Das Musical SWEENEY TODD in der Komischen Oper Berlin
Von Holger Jacobs
22.10.2024
for english translation click here
Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂 (vier von fünf)
Eine Horror-Geschichte wird zum humorvollen Musiktheater
Wie ich gestehen muss, kannte ich dieses Musical bisher gar nicht.
Das Einzige, was mir dazu einfiel, war eine Verfilmung von TIM BURTON mit JOHNNY DEPP als Sweeney Todd aus dem Jahr 2007.
Doch diesen konnte ich kaum noch erinnern.
So hatte ich zunächst gar keine Pressekarte für die Premiere beantragt und selbst für die Foto/ TV Probe entschied ich mich erst in letzter Minute.
Doch als ich dann wieder im Schillertheater (Ausweichstätte für die Komische Oper für die Zeit der Renovierung) hinter meiner Kamera stand, war ich so begeistert, dass ich beschloss, auf jeden Fall ein paar Tage später zur Eröffnung zu kommen.
Handlung
Mitte des 19. Jahrhunderts in London.
Zwischen den dunklen, von Ruß geschwärzten Wänden der Großstadt ziehen zwei traurige Gestalten ihres Weges. Es sind der alte Sweeney Todd (CHRISTOPHER PURVES) und der junge Anthony (HUBERT ZAPIOR), die gerade von einer langen Schiffreise in ihre Heimatstadt zurückkehren.
Sweeney Todd war 15 Jahre lang wegen eines korrupten Richters nach Australien verbannt worden und Anthony hat sich auf der langen Reise zurück nach England ihm angeschlossen. Nach der Ankunft trennen sich ihre Wege und Sweeney geht zu seinem alten Barbershop, den er vor so langer Zeit verlassen musste.
Dort trifft er seine alte Untermieterin Mrs. Lovett (DAGMAR MANZEL) wieder, die jetzt im Laden darunter Pasteten verkauft, die aber keiner haben will. Sie erkennt in Sweeney ihren ehemaligen Nachbarn Benjamin Barber wieder. Sie erzählt ihm, dass der Richter Turpin (JENS LARSEN) Benjamin loswerden wollte, um sich ungehindert an dessen hübscher Frau Lucy ranmachen zu können.
Kaum war Benjamin dann weg, vergewaltigte er dessen Frau und adoptierte die junge Tochter Johanna.
Lucy nahm kurz darauf Gift und verstarb. Und Johanna blieb bei Richter Turpin.
Mrs. Lovett hatte unterdessen die alten, aber wertvollen Rasiermesser von Benjamin, der sich jetzt Sweeney Todd nennt, behalten und schlägt ihm vor, wieder über ihr als Barbier anzufangen. Gesagt, getan.
Doch Sweeney plant seine Rache an Richter Turpin.
Anthony wiederum lernt durch Zufall Sweeneys Tochter Johanna (ALMA SADÉ) kennen und verliebt sich in sie.
Als ein Konkurrent von Sweeney ihn eines Tages als Benjamin Barber wiedererkennt und dies verraten will, tötet ihn Sweeney. Um die Leiche loszuwerden, hat Mrs. Lovett eine Idee: Ihn zu Pastete zu verarbeiten.
Als die beiden diese Idee umsetzen und die Patisserie plötzlich großen Zulauf auf Grund der köstlichen Pasteten bekommt, sterben immer mehr Kunden auf dem Stuhl des Barbiers. Und so kommt Sweeney letztlich auch zu seiner Rache an Richter Turpin.
Die Uraufführung des Musicals „Sweeney Todd“ fand 1979 am Broadway in New York statt.
Das Stück lief mit großem Erfolg über zwei Jahre lang.
Kritik
Wie schon oben erwähnt, war meine Begeisterung groß.
Nicht nur das Musical ist von der Geschichte und von seinen Melodien her spannend und wunderschön zugleich, sondern auch die Umsetzung durch Regisseur BARTRIE KOSKY wie immer ein Meisterwerk.
Der ehemalige Intendant der Komischen Oper hat die außerordentliche Begabung aus Musik, Inhalt und Bühnenperformance eine berauschende Mischung zu machen, die jeden von den Stühlen reißt.
