Der Israel-Hamas Krieg im Blickpunkt der Kulturszene
Von Jo Groebel
09.10.2024
In wieweit hat der Krieg im Nahen Osten Einfluss genommen auf Kunst und Kultur?
(Der Medienpsychologe Jo Groebel schreibt hier als Gastautor einen Beitrag zu Veränderungen innerhalb der Kulturszene durch die Ereignisse des 7. Oktober 2023 in Israel, Anm. d.Red.)
‘From the river to the sea‘
Die Kulturszene war zu Recht immer stolz darauf, Vorreiter gesellschaftlicher Progressivität zu sein.
Egal, ob bei der Rolle der Frau oder bei den Rechten früher Unterdrückter.
Oder bei dem Kampf gegen Rassismus und der Ablehnung imperialer Gewalt.
Die Vokabeln sind immer noch da.
Allein, sie haben sich von der Beschreibung aller realen Zustände entfernt.
Jetzt wird mit dem billigen Trick der selektiven Zuschreibung passender Etiketten gearbeitet.
Israelis gleich Unterdrücker.
Hamas und Co. gleich sich wehren Müssende.
Endgültig intellektuell und moralisch beleidigend wird das stumpfsinnige Herunterbeten von Auslöschungsphantasien, wie sie im Motto ‚From the river to the sea‘ von Israel-feindlichen Gruppen deutlich werden.
Und die von einer früher mal vorbildlichen Umwelt-Ikone wie GRETA THUNBERG dumpf nachgeplappert werden.
Man kann all das als eine Art der Meinungsfreiheit ertragen, solange es nicht strafrechtlich als antidemokratisch-rassistische Propaganda oder als Aufruf zur Gewalt relevant wird.
Haltung als solche allerdings, egal, ob friedlich oder destruktiv-aggressiv, gehört nicht bereits zum in jedem Fall förderungswürdigen Kunstkanon.
Es ist erst die Äußerungsform der genannten Haltung, die öffentliches Interesse schafft.
Auch wenn dabei der Begriff der Propaganda unscharf, gar umstritten ist: Menschenverachtung, egal von welcher Seite.
Diskriminierung ganzer Gruppen, Aufruf zum Hass sind recht eindeutig als solche zu fassen.
Selbst, wenn ihre Formsprache brillant sein mag, wie zum Beispiel die kinematographischen Werke einer LENI RIEFENSTAHL, es bleibt Propaganda.
Wäre das heute bei zeitgemäßen Äquivalenten förderungswürdig?
Meinungsfreiheit
Die Meinungsfreiheit gehört zu einem der höchsten Güter unseres demokratischen Zusammenlebens.
Aus diesem Prinzip heraus mag zunächst noch nachvollziehbar sein, dass sich viele, die sich mit entsprechender Selbstzuschreibung als Künstler, als Intellektuelle definieren, gegen massive Bombardements in Gaza oder Libanon stellen.
Nur sehen wir dabei eine atemberaubende Geschichtsvergessenheit.
Nicht etwa die bezüglich großer deutscher Schuld und besonderer historischer Verantwortung.
Die es auch geben muss.
Aber: Jenseits dessen ist es schlicht unanständig oder dumm, die massiven Proteste gegen Netanjahus Regierung in seinem eigenen Lande zu ignorieren und stattdessen pauschal gegen Israel oder gar die Juden zu agieren, auch von Seiten einer Kulturelite.
7. Oktober 2023
Schamlos, dass ausgerechnet am selben Tage der bestialischen Angriffe auf friedlich Feiernde (auf dem Nova-Festival) durch die Hamas bereits nicht etwa gegen diese, sondern gegen die Gemeinschaft, der die Opfer angehörten, demonstriert wurde.
Und erneut, wie vor wenigen Tagen geschehen, zum ersten Jahrestag des Überfalls.
Geschenkt, dass die Gewalttaten teils sofort relativiert und mit dem Handeln Israels gerechtfertigt wurden.
Nicht geschenkt, dass die geplant durchgeführte Hamas-Bestialität noch nicht einmal mehr erwähnt wurde.
Und auch nicht die unübersehbare Tatsache der Geiselnahme der Hamas gegenüber der eigenen Bevölkerung in Gaza.
Extremes Abweichen von der eigenen Meinung durch andere führt zum rechthaberischen Bemühen um deren Unterdrückung.
Um schlimmstenfalls zu kunstvollen, nicht künstlerischen Pirouetten des eigenen Rechthabens zu werden.
So erklärt sich auch das verzweifelte Beschwören trostlosen propagandistischen Kunsthandwerks als angebliche Genietaten künstlerischer Meinungsfreiheit wie bei der vergangenen Documenta XV – man stelle sich vor, das Werk wäre aus deutscher Hand entstanden…
(Bei der Dokumenta 15 in Kassel war es zu einem Skandal gekommen, als ein monumentales Bild der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi eindeutig antisemitische Symbole zeigte, Anm. d. Red.)
Die gegenseitige wohlige Haltungsabschottung erklärt auch das gräuelverschweigende Zujubeln vermutlich gut gemachter, aber leider einseitiger Dokumentation wie bei der Berlinale 2024.
(Auf der Schlussveranstaltung der 74. Internationalen Filmfestspiele von Berlin wurde ein Dokumentarfilm über die Besetzung des Westjordanlandes mit dem Preis für die beste Dokumentation geehrt. Anschließend riefen mehrere Preisträger „Free Palestine“ und hoben die Arme mit geballter Faust, kultur24 berichtete, Anm. d .Red.).
Vielleicht sogar, dass man soeben eine Schweigeminute zwecks Empathie mit israelischen Opfern seitens eines öffentlichen Schulinstituts zu vermeiden empfahl.
Vermutlich vor lauter Angst, die Empathie könnte als Sympathie verstanden werden.
Doch genau das wäre richtig gewesen.
Mit allen Opfern, nicht nur mit den „Richtigen“.
Hinweisschild zur Ausstellung auf dem Bebelplatz in Berlin im Mai 2024:
Author: Jo Groebel
Prof.Dr.Jo Groebel, Emeritus der Universität Utrecht, Lehrstuhl Medienpsychologie, Gastprofessor UCLA und Universität Amsterdam. Forschungskoops Harvard, Cambridge, Columbia