Nan Goldin – Skandal in der Neuen Nationalgalerie
Von Holger Jacobs
27.11.2024
for english translation click here
Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂 (vier von fünf)
Ein Antisemitismus-Eklat überschattet die Eröffnung der Retrospektive über das Werk von Nan Goldin
Die Leser von kultur24.berlin kennen die Arbeiten der US-amerikanischen Fotografin NAN GOLDIN gut.
Erst letztes Jahr bekam sie hier in Berlin den Käthe-Kollwitz-Preis überreicht mit einer umfangreichen Ausstellung in der Akademie der Künste (kultur24 berichtete).
Und schon im Jahre 2017 hatte meine Kollegin Julia Engelbrecht-Schnür über die Ausstellung „Help me – Hurt me“ in der Hamburger Kunsthalle berichtet. NAN GOLDIN war dort mit mehreren Fotografien vertreten.
Nun die große Retrospektive über das Werk der Fotokünstlerin, welches auf die Initiative des schwedischen Kurators FREDRIK LIEW vom Moderna Museet in Stockholm zurückgeht. Dort, wie auch in Amsterdam, wurde die Show bereits gezeigt.
Doch anstatt über Kunst muss ich heute über die Ereignisse schreiben, die sich am Eröffnungsabend der Ausstellung, am 22. November 2024, in der Neuen Nationalgalerie zugetragen haben.
Eine Antisemitismus Debatte überschattet die Welt der Kunst
Seit dem Überfall am 7. Oktober 2023 von Hamas-Terroristen auf jüdische Menschen in mehreren Dörfern und auf ein Musikfestival nördlich des Gaza-Streifens, welches in ein grausames Massaker an über 1200 Menschen endete, kochen überall in der westlichen Welt die Gefühle hoch.
War es zunächst noch große Erschütterung und tiefe Trauer über die menschenverachtenden Handlungen dieser Hamas-Terroristen, wechselten die Sympathie-Kundgebungen auf die Seite der Palästinenser, als die israelische Armee in den Gaza-Streifen einfiel und bei ihrer Jagd auf die Mörder des 7. Oktober auch mehrere Tausend Zivilisten, darunter viele Kinder, töteten – und immer noch töten.
So länger dieser Krieg dauert und um so mehr Palästinenser bei den Angriffen der Israelis ums Leben kommen, um so mehr entwickelt sich ein Unverständnis gegenüber der israelischen Führung, insbesondere gegenüber Ministerpräsident BENJAMIN NETANJAHU.
Viele Menschen in der ganzen Welt zeigten in Demonstrationen ihren Unmut über das israelische Vorgehen in Gaza und mehrere Universitäten in den USA und in Europa wurden von Anti-Israel Aktivisten besetzt.
In der Berlin musste in diesem Jahr sowohl in der FU (Freien Universität), als auch in der HU (Humboldt-Universität), der Universitäts-Campus durch den Einsatz von Polizeikräften geräumt werden.
Selbst die bekannteste Umwelt-Aktivistin GRETA THUNBERG ließ sich zu Anti-Israel-Parolen hinreißen.
Die Kunst in Zeiten des Israel-Palästina-Krieges
Leider führt dieser Krieg auch dazu, dass in der Welt von Kunst und Kultur die Meinungen divergieren und teilweise mit harten Worten entweder die eine, oder die anderen Seite diffamiert wird.
Bekannterweise ist in Deutschland die Kritik an Israel oder ganz allgemein die Kritik an Juden mit unserer Geschichte verbunden.
So wird auch schnell eine negative Einstellung zum Staate Israel als Antisemitismus gedeutet – was sie sicher nicht ist. Solange die Kritik sachlich bleibt.
Doch wer bleibt angesichts dessen, was wir jeden Tag aus Gaza sehen, noch sachlich?
Cancel Culture
Leider führten Meinungsäußerungen, bzw. Sympathiebezeugungen Kulturschaffender zugunsten der Palästinenser auch dazu, dass diese dann bei Veranstaltungen wieder ausgeladen wurden (ANAIS DUPLAN beim Folkwang Museum), deren Ausstellungen ge-cancelt wurden (CANDICE BREITZ im Saarland Museum)
oder gar nicht erst stattfinden konnten (israelischer Pavillon bei der Biennale in Venedig).