Während bei anderen Inszenierungen immer Buhrufe erschallen, gibt es bei BARRIE KOSKY regelmäßig Standing Ovations und „Bravo“-Rufe.
Die Bühne (Katrin Lea Tag) ist sehr reduziert und zeigt nur wenige Details.
So gibt es im ersten Teil graue, nach hinten verlaufende Wände, die das alte London aus der viktorianischen Zeit zeigen, im zweiten Teil dann nach der Pause graue Plattenbauten aus den 80er Jahren.
Offensichtlich spielt die Geschichte im Armen- und Arbeitermilieu und dieses ändert sich in seinen menschlichen Schicksalen wenig, egal in welcher Epoche.
Entsprechend changieren auch die Kostüme (ebenfalls Katrin Lea Tag).
Die Sängerschar, einschließlich des Chors, gefiel mir sehr gut.
Der britische Bassbariton CHRISTOPHER PURVES (*1961, u.a. Alberich in der Ring-Inszenierung in Zürich und den Mephisto aus „Faust“ von Gounod in Glyndebourne) ist in seiner Rolle des Sweeney großartig, sowohl gesanglich, als auch schauspielerisch (siehe mein Video).
DAGMAR MANZEL ist sicher die Idealbesetzung für die hintertriebene Mrs. Lovett. MANZEL kann einfach alles: Singen, Tanzen, Schauspielen, Pantomime et.c. Was für ein Talent! Und hier schafft sie es die Komik nicht zu überziehen, um dem Horror noch genug Raum zu geben.
Trotzdem bekam sie aber immer dann viele Lacher, wenn sie in manchen Szenen vom original englischen Text abwich und ein paar deutsch-berlinerische Schlagwörter mit einstreute. Und das sehr gekonnt.
Zum Schluss noch ein großes Lob an unseren neuen Generalmusikdirektor (seit 2023) der Komischen Oper Berlin, JAMES GAFFIGEN (*1979), der es wunderbar verstand die moderne Partitur des Komponisten STEPHEN SONDHEIM (Uraufführung 1979 in New York) musikalisch umzusetzen.
Fazit: Ein wahrhaftiges Vergnügen von 2 ½ Stunden, die ich nur jedem empfehlen kann.
Hier unser Video von 3 Min. mit einem Ausschnitt aus dem 1. Akt:
„Sweeney Todd“ von Stephen Sondheim
Premiere am 17.12.2024 in der Komischen Oper Berlin
Englisch mit deutschen Untertiteln
Musikalische Leitung: James Gaffigen, Regie: Barrie Kosky, Bühne und Kostüme: Katrin Lea Tag, Chöre: David Cavelius.
Mit: Christopher Purves (Sweeney Todd), Dagmar Manzel (Mrs. Lovett), Hubert Zapior (Anthony), Alma Sadé (Johanna), Jens Larsen (Richter Turpin), Segalit Feig (Bettlerin), Ivan Tursic (Adolfo Pirelli)
Bilderserie mit 10 Fotos der Aufführung:
English text
The musical SWEENEY at the Komische Oper Berlin
By Holger Jacobs
Rating: 🙂 🙂 🙂 🙂 (four of five)
A horror story becomes a humorous musical theater
I have to admit, I didn’t know this musical at all until now.
The only thing that came to mind was a film adaptation by TIM BURTON with JOHNNY DEPP as Sweeney Todd from 2007.
But I could hardly remember that one.
So I didn’t even apply for a press pass for the premiere at first and I only decided to go to the photo/TV rehearsal at the last minute.
But when I was back behind my camera in the Schillertheater (the Komische Oper’s alternative venue for the time of renovation), I was so excited that I decided to definitely come to the opening a few days later.
Story
Mid-19th century London.
Between the dark, soot-blackened walls of the big city, two sad figures walk their way.
They are the old Sweeney Todd (CHRISTOPHER PURVES) and the young Anthony (HUBERT ZAPIOR), who are just returning from a long sea voyage to their hometown.
