Review Berlin Art Week– Julia Stoschek, Sigmar Polke, Galerie Thomas Schulte
Von Holger Jacobs
17.09.2024
Drei Orte, nackte Jungs und überraschende Begegnungen
Für einen Rückblick auf die BERLIN ART WEEK möchte ich Euch drei Ausstellungen vorstellen.
Alle drei außergewöhnlich und spannend und sind auch weiterhin zu besuchen.
Galerie Thomas Schulte
Ich fing die BERLIN ART WEEK am Mittwoch Abend in der Galerie Thomas Schulte an, der die gerade verstorbene REBECCA HORN (*1944-†2024) ausstellt.
Doch viel aufregender fand ich die Arbeit eines anderen, den ich noch gar nicht kannte: ALLAN MCCOLLUM *1944).
Der aus Kalifornien stammende und heute in New York City lebende Künstler arbeitet überwiegend mit Bildern oder Zeichen, die sich hundertfach, ja tausendfach multiplizieren lassen. Sein bekanntestes Werk ist wohl das „The Shapes Project“, bei dem er aus 300 verschiedenen Teilen durch immer wieder andere Kombinationen Millionen von unterschiedliche Formen produzieren kann und sie in kleinen Bildern über große Flächen ausstellt.
Für die derzeitige Ausstellung „The World: A Moment in Time“ kehrte er zu seiner früheren Arbeit von 2004 „Each And Every One Of You“ zurück. Damals hatte er bei der US-amerikanischen Behörde Census Bureau nach den beliebtesten Vornamen in den Vereinigten Staaten gefragt. Daraus machte er hunderte kleiner Bilder mit jeweils dem Namenszug eines Vornamen aus den USA und stellte sie eng aneinandergereiht aus.
20 Jahre später fragte er nach den häufigsten Vornamen auf allen fünf Kontinenten und machte daraus wieder eine Bilderserie mit den Schriftzügen dieser Namen.
So sind in der Galerie Thomas Schulte jetzt 1200 kleine schwarz gerahmte Bilder über eine 15 Meter hohe Wand zu sehen. Natürlich fiel mir gleich der Name „KAMALA“ auf, der zurzeit hoch politisch in allen Medien der USA zu finden ist…
Die Ausstellung ist noch bis zum 2. November 2024 zu sehen.
Galerie Thomas Schulte, Charlottenstraße 24, 10117 Berlin-Mitte
Julia Stoschek Foundation
Keine 500 Meter weiter, in der Leipziger Str. 60, befindet sich in einem der DDR-Hochhäuser (und ehemaligem Tschechischen Kulturzentrum) die Stiftung der industriellen Tochter JULIA STOSCHEK (*1975), die nach einem Wirtschaftsstudium mit Abschluss und langjähriger Tätigkeit im elterlichen Familienbetrieb (Brose Fahrzeugteile im bayerischen Coburg) begann, sich für Kunst zu interessieren und eine heute sehr bedeutende Sammlung zeitgenössischer Kunst besitzt.
Der Sitz der Stiftung mit Ausstellungshaus befindet sich in Düsseldorf-Oberkassel. Seit 2016 gibt es auch eine Dependance in Berlin mit über 2500 qm2 Ausstellungsfläche.
Eine ca. 300 Meter lange Menschenschlange hatte sich zur Eröffnung um das ganze Eckgebäude versammelt.
Da ich zum Glück den Türsteher („Smiley“) kannte, durfte ich gleich hineinspazieren.
Typisch Plattenbau sind die Räume recht niedrig und verwinkelt.
Zusammen mit den vielen Besuchern zwängt man sich durch die schmalen Gänge.
Der Schwerpunkt von JULIA STOSCHEKS Sammlung liegt auf Video und Medienkunst. Hauptsache es bewegt sich.
Die jetzige Gruppenausstellung heißt „After Images“.
Besonders spannend fand ich die Vermischung von realer und virtueller Welt durch die beiden Künstler NORBERT PAGE und SIMON SPEISER.
Mittels der neuen META-Brille „Meta Quest 3“ des Meta-Facebook Konzerns darf man sich in einer Mixt-Realty Welt verlieren.