Sogar Preise wurden wieder eingesammelt (der Literaturpreis für ADANIA SHIBLI auf der Frankfurter Buchmesse).
Und gestern erfuhr ich durch einen Beitrag in der TV-Sendung „Kulturzeit“ auf 3sat, dass es einen Boykott-Aufruf gegen israelische Autor*innen gibt durch 6.000 Unterschriften von Kollegen aus der Literaturszene – egal, ob die Boykottierten sich ebenfalls gegen Netanjahus Politik stellen oder nicht.
Das ist furchtbar!
Die Eröffnung „Nan Goldin – This will not end well”
Bei der Eröffnungsfeier zur Ausstellung „Nan Goldin – This will not end well“ in der Neuen Nationalgalerie kam es dann am vergangenen Freitag zum Eklat.
In ihrer Eröffnungsrede erhob NABN GOLDIN schwere Vorwürfe gegen Deutschland wegen ihrer uneingeschränkten Unterstützung des Staates Israel. Deutschland hätte die größte palästinensische Diaspora weltweit und trotzdem würden Pro-Palästina Demonstrationen von der Polizei niedergeknüppelt werden.
Wörtlich sagte GOLDIN:
„Ich bin mit dem Wissen über den Nazi-Holocaust in Deutschland aufgewachsen. Was ich in Gaza sehe, erinnert mich an die Pogrome, denen meine Großeltern entkommen sind. Die gesamte Infrastruktur Palästinas ist zerstört worden. Die Krankenhäuser, die Schulen, die Universitäten, die Bibliotheken. Es ist auch ein kultureller Völkermord. Warum kannst du das nicht sehen, Deutschland?“
Der Direktor der Neuen Nationalgalerie, KLAUS BIESENBACH, versuchte daraufhin eine Erwiderung zu geben, wurde aber von einer großen Goldin-Fan-Gemeinde niedergebrüllt.
Denn mittlerweile waren über Hundert Pro-Palästinensische Sympathisanten zur Ausstellungseröffnung gekommen und hatten sich irgendwie Zugang zum Gebäude geschaffen.
Dabei wurden „FREE PALESTINE“ und „STAASTSRÄSON IST GENOCIDE“ Plakate geschwungen (anspielend auf eine Resolution im Deutschen Bundestag, die explizit den Kampf gegen den Antisemitismus in Deutschland als „Staatsräson“ deklariert.
Die wenigen Sicherheitskräfte waren völlig überfordert und ein Chaos brach aus. Zum Glück konnte die Lage durch die Besonnenheit der Führung der Nationalgalerie beruhigt werden und nach einiger Zeit wiederholte der Direktor dann seine vormals unterbrochene Rede auf NAN GOLDIN.
KLAUS BIESENBACH: „Auch wenn ich nicht ihrer Meinung bin, so sind wir als Museum der Freiheit der Kunst und der freien Meinungsäußerung verbunden. Ebenso wichtig ist unser Engagement für die Würde jedes einzelnen Menschen, was eine entschiedene Ablehnung jeder Art von Antisemitismus, Islamophobie, Rassismus und aller anderen Formen von Hass, Bigotterie und Gewalt erfordert. Das Existenzrecht Israels steht für uns außer Frage. Der Angriff der Hamas auf den jüdischen Staat am 7. Oktober 2023 war ein grausamer Terrorakt, der durch nichts zu rechtfertigen ist. Gleichzeitig fühlen wir mit der Zivilbevölkerung im Gazastreifen und im Libanon mit, deren Leid nicht übersehen werden darf. Alle Menschen im Nahen Osten haben das Recht, ohne Angst und mit der Gewissheit ihrer Sicherheit zu leben. Wir setzen uns für eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts ein.“
Die Ausstellung
Zum Schluss möchte ich natürlich auch gerne über das eigentliche Ereignis sprechen, nämlich die Ausstellung selbst.
Wie viele von Euch bereits wissen, ist NAN GOLDIN hauptsächlich durch ihre schnappschussartige Fotografie im Milieu von Transgender und LGBTQ Communities bekannt geworden.
1953 in einer jüdischen Familie geboren zog sie bereits mit 14 Jahren aus dem Elternhaus aus und lebte fortan bei Freunden, die sie im Bostoner Club „The Other Side“, einer Transgender Bar, kennengelernt hatte.