Sweeney Todd was banished to Australia for 15 years because of a corrupt judge and Anthony has joined him on the long journey back to England. After arriving, they part ways and Sweeney goes to his old barbershop, which he had to leave so long ago.
There he meets his old lodger Mrs. Lovett (DAGMAR MANZEL), who now sells pies in the shop below, but nobody wants them.
She recognizes Sweeney as her former neighbor Benjamin Barber.
She tells him that Judge Turpin (JENS LARSEN) wanted to get rid of Benjamin so that he could have his way with Sweeneys pretty wife Lucy without hindrance.
As soon as Benjamin was gone, he raped Sweeneys wife and adopted their young daughter Johanna.
Lucy took poison shortly afterwards and died. And Johanna stayed with Judge Turpin.
Mrs. Lovett had meanwhile kept the old but valuable razors of Benjamin, who now calls himself Sweeney Todd, and suggested that he start working as a barber again. Done.
But Sweeney plans his revenge on Judge Turpin.
Anthony, in turn, meets Sweeney’s daughter Johanna (ALMA SADÉ) by chance and falls in love with her.
When one of Sweeney’s competitors recognizes him one day as Benjamin Barber and wants to reveal this, Sweeney kills him.
To get rid of the body, Mrs. Lovett has an idea: to turn him into pate.
When the two implement this idea and the patisserie suddenly becomes very popular due to the delicious pies, more and more customers die in the barber’s chair.
And this is how Sweeney finally gets his revenge on Judge Turpin.
The musical „Sweeney Todd“ premiered on Broadway in New York in 1979.
The play ran for two years with great success.
Critics
As mentioned above, the premiere was very exciting.
Not only is the musical thrilling in terms of its story and beautiful in terms of its melodies, but the staging by director BARRIE KOSKY is also, as always, a masterpiece.
The former director of the Komische Oper has the extraordinary talent of creating an intoxicating mix of music, content and stage performance that will get everyone out of their seats.
While other productions get boos, BARRIE KOSKY regularly gets standing ovations and shouts of “Bravo”.
The stage (Katrin Lea Tag) is very reduced and shows only a few details.
In the first part there are grey walls running towards the back that show old London from the Victorian era, and in the second part after the break there are grey prefabricated buildings from the 1980s.
The story is obviously set in the poor and working class milieu and this changes little in terms of human fate, regardless of the era.
The costumes also change accordingly (also by Katrin Lea Tag).
I really liked the group of singers, including the choir.
The British bass-baritone CHRISTOPHER PURVES (*1961, among others Alberich in the Ring production in Zurich and Mephisto from “Faust” by Gounod in Glyndebourne) is great in his role as Sweeney, both vocally and as an actor (see my video).
DAGMAR MANZEL is certainly the ideal casting for the devious Mrs. Lovett. MANZEL can do just about anything: singing, dancing, acting, pantomime, etc. What a talent! And here she manages not to overdo the comedy in order to give the horror enough space.
Nevertheless, she always got a lot of laughs when she deviated from the original English text in some scenes and sprinkled in a few German-Berlin catchphrases. And very skillfully.
Finally, a big compliment to our new General Music Director (since 2023) of the Komische Oper Berlin, JAMES GAFFIGEN (*1979), who was wonderful at musically implementing the modern score by the composer STEPHEN SONDHEIM (premiered in 1979 in New York).
Conclusion: A real pleasure of 2 ½ hours that I can only recommend to everyone.
Please regard our video of 3 min. with an excerpt of the 1. part:
„Sweeney Todd“ by Stephen Sondheim
Premiere on December 17th, 2024 at the Komische Oper Berlin
In the Schillertheater
Musical direction: James Gaffigen, Director: Barrie Kosky, Stage and costumes: Katrin Lea Tag, Choirs: David Cavelius.
With: Christopher Purves (Sweeney Todd), Dagmar Manzel (Mrs. Lovett), Hubert Zapior (Anthony), Alma Sadé (Johanna), Jens Larsen (Judge Turpin), Segalit Feig (Beggar), Ivan Tursic (Adolfo Pirelli)
Image series with 10 photos of the performance:
Author: Holger Jacobs
Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.