Die Frankfurter Buchmesse – Ein Rückblick

Buchmesse Frankfurt/ Baise-Moi-Virginie-Despentes © Alexander Heimann/ Edition Pan Europeenne

Die Frankfurter Buchmesse – Ein Rückblick

 

Von Hannah Lühmann

23.10.2017

Der Rückblick auf eine Buchmesse voller spannender Momente mit dem Ehrengast Frankreich

Es ist, glaube ich, meine fünfte Frankfurter Buchmesse, und immer noch versuche ich, das alles zusammenzubekommen, die grauen, fiebrigen Tage in der trockenen Luft der Messehallen, die Navigationsdaten, die technischer nicht sein könnten: Treffen Halle 4.1 Stand H37, das ist unser Stand von der „Literarischen Welt“, dieses Jahr. Am Stand uns gegenüber malt ein Künstler mit einer Schablone Umrisse auf die Wand. Es ist nicht ganz klar, was entsteht. Vielleicht eine Rakete? Die Empfänge nachts und die Partys, Mittwoch Ullstein und Rowohlt, Donnerstag Hanser und Unseld, irgendwann Beck, samstags FAZ. Wann, wo eine Einladung, wann wo crashen, wann wo vor der Tür stehen. Der Herbst, die beginnende Kälte, der Atemdampf in der Luft. Die Taxis, die Kaffees, das Anstoßen an irgendwelchen Ständen, das Reden. Vor allem das Reden. Wir haben uns dieses Jahr als Zeitung entschieden, keine Buchmessenreportage zu schreiben, sondern als Redaktion auszuschwärmen und Sätze zu sammeln, die gesprochen werden. Am Ende schreiben wir alle Sätze auf. Ein Echolot.

Hannah Lühmann, Selfie © Hannah Lühmann

Und eben gleichzeitig und eben deswegen „zusammenbekommen“: Wen interessiert das alles? Wen außer uns interessiert diese weihevoll gehütete, ironisch bestäubte, über Jahrzehnte untertunnelte und ziselierte Feinchoreographie des Literaturbetriebs? Das Innen, diese Klassenfahrt des Betriebs und das Außen, die Literaturvermittlung, klaffen. Was nicht schlimm ist. Es geht ja beides, der Taumel, das Gerausche, das Gerede und das, was man dann am Ende sieht, was man dann punktuell sieht. Und schließt sich vielleicht doch nicht aus. Am Dienstagabend Anreise, alleine im Hotel, Sex and the City. Ich frage mich, was die Leute denken, in den Zeitungen, wenn sie lesen, die Frankfurter Buchmesse hat stattgefunden? Was bedeutet das überhaupt? Was bedeutet es, an einem Mittwoch als unbeschwerter Besucher an einem Stand zu halten, der „International Stage“ heißt, Halle 5.1, 12 Quadratmeter Bühne, so steht es in der Veranstalterbroschüre, und dann sitzt da die französische Starschriftstellerin Virginie Despentes, fast fünfzig Jahre alt, große, schüchterne Augen, gelbe Haare, eine warme Mürbheit ausstrahlend, und setzt sich nüchtern, superprofessionell auf den für sie vorgesehenen Klappstuhl, hinter das für sie vorgesehene Pult, und mit ihr auf die Bühne tritt jemand, der zufällig ich ist. Und dieser jemand, und das weiß der unbeschwerte Besucher, vielleicht ein Franzose, denn Frankreich ist bekanntlich Gastland dieser Buchmesse und der offizielle Social-Media-Hashtag ist #francfortenfrancais, nicht, dieser jemand, der zufällig ich ist, eine dreißigjährige „Welt“-Journalistin und hoffentlich bald Romandebütantin, wacht seit sechs Wochen immer mal wieder nachts auf, mit einem kalten Schreck in den Knochen und denkt: Virginie Despentes.

Frankfurter Messeturm (Architekt Helmut Jahn, 1991) © Alexander Heimann

Weil ich weiß, ich muss diese Moderation auf Französisch machen und ich weiß nicht, ob mein Französisch noch reicht, aber ich mag Herausforderungen oder jedenfalls suche ich sie. Und dann geht alles ganz leicht, denn Virginie ist zwar ein Superstar, aber einer der absolut freundlichen Sorte und die Koordinaten ihres Lebens sind so gut erzählbar, weil ihnen in ihrer schlichten Radikalität so wenig hinzuzufügen ist: mit 18 beim Trampen mit einer Freundin vergewaltigt worden. Mit 24 „Baise-moi“ geschrieben, ein Buch, das erzählt, wie zwei Freundinnen vergewaltigt werden und im Anschluss in einem Rachefeldzug durch Frankreich marodieren, mit Männern schlafen, diese ermorden, verstümmeln. Feministin, eine recht radikale. Als Prostituierte gearbeitet. Viele, viele Bücher. Eine Selbstverfilmung, von „Baise-moi“. Ich erinnere mich, wie ich den Film als Teenager gesehen habe, grausam, sehr roh. Der Prix Renaudot für „Apokalypse Baby“. Manche sagen, sie sei der neue Houellebecq, was natürlich Unsinn ist. Gerade ist in Deutschland der erste Band ihrer Trilogie „Das Leben des Vernon Subutex“ erschienen, in Frankreich 2015. Wir Deutschen holen nach, was die Franzosen jetzt schon kennen, das passt ja irgendwie, mit der Neuen Rechten müssen wir uns auch erst seit Kurzem so sehr herumschlagen. „Das Leben des Vernon Subutex“  erzählt die Geschichte des ehemaligen Plattenladenbesitzers Vernon, der arbeitslos wird und schließlich obdachlos und der seine Freunde aus der alten Zeit besucht, mit denen er früher die Rockmusik gelebt hat. So, von Wohnung zu Wohnung, entsteht ein Querschnittsbild der französischen Gesellschaft, es ist bissig, es ist witzig, es ist grell, sehr schnell und sehr detailliert. Virginie Despentes, die nicht nur mit Houellebecq, sondern vor allem mit Balzac verglichen wird, gibt klare, präzise Antworten, sie spricht davon, dass die Menschen dazu neigen, Männer ein bisschen lieber zu mögen als Frauen. Sie spricht von ihren Freunden, die Sexarbeiter sind. Sie spricht von Geschlechtsumwandlungen. Die Unterhaltung ist ganz einfach, ich bin nicht mehr aufgeregt. Und irgendwann ist diese halbe Stunde an einem Mittwochnachmittag vorbei, sehr schnell. Das war nur ein Punkt, ein Leuchten, eine Innenperspektive. Gleichzeitig so Vieles.

Ein Tipp für die Berliner Bücher Fans: Morgen, den 24. Oktober 2017, um 20.00 Uhr, findet eine Lesung von Theresia Enzensberger statt. Sie liest aus ihrem neuen Roman „Blaupause“. Im Buchladen Ocelot in der Brunnenstrasse 181.
Und am 26. Oktober 2017 um 20.00 Uhr gibt es eine Treffen von Bücherfreaks unter dem Motto „Books & Booze“ im Sir Savigny Hotel , Kantstrasse 144.

6 Fotos: Frankfurter Buchmesse, Emmanuel Macron © Marc Jacquemin/ Frankfurt Buchmesse

Author: Hannah Lühmann

Hannah Lühmann, geboren 1987, hat Philosophie in Berlin und in Paris studiert. Sie arbeitete unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, die FAZ, Berliner Zeitung und die Zeit. Seit Dezember 2014 ist sie Redakteurin im Feuilleton der Welt und des Kulturteils der Welt am Sonntag.

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