In dieser Zeit begann sie zu fotografieren, in aller erster Linie ihre Freunde.
Daraus entstanden mehrere Fotoserien, die sie später in Galerien und Museen zeigen konnte.
Der Durchbruch kam 1987 mit dem Kodak Photobook Award für „The Ballad of Sexual Dependency“ und einer Ausstellung beim Rencontre d‘ Arles in Südfrankreich im gleichen Jahr.
In der jetzigen Retrospektive in der Neuen Nationalgalerie zeigt NAN GOLDIN sechs Foto-Installationen als Dia-Shows, die in sechs Pavillons in der oberen Halle der Nationalgalerie zu sehen sind.
Diese sind betitelt mit „Sirens“, “Sisters“, „Saintes and Siblys“, „Fire Leap“, “Memory Lost”, „The Other Side” und “The Ballad of Sexual Dependency”.
Jedes mit einem anderen Schwerpunkt aus ihrer riesigen Sammlung von eigenen Fotografien aus fünf Jahrzehnten.
Fazit: Auch wenn ich schon viele ihrer Arbeiten gesehen habe strahlen ihre Fotografien immer noch eine gewisse Faszination auf mich aus. Wie kaum eine andere Künstlerin schafft es NAN GOLDIN uns in eine Welt zu führen, die die meisten von uns noch nie gesehen haben.
Nan Goldin – This will not end well“
Neue Nationalgalerie, Berlin
Potsdamer Str. 50
10785 Berlin
23.11.2024 – 06.04.2025
Di – So 10 – 18 Uhr
Bilderserie mit 16 Arbeiten aus der Ausstellung „NAN GOLDIN“:
English text
Nan Goldin – Scandal in the New National Gallery
By Holger Jacobs
Rating: 🙂 🙂 🙂 🙂 (four of five)
An anti-Semitism scandal overshadows the opening of the retrospective on the work of Nan Goldin
The readers of kultur24.berlin know the work of the US photographer NAN GOLDIN well.
Just last year she was awarded the Käthe Kollwitz Prize here in Berlin with an extensive exhibition at the Academy of Arts (kultur24 reported).
And back in 2017 my colleague Julia Engelbrecht-Schnür reported on the exhibition „Help me – Hurt me“ in the Hamburger Kunsthalle.
NAN GOLDIN was represented there with several photographs.
Now the major retrospective on the work of the photo artist, which goes back to the initiative of the Swedish curator FREDRIK LIEW from the Moderna Museet in Stockholm.
The show has already been shown there, as well as in Amsterdam.
But instead of writing about art today, I have to write about the events that took place on the opening night of the exhibition, on November 22, 2024, at the Neue Nationalgalerie Berlin.
An anti-Semitism debate overshadows the world of art
Since the attack on October 7, 2023 by Hamas terrorists on Jewish people in several villages and on a music festival north of the Gaza Strip, which ended in a gruesome massacre of over 1200 people, emotions have been running high all over the Western world.
While there was initially great shock and deep sadness over the inhumane actions of these Hamas terrorists, the sympathy rallies switched to the side of the Palestinians when the Israeli army invaded the Gaza Strip and killed – and is still killing – several thousand civilians, including many children, in its hunt for the murderers of October 7.
The longer this war lasts and the more Palestinians die in the Israeli attacks, the more a lack of understanding develops towards the Israeli leadership, especially towards Prime Minister BENJAMIN NETANYAHU.
Many people around the world demonstrated their displeasure at Israel’s actions in Gaza, and several universities in the USA and Europe were occupied by anti-Israel activists.
In Berlin, the university campuses of both the FU (Free University) and the HU (Humboldt University) had to be evacuated by police forces this year.
Even the most well-known environmental activist GRETA THUNBERG was drawn into shouting anti-Israel slogans.
Art in Times of the Israel-Palestine War
Unfortunately, this war also leads to a diverging opinion in the world of art and culture, and sometimes harsh words are used to defame one side or the other.
It is well known that in Germany, criticism of Israel or, more generally, criticism of Jews is linked to our history.
A negative attitude towards the state of Israel is quickly interpreted as anti-Semitism – which it certainly is not. As long as the criticism remains objective.
But who remains objective in view of what we see every day from Gaza?
