestellten Grand, der einen Roman schreiben will, aber nie über den ersten Satz hinauskommt.
Sogar ein sterbendes Kind wird dargestellt – in Form eines Kinderstuhles. Rieux/ Kocevski hält es so lange mit ausgestrecktem Arm in die Luft bis der Arm vor Müdigkeit zu Boden sinkt – das Kind ist tot!

Bodizar Kocevski macht das bewundernswert mit toller sprachlicher Artikulation.
80 Minuten lang sind 80 Zuschauer von dem Stück und seiner Aufführung gefesselt.
Ein Glücksfall für Intendant Ulrich Khuon, dass er ausgerechnet dieses Stück bereits im Herbst letzten Jahres in den Spielplan aufnahm – jetzt könnte es nicht aktueller sein.

Leider gab es zunächst nur wenige Vorstellungen. Aber es soll in die nächste Spielzeit übernommen werden und vielleicht bereits am 13. August nach einer verkürzten Theaterpause wieder auf dem Vorplatz Open Air gespielt werden.
Der reguläre Spielbetrieb des Deutschen Theaters soll wieder am 29. August 2020 beginnen – wenn nicht doch noch eine zweite Ansteckungswelle losbricht und alle Hoffnungen wieder über den Haufen geworfen werden. Hoffen wir das Beste!

„Die Pest“ nach dem Roman von Albert Camus
Premiere war am 15.11.2019 in der Box des DT
Deutsches Theater Berlin
Regie: Andras Dömötör, Bühne und Kostüm: Sigi Colpe, Musik: Laszlo Bakk-David
Mit: Bozidar Kocevski
Nächste Vorstellung: 18. Juni 2020 um 20.30 Uhr

Großer Applaus für „Die Pest“ auf dem Vorplatz des Deutschen Theaters, Foto: Holger Jacobs

 

English text

„Die Pest“ in the German Theater Berlin
By Holger Jacobs
16.06.20
Finally live again – the German Theater Berlin shows Albert Camus‘ „The Pest“ on its court.
After the Deutsche Oper with „Das Rheingold auf dem Parkdeck“ and the Berliner Ensemble with its court theater,
the Deutsches Theater is finally showing live and analogue drama on the open stage again.

Der Hof des Berliner Ensembles, Foto: Holger Jacobs

The enthusiasm of my colleague Maria Ossowski in our report on the performance of the „Rheingold“ in the parking garage of the Deutsche Oper and my own in inspecting the new exhibition in the Museum Hamburger Bahnhof (reopening after 3 months of closure), I can add one more enthusiasm after this wonderful theater evening in Schumannstrasse in Berlin-Mitte.
Max Reinhardt, the great theater man and director of the Deutsches Theater from 1905 – 1930, looks at me as a statue from the right with dignity when I sit down on the forecourt of that theater on a plastic chair in a corona-related manner with a distance of 2 meters from the other spectators.

Der Vorplatz des Deutschen Theaters, Foto: Holger Jacobs

„Die Pest“ is supposed to be played, this theater adaptation of the famous novel by Albert Camus, which describes nothing other than the haunt of a city by the worst plague that has affected humanity to this day: the Black Death!

No drama could be better suited to our current situation. The outbreak of the plague, the realization that it is a very bad disease, the closing of people in their homes, the mass death of the infected, the helplessness of medicine and then the slow decline in death rates until the first relaxation and then the feeling of freedom of the healthy people after the epidemic.
The viewer has the impression that this story has just been written in the past few months. As an experience report for the Corona period 2020.
But the novel is 73 years old! And yet: we seem to have just experienced everything that can be heard on stage.

Or not? When we see the many people in the streets again in early June, crowded in restaurants, on the buses and trains and the many happy faces of young people in a party mood, the eyewitness might be willing to think that everything would not have been so bad.  But the corona epidemic may well break out again, as just seen in China. And we shouldn’t forget: So far over 8 million people worldwide have been infected by the Sars CoV-2 virus, and over 450,000 have died of it.

But back to our theater performance on the forecourt of the Deutsches Theater.

So after Max Reinhardt benevolently accepted me as one of about 80 spectators (every evening is sold out), I sit on my plastic chair and enjoy this wonderful early summer mood in Berlin at 23 degrees Celsius, chirping birds in the trees and glowing blue-pink evening sky.
Oh, did we really had a Corona crises?

But when the actor Bozidar Kocevski, who comes from Macedonia and grew up in Heidelberg, steps onto the 30 square meter black-painted stage, things get serious.
The story of the plague in the Algerian city of Oran really resembles our corona pandemic today.
But Camus did not really want to tell about an illness in his novel published in 1947: For him, „The Plague“ was a reappraisal of the atrocities of the Second World War with battles, extermination camps and the National Socialist delusion.
Like a plague, cruelty and fascism flooded the whole of Europe in the 1940s and no one knew at first how to push it back and defeat it.
Ultimately, however, Hitler and his henchmen defeated themselves by becoming bigger, more powerful, and more insane, and then perishing in it themselves.
Like a virus. If it no longer finds a host, it dies out …

The DT actor Bozidar Kocevski plays all characters of the drama himself: the doctor Dr. Rieux, who tries desperately to save what cannot be saved, his friend Tarrou, who also wants to help, but becomes infected and dies. The journalist Rambert, who is supposed to write about the „Arab question“ coming from Paris, but is not allowed to go back because of the quarantine. Or the city hall clerk Grand, who wants to write a novel but never gets past the first sentence. Even a dying child is shown – in the form of a child’s chair. Rieux / Kocevski holds it in the air with his arm extended until the arm sinks to the ground from tiredness – the child is dead!

„Die Pest“ mt Schauspieler Božidar Kocevski, Foto: Holger Jacobs

Bodizar Kocevski does this admirably with great language articulation.
For 80 minutes, 80 spectators are captivated by the play and its performance.
It was a stroke of luck for theater director Ulrich Khuon that he included this piece on the schedule in autumn last year – it couldn’t be more up to date now.

Unfortunately, there were initially only a few performances. But it should be carried over into the next season and maybe already on August 13, after a shortened break from the theater, it will be played on the open air forecourt again.
The regular theater saison of the Deutsches Theater are scheduled to begin again on August 29, 2020 – unless a second wave of contagion breaks out and all hopes are dashed again. But let’s hope the best!

„The Pest“ based on the novel by Albert Camus
Deutsches Theater Berlin
Premiere was in the „Box“ of the Deutsches Theater Berlin on November 15, 2019
Director: Andras Dömötör, stage and costume: Sigi Colpe, music: Laszlo Bakk-David
With: Bozidar Kocevski

Großer Applaus für „Die Pest“ auf dem Vorplatz des Deutschen Theaters, Foto: Holger Jacobs

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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