Am Königsweg – Elfriede Jelinek

Am Königsweg - Schauspielhaus Hamburg, Foto: Arno Declair

Am Königsweg – Elfriede Jelinek

 

Von Julia Engelbrecht-Schnür

14.11.2017

 english text below

Die Uraufführung von Elfriede Jelineks neuem Theaterstück „Am Königsweg“ im Hamburger Schauspielhaus

In ihren Stücken geht es stets ums große Ganze.  Mit Kleinigkeiten, den Nuancen des Lebens hält sich Elfriede Jelinek ungern auf. In ihrem jüngsten Stück „Am Königsweg“, einer Auftragsarbeit, die Schauspielhaus-Intendantin Karin Beier gleich nach dem Wahlsieg Donald Trumps bei der österreichischen Theaterdame in Bestellung gab, geht es um die Geschicke der Menschheit insgesamt  – und vor allem um deren unvermeidbaren Niedergang. Es gibt kein Entrinnen und keine Hoffnung in einer Gesellschaft ohne Moral. Schuld ist nicht allein der „König“ mit seiner Gier, seinem brutalen Machtstreben und seinem Hass. Schuld sind vor allem wir, die Dummen, die Weißen, die in ihrer intellektuellen Bequemlichkeit und westlichen Überheblichkeit den Boden bereitet haben für das Böse – und nun staunend und hilflos vor dem Desaster stehen.

Aber nicht nur Jelinek scheint sich mit diesem Stück eine bittere Abrechnung mit der Gesellschaft von der Seele geschrieben zu haben. Regisseur Falk Richter setzt der textlichen Empörungs-Chose noch die Wut-Krone auf. Schließlich hat der Hamburger Theatermann nach der Inszenierung von „Fear“ an der Berliner Schaubühne vor zwei Jahren den fiesen Schmäh der rechtspopulistischen Szene ertragen müssen samt Drohmails, Anzeigen und Gerichtsverfahren. Das sitzt tief im Gemüt des Theatermachers. Jetzt erst recht, lautet seine Devise, und das spürt der Zuschauer.

Wie in einer theatralischen Erziehungsanstalt mit frontaler Strafpädagogik schreien Anne Müller, Julia Wieninger, Matti Krause und Tilman Strauß  auf das Publikum ein, brüllen den verzweifelten Vorwurf in die Stuhlreihen und drohen mit ihren düsteren Prognosen über den Niedergang der Menschheit, bis sie selbst – die Zuschauer sind es bald ohnehin, völlig ermattet und resigniert in sich zusammenklappen. Dabei bleibt unklar, wofür das schwarzgekleidete Quartett steht. Sind sie das gesellschaftliche Gewissen in Form eines schwadronierenden Moderatoren-Teams, das sich an den menschlichen Abgründen verbal aufgeilt?

Die Brillanz und Dichte der Jelinek-Texte leuchtet dort besonders klar, wo der Krawall aus Geschrei, Sound und apokalyptischer TV-Bilderflut innehält. Fast möchte man die Augen schließen, um allein dem irrwitzigen Wortsinn der Nobelpreisträgerin zu folgen. Doch das Gebrüll ist zu stark. Das Recht des Stärkeren ist kaum zu ertragen.

Diese Ermüdung des Zuschauers scheint Falk Richter zu beabsichtigen, denn er baut  Erholungs-Inseln aus Comedy ein, die das düstere, dreistündige Werk nicht nur auflockern, sondern vor allem gekonnt kontrastieren. Es ist genau dieser inszenierte Kontrast-Trick, den sich auch ein Donald Trump geschickt zunutze macht, und dem auch wir Zuschaue erliegen und somit selbst zu Verführten werden. Dankbar verfolgen wir in der nächsten Szene, was die Kabarettistin und der selbst ernannte Immigrationsschreck  Idil Baydar im goldenen Glitzer-Freizeitanzug mit Immigranten-Slang charmant mitleidvoll uns suggeriert: „Ihr armen Deutschen. Ihr helft überall. Aber wer macht Entwicklungshilfe für Euch?“ Endlich Lachen, endlich Humor, leichte Zusammenhänge. Die Falle ist zugeschnappt. Wir werden zum Opfer der einlullenden Unterhaltungs-Masche. Wir wollen uns amüsieren, der Auseinandersetzung mit Jelineks Text-Realität aus dem Weg gehen. Doch schon in der nächsten Szene schmeißt Falk Richter die Tortur der Realität wieder an. Die Arbeiterbewegung hat versagt, Umweltkatastrophen türmen sich, Sigrid und Roy haben ihrem Tiger bereits die Augen ausgestochen, aus einem Kinderzimmer fliegen die Bücher und das schwarze Moral-Quartett schreit vor sich hin, bis – endlich, ja endlich wieder die ersehnte Abwechslung kommt, bis der Schmelz einer rechts gesinnten Camping-Truppe mit knuffigen Stofftieren und lustigen Tattoos die erhoffte Leichtigkeit des Zuschauer-Seins wieder herstellt. Ihre rechten Parolen verzeiht man ihnen, Hauptsache die Unterhaltung stimmt.

Dieses Wechselbad der Zuschauergefühle ist der eigentliche Regie-Kern von „Am Königsweg“. Es ist des Pudels Kern, der diese Menschheits-Tragödie im Innersten zusammenhält.

