PREMIERE von „Die Macht der Gewohnheit“

PREMIERE von „Die Macht der Gewohnheit“ von Thomas Bernhard am Berliner Ensemble in der Regie von Intendant Claus Peymann am Samstag, den 14. März 2015.

Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂   (vier von fünf möglichen)

Von Holger Jacobs (Text und Fotos)

15.3.2015. Ein Dinosaurier lies es mal wieder krachen – am Ende fliegt das Zirkuszelt in die Luft und ein glänzender Theaterabend geht zu Ende. Großer Applaus für das Ensemble und den Regisseur Claus Peymann, einer der letzten großen Theaterdinosaurier des deutschsprachigen Theaters nach dem 2. Weltkrieg, zusammen mit Peter Stein (*1937), Georg Tabori (†2007) und Peter Zadek (†2009).

Worum geht es?

Als Thomas Bernhard 1974 das Stück „Die Macht der Gewohnheit“ herausbrachte und es gleich im selben Jahr bei den Salzburger Festspielen seine Uraufführung hatte, war der Autor auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Dabei hatte er eine äußerst schwierige Kindheit gehabt, unehelich geboren, zum Großvater abgeschoben und in der Schule gehänselt. Danach Ausbildung zum Verkäufer…Wie daraus einer der bedeutendsten Dramatiker unserer Zeit werden konnte ist eines dieser Wunder auf die wir immer wieder bewundernd aufschauen. Der besagte Großvater war nämlich, wenn auch nicht sehr bekannt, Dichter. Irgendwie muss sich das auf den Enkel übertragen haben. Doch die vielen negativen Erlebnisse haben bei Bernhard tiefe Spuren hinterlassen und dies merkt man in fast jedem seiner Werke. Häufig geht es um den Tod oder auch um ein auswegloses Schicksal.

Genau wie in diesem Stück „Die Macht der Gewohnheit“. Der Zirkusdirektor Caribaldi (Jürgen Holtz) versucht seit 20 Jahren mit vier Mitgliedern seiner Zirkustruppe das Forellenquintett von Schubert einzustudieren, obwohl keiner von Ihnen wirklich ein Instrument beherrscht. Alle hassen es, trotzdem macht jeder, mehr gezwungen als freiwillig, mit. Meist kommt es noch nicht einmal zum Spielen des ersten Satzes, da allein das Zusammentrommeln der Truppe auf Schwierigkeiten stößt. Wenn dann wirklich alle zusammen sind, dann kann der eine nicht spielen, weil er verletzt und betrunken ist (der Dompteur: Joachim Nimtz)), der andere lustlos (der Jongleur: Norbert Stöß), der nächste ständig seinen Hut fallen lässt (der Narr: Peter Luppa) und die letzte (die Enkelin: Karla Sengteller) in der Nase bohrt oder hysterisch kreischt.

Das besondere dabei: Trotz all dieser Widrigkeiten wird dieses Spiel immer aufs neue durchexerziert, einer Gewohnheit gleich. Doch in Wirklichkeit geht es hier nicht um Gewohnheiten, sondern es geht darum etwas zu machen, weil man es machen muss – es gibt keinen anderen Weg, auch wenn man weiß, dass es scheitern wird – scheitern muss!

Diese nihilistische Aussage lässt dieses „Komödie“ genannte Stück tragisch erscheinen. Grandios gespielt von Hauptdarsteller Jürgen Holtz, der mit seinen 83 Jahren einen umfangreichen Text erarbeiten musste. Seine physische wie psychische Präsenz aber trägt das Stück und Claus Peymann kann auf seine Arbeit stolz sein. Wie Peymann mir bei der Probe sagte, hätte eigentlich er selbst als enger Freund von Thomas Bernhard die Uraufführung in Salzburg damals machen sollen, wurde aber durch ein Zerwürfnis mit der Festspielleitung daran gehindert. Deshalb jetzt endlich nach 40 Jahren der erneute, durchaus gelungene Versuch. Man sah Peymann beim Verbeugen an, wie glücklich er war. Es ist schon erstaunlich, dass ein alter Theaterfuchs wie er, selbst nach einem so langem Bühnenleben, immer noch voller Elan steckt und sich freuen kann, wie bei seiner ersten Inszenierung. Peymann darf sich auch noch 2 weitere Jahre am Berliner Ensemble erfreuen bis sein Nachfolger im September 2017 sein Amt antritt. Hoffentlich erleben wir bis dahin noch viele solcher gelungenen Theaterabende.

Im Publikum gesichtet: Rolf Hochhuth (Mitbesitzer des BE), Edith Clever und viele Fans, Freunde und Kollegen aus der Theaterbranche.

Dass Bühnenbild von "Die Macht der Gewohnheit" - Foto Holger Jacobs

30 Bilder. Dass Bühnenbild von „Die Macht der Gewohnheit“ – Foto Holger Jacobs

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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