Setzt man das Head-Set auf, wird man zuerst von einem Helfer angewiesen bestimmte Punkte im Raum mit den Fingern zu fixieren, innerhalb dessen sich der Benutzer aufhalten muss. Danach sieht man sowohl den umgebenden Raum, als auch von den beiden Künstlern NORBERT PAGE und SIMON SPEISER hinzugefügte amorphe Gegenstände, die wie Steine aussehen. Bei Berührung zerfallen diese in Tausend Sterne, wobei ich mit meinen Händen durch den Sternenstaub hindurchgleiten konnte. Toll!
Auch schön und ebenfalls mit einer Form der Berührung (jetzt in der Realität) ist die Arbeit von DAVID MEDALLA nur wenige Meter entfernt.
Er konstruierte Schaum-bildende Maschinen, deren Produkte wie Skulpturen aussehen und die, entsprechend der Anweisung der Galerie-Mitarbeiter, unbedingt berührt werden sollen. Gleitet der Besucher mit seinen Fingern in den Schaum, werden jeweils andere Skulpturen gebildet. Jetzt fehlte nur eine schaumgeborene Venus, die der Maschinerie entstiegen wäre…
Am Schluss hatte ich das Vergnügen auf JULIA STOSCHEK selbst zu stoßen, die zusammen mit Springer-CEO Mathias Döpfner einen Rundgang durch die Ausstellung machte. Ich fragte sie, ob ich sie fotografieren dürfte – kein Problem.
Wir suchten einen geeigneten Hintergrund und die Aufnahme war im Kasten (heute würde man sagen „auf dem Chip“).
Die Ausstellung „After Images“läuft noch bis zum 27. April 2025.
Julia Stoschek Foundation. Leipziger Str. 60, 10117 Berlin-Mitte
Schinkel Pavillon
Zuletzt ging es zum Schinkel Pavillon mit Arbeiten des großartigen SIGMAR POLKE (*1941 – †2010), ein Zeitgenosse und Freund GERHARD RICHTERS, die sich beide 1963 in der Düsseldorfer Kunstakademie kennenlernten.
Seine Arbeiten können heute, ähnlich wie die von Richter, bei Auktionen 2-stellige Millionensummen erreichen.
POLKE arbeitete sowohl mit Malerei, wie Fotografie oder Druckgrafik.
Ungewöhnliche Motive wechseln sich ab mit ungewöhnlichen Materialien über alle Genre hinweg.
Zum besseren Verständnis der damaligen Stimmung in der Kunstszene werden in der Ausstellung alte Super 8 Filme aus den Künstlerkreisen der 60er/ 70er Jahren gezeigt.
Darin sieht man z.B. in einem improvisierten Zirkus Joseph Beuys und Katharina Sieverding (leicht bekleidet mit Federboa), wie sie an einer Holzscheibe stehen und von einem Messerwerfer beworfen werden. Dazwischen laufen ein paar splitternackte Jungs durch das Bild.
Die Ausstellung läuft noch bis zum 2. Februar 2025.
Schinkel Pavillon, Oberwallstraße 32, 10117 Berlin-Mitte.
Bilderserie mit 10 Fotos der Ausstellung „Sigmar Polke“:
English text
Review Berlin Art Week – Julia Stoschek, Sigmar Polke, Galerie Thomas Schulte
By Holger Jacobs
Three places, naked boys and surprising encounters
For a review of the BERLIN ART WEEK, I would like to introduce you to three exhibitions.
All three are extraordinary and exciting and are still worth visiting.
Galerie Thomas Schulte
I started the BERLIN ART WEEK on Wednesday evening in the Galerie Thomas Schulte, which is exhibiting the recently deceased REBEKKA HORN (*1944 – †2024).
But I found the work of someone else I didn’t even know much more exciting: ALLAN MCCOLLUM (*1944).
The artist, who comes from California and now lives in New York City, works mainly with images or symbols that can be multiplied hundreds, even thousands of times.
His best known work is probably „The Shapes Project,“ in which he can produce millions of different shapes from 300 different parts through ever-changing combinations and exhibits them in small images over large areas.