Auch wenn der Name des aktuellen amerikanischen Präsidenten nicht fällt, die Figur eines dumm-dreisten und infantilen Königs in rosa Kleid ist omnipräsent und grotesk überspitzt gespielt von Benny Claessens.

Als goldene Klammer des zuweilen disparaten Bühnengeschehens, das jedoch lange nachwirkt, fungiert die große Ilse Ritter. Souverän wissend steht sie da, blickt, denkt und spricht als Alter Ego der Autorin und bekennt am Schluss: „Mein Wort ist verrückt geworden, wahrscheinlich weil es glaubte, mich verloren zu haben, aber ich verliere keine Worte, bitte seien Sie mir nicht böse und hören Sie lieber nicht auf mich!“

Am Königsweg, Elfriede Jelinek
Deutsches Schauspielhaus Hamburg
Kirchenallee 39
20099 Hamburg
Nächste Vorstellungen am 26. Nov. 17 Uhr, 2. und 15. Dez. um 19.30 Uhr.
Es spielen: Idil Baydar, Benny Claessens, Matti Krause, Anne Müller, Ilse Ritter, Tilman Strauß, Julia Wieninger, Frank Willens
Regie: Falk Richter, Bühne: Katrin Hoffmann, Kostüme: Andy Besuch, Komposition und Musik: Matthias Grübel

10 Photos: „Am Königsweg“ von Elfriede Jelinek, Uraufführung am Hamburger Schauspielhaus, Foto: Arno Declair

 

 english text

„Am Königsweg“ by Elfriede Jelinek at the Schauspielhaus Hamburg.
Their pieces are always about the big picture. With little things, the nuances of life, Elfriede Jelinek is reluctant. In her most recent play „Am Königsweg“, commissioned by Schauspielhaus director Karin Beier, following the election victory of Donald Trump to the Austrian theater lady, it deals with the fortunes of humanity as a whole – and above all with their inevitable decline. There is no escape and no hope in a society without morality. Guilt is not only the „king“ with his greed, his brutal lust for power and his hatred. Above all we blame ourselves, the stupid ones, the whites who, in their intellectual comfort and Western arrogance, have laid the ground for evil – and are now standing in astonishment and helpless before the disaster.
But not only Jelinek seems to have written a bitter reckoning with the society of the soul with this piece. Director Falk Richter sets the textual indignation-Chose still the rage-crown. Finally, the Hamburg theater man after the staging of „Fear“ at the Berlin Schaubühne two years ago, the nasty abuse of the right-wing populist scene must endure, including threats, ads and lawsuits. This is deep in the mind of the theater maker. And now, that’s the motto, and that’s what the audience feels.
As in a theatrical educational institution with frontal penal pedagogy screaming Anne Müller, Julia Wieninger, Matti Krause and Tilman Strauss on the audience, roar the desperate reproach in the rows of chairs and threaten with their grim predictions about the decline of humanity until they themselves – the audience It will soon be anyway, completely exhausted and resigned to collapse. It remains unclear what the black-clad quartet stands for. Are they the social conscience in the form of a squeaky moderator team verbally abusing the human abysses?

The brilliance and density of the Jelinek lyrics illuminates there particularly clearly, where the ruckus of shouting, sound and apocalyptic TV picture flood stops. One almost wants to close one’s eyes, to follow only the mad words of the Nobel laureate. But the roar is too strong. The law of the strongest is hard to bear.
This fatigue of the viewer seems to intend Falk Richter, because he is building recreational islands of comedy, which not only loosen up the gloomy, three-hour work, but above all skilfully contrast. It is precisely this staged contrast trick that a Donald Trump skillfully takes advantage of, and that we, too, succumb to watching and thus become seduced ourselves. In the next scene we gratefully follow what the cabaret artist and self-proclaimed immigration frigate Idil Baydar charmingly charmingly suggests to us in the golden glitter leisure suit with immigrant slang: „You poor Germans. You help everywhere. But who makes development aid for you? „Finally laughter, finally humor, easy connections. The trap is snapped. We become the victim of the lulling entertainment scam. We want to have fun, avoid the confrontation with Jelinek’s textual reality. But already in the next scene Falk Richter throws back the ordeal of reality. The labor movement has failed, environmental catastrophes pile up, Sigrid and Roy have already outclassed their tiger’s eyes, the books fly from a nursery and the black moral quartet screams to itself, until finally the longed-for change finally comes the melting of a right-minded camping troupe with cute stuffed animals and funny tattoos restores the hoped-for ease of being a spectator. Their right-hand slogans are forgiven them, as long as the conversation is right.
This changing pool of the audience’s feelings is the actual director’s core of „Am Königsweg“. It is the core of Poodle that holds this human tragedy at its very core.
Even if the name of the current American president does not fall, the figure of a stupid-bold and infantile king in a pink dress is omnipresent and grotesquely exaggerated played by Benny Claessens.
The great Ilse Ritter acts as the golden clasp of the sometimes disparate stage action, which, however, lingers on for a long time. Knowing she stands there, looks, thinks and speaks as the alter ego of the author and confesses at the end: „My word has gone crazy, probably because it believed me to have lost, but I lose no words, please do not be angry with me and do not listen to me! “
„Am Königsweg“, Elfriede Jelinek, Deutsches Schauspielhaus Hamburg, 26 Nov. 5 pm, 2 nd and 15 th Dec. at 7.30 pm.

 

Author: Julia Engelbrecht-Schnür

Journalistin

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