Entartete Kunst – Die gerettete Moderne im Kupferstichkabinett

Die gerettete Moderne - Kupferstichkabinett © kultur24.berlin

Entartete Kunst – Die gerettete Moderne im Kupferstichkabinett

 

Von Holger Jacobs

11.04.2024

Eine Ausstellung im Berliner Kupferstichkabinett zeigt Hunderte Werke, die vor den Nazis gerettet werden konnten.

Entartete Kunst

Sobald die Bezeichnung „Entartete Kunst“ auftaucht, werden Kunstliebhaber hellhörig: Sind damit in der Regel doch genau die Werke gemeint, die heute zu den gefragtesten und wertvollsten der neueren Kunstgeschichte gehören.

Zu der Gruppe der verfemten und von den Nationalsozialisten als degeneriert bezeichneten Künstler dazuzugehören gilt heute fast schon als Gütesiegel.

Und es ist wahr: Alles, was wir heute aus der Zeit von Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die 40er Jahre bewundern wurde von HITLER als entartet bezeichnet.

Seien es die „Brücke“ Maler, wie ERNST LUDWIG KIRCHNER, ERICH HECKEL, KARL SCHMIDT-ROTTLUFF oder OTTO MÜLLER, seien es die „Blaue Reiter“ Künstler, wie WASSILY KANDINSKY und FRANZ MARC oder sogar die französischen Meister, wie PABLO PICASSO und HENRI MATISSE – alle mussten der nationalistischen Ideologie der Nazis weichen.

Um die Kunst in Deutschland von fremden, degenerativen und jüdischen Einflüssen zu säubern (so der damalige Tenor) arbeiteten das Propagandaministerium unter JOSEF GOEBBELS und die Reichskunstkammer unter ADOLF ZIEGLER an dem Plan, jede nicht gewünschte Kunst aus den staatlichen Museen zu entfernen.
Schon 1933 wurde mit der Umsetzung dieses Plans begonnen, doch erst 1937 wurden massenweise Bilder beschlagnahmt.
Gleichzeitig wurde eine große Gegenüberstellung beider Kunstansichten organisiert:
Die „Große Deutsche Kunstausstellung“ im Haus der Kunst in München, persönlich von ADOLF HITLER am 18. Juli 1937 eröffnet und alles zeigend, was von ihm als gut befunden (z. B. Arno Breker) und keinen Steinwurf entfernt im Galeriengebäude im Münchner Hofgarten die Ausstellung „Entartete Kunst“ mit allem, was als „krank“ befunden wurde.

Katalog „Entartete Kunst“, Verlag für Kultur- und Wirtschaftswerbung

Die Ausstellung „Entartete Kunst“ mit ca. 120 Künstlern und um die 700 Werken reiste danach bis 1941 durch ganz Deutschland und entwickelte sich zum absoluten Publikumsmagneten: Man schätzt die Zahl der Besucher auf zwei- bis drei Millionen, was bedeutet, dass sie zu einer der erfolgreichsten Ausstellungen aller Zeiten wurde.

Plakat „Die gerettete Moderne“, Kupferstichkabinett Berlin, ph: Holger Jacobs

Kupferstichkabinett Berlin

Das Kupferstichkabinett Berlin, seit 1994 in einem eigenen Gebäude am Kulturforum, beherbergt heute über 600.000 Druckgrafiken und Werke auf Papier.

Wie in fast allen staatlichen Kultureinrichtungen und Museen wehte seit dem Ende der Kaiserzeit und dem Beginn der Weimarer Republik ein neuer Wind.
Von nun an wurden auch Maler der jüngeren Kunstgeschichte gesammelt.

Im Jahre 1924 wurde der Kunsthistoriker WILLY KURTH zum Leiter der Abteilung „Neue Kunst“ am Kupferstichkabinett ernannt. Speziell, um die Sammlung mit Arbeiten des frühen 20. Jahrhunderts zu erweitern.

Willy Kurth, ph: Willy Römer, Staatliche Museen zu Berlin

Doch kaum 10 Jahre später gab es durch die Wahl ADOLF HITLERS zum Reichskanzler eine komplette Kehrtwende.
Von nun an galt alles „Moderne“ als degeneriert und entartet.