Cancel Culture
Unfortunately, expressions of opinion or expressions of sympathy by cultural workers in favor of the Palestinians also led to them being disinvited from events (ANAIS DUPLAN at the Folkwang Museum), their exhibitions being canceled (CANDICE BREITZ at the Saarland Museum)
or not being able to take place at all (Israeli pavilion at the Venice Biennale).
Even prizes had to be returned (the literature prize for ADANIA SHIBLI at the Frankfurt Book Fair).
And yesterday I learned from a report on the tv-program “Kulturzeit” on 3sat that there is a call for a boycott against Israeli authors with 6,000 signatures from colleagues in the worldwide literary scene – regardless of whether the boycotted also oppose Netanyahu’s policies or not.
That is terrible!
The night of the opening “Nan Goldin – This will not end well”
The opening ceremony for the exhibition “Nan Goldin – This will not end well” in the New National Gallery last Friday caused a scandal.
In her opening speech, NABN GOLDIN made serious accusations against Germany for its unconditional support of the State of Israel. Germany has the largest Palestinian diaspora in the world and yet pro-Palestine demonstrations are beaten down by the police.
NAN GOLDIN said:
“I grew up knowing about the Nazi Holocaust in Germany. What I see in Gaza reminds me of the pogroms that my grandparents escaped. The entire infrastructure of Palestine has been destroyed.
The hospitals, the schools, the universities, the libraries. It is also a cultural genocide.
Why can’t you see that, Germany?“
The director of the New National Gallery, KLAUS BIESENBACH, then tried to respond, but was shouted down by a large Goldin fan community.
By now, over a hundred pro-Palestinian sympathizers had come to the exhibition opening and had somehow gained access to the building.
The posters „FREE PALESTINE“ and „STATE REASON IS GENOCIDE“ were waved (alluding to a resolution in the German Bundestag that explicitly declares the fight against anti-Semitism in Germany to be a „state reason“).
The few security forces were completely overwhelmed and chaos broke out. Fortunately, the situation was calmed down by the prudence of the National Gallery management and after a while the director repeated his previously interrupted speech on NAN GOLDIN.
KLAUS BIESENBACH replied: „Even if I do not agree with you, as a museum we are committed to freedom of art and freedom of expression. Equally important is our commitment to the dignity of every individual, which requires a resolute rejection of any kind of anti-Semitism, Islamophobia, racism and all other forms of hatred, bigotry and violence. Israel’s right to exist is beyond question for us. Hamas‘ attack on the Jewish state on October 7, 2023 was a cruel act of terror that cannot be justified by anything. At the same time, we sympathize with the civilian population in the Gaza Strip and Lebanon, whose suffering must not be overlooked. All people in the Middle East have the right to live without fear and with the certainty of their security. We are committed to a peaceful solution to the Middle East conflict.“
The exhibition
Finally, I would of course also like to talk about the exhibition itself.
As many of you already know, NAN GOLDIN has become known mainly through her snapshot-like photography in the milieu of transgender and LGBTQ communities.
Born in 1953 into a Jewish family, she moved out of her parents‘ home at the age of 14 and lived with friends she had met in the Boston club „The Other Side“, a transgender bar .
During this time she began taking photographs, primarily of her friends.
This resulted in several photo series, which she was later able to show in galleries and museums.
Her breakthrough came in 1987 with the Kodak Photobook Award for „The Ballad of Sexual Dependency“ and an exhibition at the Rencontre d‘ Arles in Southern France in the same year.
In the current retrospective at the Neue Nationalgalerie, NAN GOLDIN is showing six photo installations as slide shows, which can be seen in six pavilions in the upper hall of the Nationalgalerie.
These are titled „Sirens“, „Sisters“, „Saintes and Siblys“, „Fire Leap“, „Memory Lost“, „The Other Side“ and „The Ballad of Sexual Dependency“.
Each with a different focus from her huge collection of her own photographs from five decades.
Conclusion: Even though I have already seen many of her works, her photographs still radiate a certain fascination for me.
Like hardly any other artist, NAN GOLDIN manages to lead us into a world that most of us have never seen before.
Nan Goldin – This will not end well“
Neue Nationalgalerie, Berlin
Potsdamer Str. 50
10785 Berlin
Nov, 23rd 2024 – April 6th, 2025
Tue – Su 10 am – 6 pm
Picture series of the exhibition:
Author: Holger Jacobs
Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.