For the current exhibition „The World: A Moment in Time“ he returned to his earlier work from 2004, „Each And Every One Of You“.
At that time he had asked the US Census Bureau about the most popular first names in the United States.
From this he made hundreds of small pictures, each with the initials of a first name from the USA, and exhibited them closely together.
20 years later he asked about the most common first names on all five continents and again made a series of pictures with the lettering of these names.
In the Thomas Schulte Gallery, 1200 small black-framed pictures can now be seen over a 15-meter-high wall.
Of course, I immediately noticed the name „KAMALA“, which is currently highly political in all media in the USA…
The exhibition can be seen until November 2, 2024.
Thomas Schulte Gallery, Charlottenstrasse 24, 10117 Berlin-Mitte
Julia Stoschek Foundation
Less than 500 meters further, at Leipziger Str. 60, in one of the GDR high-rises (and former Czech cultural center), is the foundation of the industrialist daughter JULIA STOSCHEK (*1975), who, after graduating from business school and working for many years in her parents‘ family business (Brose vehicle parts in Coburg, Bavaria), began to become interested in art and now owns a very important collection of contemporary art.
The foundation’s headquarters and exhibition hall are in Düsseldorf-Oberkassel.
Since 2016 there has also been a branch in Berlin with over 2500 square meters of exhibition space.
A line of people about 300 meters long had gathered around the entire corner building for the opening.
Luckily, since I knew the doorman („Smiley“), I was allowed to walk in straight away.
Typical of a prefabricated building („Plattenbau“), the rooms are quite low and winding.
You squeeze through the narrow corridors with the many visitors.
The focus of JULIA STOSCHEK’s collection is on video and media art.
The main thing is that something moves.
The current group exhibition is called „After Images“.
I found the mixing of the real and virtual world by the two artists NORBERT PAGE and SIMON SPEISER particularly exciting. Using the new META glasses „Meta Quest 3“ from the Meta-Facebook Group, you can lose yourself in a mixed-reality world.
When you put on the headset, an assistant first instructs you to use your fingers to fix certain points in the room within which the user must stay.
You then see both the surrounding room and amorphous objects that look like stones added by the two artists NORBERT PAGE and SIMON SPEISER.
When touched, these disintegrate into a thousand stars, and I was able to glide my hands through the stardust. Great!
Also beautiful and also involving a form of touch (now in reality) is the work of DAVID MEDALLA just a few meters away.
He constructed foam-forming machines whose products look like sculptures and which, according to the gallery staff’s instructions, are meant to be touched.
If the visitor slides his fingers into the foam, different sculptures are formed.
Now all that was missing was a foam-born Venus that would have emerged from the machinery…
At the end I had the pleasure of bumping into JULIA STOSCHEK herself, who was touring the exhibition with Springer CEO Mathias Döpfner.
I asked her if I could take a photo of her – no problem. We looked for a suitable background and the shot was in the can (today we would say „on the chip“).
The exhibition „After Images“ runs until April 27, 2025.
Julia Stoschek Foundation. Leipziger Str. 60, 10117 Berlin-Mitte
Schinkel Pavillon
Finally, I went to the Schinkel Pavillion with works by the great SIGMAR POLKE (*1941 – †2010), a contemporary and friend of GERHARD RICHTER, who both met in 1963 at the Düsseldorf Art Academy.
His works, like Richter’s, can reach double-digit millions at auctions.
POLKE worked with painting, photography and printmaking.
Unusual motifs alternate with unusual materials across all genres.
To better understand the mood in the art scene at the time, the exhibition shows old Super 8 films from the artistic circles of the 60s/70s.
In them, for example, you can see Joseph Beuys and Katharina Sieverding (lightly dressed with a feather boa) in an improvised circus, standing at a wooden disc and being pelted by a knife thrower.
In between, a few stark naked boys run through the picture… (see picture series).
The exhibition runs until February 2, 2025.
Schinkel Pavillon, Oberwallstraße 32, 10117 Berlin-Mitte
Picture series with 10 photos of the exhibition:
Author: Holger Jacobs
Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.