Ausstellungsansicht „Die gerettete Moderne“, ph: Holger Jacobs

Am 7. Juli 1937 drangen Mitarbeiter der Beschlagnahmekommission von JOSEF GOEBBELS Propagandaministerium in das Kunstkabinett ein und verlangten Einsicht in die Sammlung. 118 Werke wurden sofort konfisziert, um sie in der Ausstellung „Entartete Kunst“ nur 12 Tage später präsentieren zu können.

Ausstellungsansicht „Die gerettete Moderne“, ph: Holger Jacobs

Doch das sollte noch nicht alles sein.
Am 14. und am 16. August kamen erneut Beamte vorbei, dieses Mal von der Reichskunstkammer geschickt, um noch mehr Arbeiten zu beschlagnahmen. Zum Glück ließen sich die Herren nach der Durchsicht nur die Zahl der zu entfernenden Werke bestätigen, nicht die dazugehörigen Künstlernamen und Werktitel.
So beschloss WILLY KURTH, die auszuhändigenden Werke durch weniger wichtige Arbeiten und durch Blätter, die mehrfach vorhanden waren, zu ersetzen, wodurch bedeutende Grafiken von herausragender Qualität der Nachwelt erhalten geblieben sind.
Ein Großteil dieser geretteten Arbeiten sind nun in dieser Ausstellung zu sehen.

Ausstellungsansicht „Die gerettete Moderne“, ph: Holger Jacobs

„Die gerettete Moderne“

Beim Betreten der Ausstellung fallen sofort die mit einem kräftigen Orange bemalten Stellwände auf.
Wie ich finde eine tolle Idee!
Es gibt den Räumen eine große Lebendigkeit und lässt die in Schwarz-Weiß gehaltenen Grafiken stärker wirken.
Selbst die wenigen farbigen Aquarelle behalten ihre Ausstrahlungskraft.

Die Präsentation ist in verschiedene Abschnitte unterteilt.
– Da wären einmal die „Expressionisten“ mit Arbeiten von Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Otto Müller.
– Dann „Max Beckmann: Die Hölle“ mit Arbeiten aus dem elfteiligen Mappenwerk „Die Hölle“ von MAX BECKMANN aus dem Jahr 1919.
– „Verismus: Otto Dix und George Grosz“ mit Grafiken aus der Mappe „Der Krieg“  von OTTO DIX und „Im Schatten“ von GEORGE GROSZ.
– „Abstraktion: Wassily Kandinsky“ mit Arbeiten des „Blaue Reiter“ Künstlers WASSILY KANDINSKY“
– „Bildhauergraphik: Lehmbruck und Barlach“ mit wie ich finde wunderbaren Arbeiten, besonders denen von WILHELM LEHMBRUCK, dessen Radierung „Niedergedrückte“ von 1912 für mich eines der Highlights der Ausstellung ist (Siehe Bilderserie).
Allerdings muss ich zugeben, dass ich ganz generell ein großer Fan von LEHMBRUCK bin…
– „Sonderfälle: Kollwitz, Munch und Corinth“ u.a. mit dem Holzschnitt „Gedenktag für Karl Liebknecht“ von KÄTHE KOLLWITZ und der Lithografie „Vampir II“ von EDVARD MUNCH.
– „Französische Kunst am Kupferstichkabinett“ mit Arbeiten von Picasso und  Matisse.

Fazit: Eine Ausstellung, welche einem bei jedem zweiten Bild das Herz höher schlagen lässt.

„Die gerettete Moderne – Meisterwerke von Kirchner bis Picasso“
2. Februar – 21. April 2024
Kupferstichkabinett am Kulturforum
Staatliche Museen zu Berlin
Matthäikirchplatz 6, Nähe Potsdamer Platz
10785 Berlin
Di – Fr  10 – 18 Uhr, Sa+So 11 – 18 Uhr

Bilderserie mit 20 Fotos der schönsten Werke der Ausstellung:

Käthe Kollwitz, „Pieta“, 1903, „Die gerettete Moderne“, Kupferstichkabinett, ph: Holger Jacobs

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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