FIND – Festival Internationale Neue Dramatik 2018

FIND - „Qué haré yo con esta espada?" Angelica Liddell, Photo: Luca del Pia

FIND – Festival Internationale Neue Dramatik 2018

 

Von Holger Jacobs

7.4.2018

english text below

Hintergrund

Zum wiederholten Mal lädt uns die Schaubühne Berlin zu ihrem Theaterfestival „FIND“ ein. Ähnlich wie das Deutsche Theater mit ihren „Autorentagen“ jedes Jahr im Juni, möchte Intendant Thomas Ostermeier neue Formen des Theaters und neue Themen von internationalen Ensembles zeigen. Dieses Jahr steht unter dem Motto „Kunst des Vergessens“. Was beim Premierenpublikum am ersten Tag auffällt: Es ist deutlich jünger als das übliche Theaterpublikum. Viele stehen vor der Vorstellung draußen in den ersten warmen Sonnenstrahlen des Jahres. Es herrscht die Atmosphäre eines Happenings. Fast wie bei einem Popkonzert.

„FIND“ – Vor der Schaubühne Berlin © Holger Jacobs

1. Tag, 1. Stück: „Qué haré yo con esta espada?“ (Was soll ich mit diesem Schwert machen?) von Angelica Liddell.

Wenn der Zuschauer fast vier Stunden lang 8 wunderschöne junge Frauen nackt auf der Bühne tanzen sieht, könnte er meinen, er wäre in einem Film von David Hamilton („Bilitis“, 1977) gelandet. Doch weit gefehlt. Es handelt sich um die visuelle, sprachliche und tänzerische Aufarbeitung eines der brutalsten Verbrechen der französischen Kriminalgeschichte: Der Mord des japanischen Gaststudenten Issei Sagawa an seiner niederländischen Kommilitonin Renée Hartvelt in Paris im Jahre 1981. Nach der Tötung zerteilte Sagawa die Leiche, kochte und verspeiste sie. Sie fragen: Ist dies nur wieder eine simple „Sex and crime“ Geschichte? Weit mehr: Regisseurin Angelica Liddell zeigt uns in ihrer 4-stündigen Performance, wie Brutalität und Schönheit zusammenfinden können.

Applaus: „Qué haré yo con esta espada?“ von Angelica Liddell (1. von links) © Holger Jacobs

Handlung

Das Licht geht an und eine Art Küchentisch aus Chrom wird sichtbar. Angelica Liddell tritt auf, legt sich auf das Buffet, dreht ihre Beine den Zuschauern entgegen, spreizt die Beine und zeigt uns ihre nackte Vagina. Vorher und nachher hält sie in einem stakkato-artigen Spanisch Schimpftiraden auf alles und jeden, besonders auf die Normalität.

Im zweiten Bild treten die oben genannten 8 jungen Frauen, drei Japaner und eine Japanerin auf. Die jungen Frauen beginnen sich auszuziehen, laufen herum, bilden Gruppen, kämpfen miteinander, machen die verschiedensten Übungen, während die Japaner*nnen sich gewissen Ritualen widmen. Auf einmal werden Tintenfische hereingereicht, die von den Mädchen genommen und für allerlei Spiele mit ihrem Körper benutzt werden. Manche reißen Teile aus dem Tier heraus, saugen an ihnen oder machen andere Dinge. Ich will hier nicht weiter ins Detail gehen…

Im zweiten und dritten Teil des Abends werden die Rituale fortgesetzt, immer unterbrochen von langen Monologen der Regisseurin, die uns in ihrem schnellgesprochenen Spanisch wort- und gestengewaltig ihre Ansichten der Dinge klarmachen will. Und immer kreisen die Themen um Schönheit, Gott und die Liebe.

Kritik

Doch was hat das mit dem Mordfall in Paris zu tun? Nun, Angelica Liddel versucht uns den Zusammenhang von Sexualität und Grausamkeit zu erklären. In ihren schnell gesprochenen Texten nimmt sie einmal die Rolle des Täters ein, mit welcher Leidenschaft er die Leiche zerstückelt und mit welchem Genuss er die Teile verspeist. Dann wieder schlüpft sie in die Rolle einer Verehrerin, die sich nichts sehentlicher wünscht als Opfer dieses Kannibalen zu werden. Wer das nicht versteht sollte sich an die Schriften des Marquis de Sade erinnern und an den daraus entstandenen Film „Die 120 Tage des Sodom“ von Pierre Paolo Passolini, vor 3 Jahren in der Volksbühne als Theaterstück von Johann Kresnik für die Bühne adaptiert. Ich bin kein Psychologe, doch Sexualität wird oft mit Gewalt in Zusammenhang gebracht. Dabei gibt es viele, die behaupten, dass die Sexualität ein Akt der Gewalt ist. Macht über einen anderen haben, das Eindringen in den Körper eines anderen, et.c.. Von Angelica Liddell hören wir an diesem Abend Zitate wie: „Das Böse beginnt mit dem brutalen Verlangen nach Liebe“ oder „Die Sehnsucht nach Liebe nährt sich durch Grausamkeit“ und „Das Schwert gibt Leben“, was zurückführt auf den Titel der Performance. Alle Aspekte habe ich sicher nicht verstanden, aber die Bilder, die Bewegungen, die Musik und Texte, die Angelica Liddell hier kreiert, sind sehenswert und beeindruckend. Ein Abend, der im Gedächtnis bleibt.

Das Festival FIND findet vom 6. – 22. April 2018 statt mit insgesamt 10 Stücken. Mein persönlicher Favorit ist Regisseur Simon Stone, der am 20., 21. und 22. April mit seiner Produktion „Ibsen Huis“ kommt. Simon Stone war 2016 zum Theatertreffen nach Berlin mit „John Gabriel Borkman“ eingeladen. Das Highlight des damaligen Festivals.

FIND – Festival Internationale Neue Dramatik
6. – 22. April 2018
Schaubühne Berlin

„Qué haré yo con esta espada?“ (Was soll ich mit diesem Schwert machen?) von Angelica Liddell.
Mit: Victoria Aime, Louise Arcangioli, Paola und Sarah Capello Schoenmakers, Marie Delgado Trujillo, Greta Garcia, Estibaliz Racionero Balsera, Lucia Yenes;
Masanori Kikuzawa, Ichiro Sugae, Kazan Tachimoto, Taira Irie; Gumersindo Puche, Alain Bressand und Angelica Liddell
In Zusammenarbeit mit dem Festival von Avignon, wo das Stück am 8. Juli 2016 zum ersten Mal gezeigt wurde.

3 Photos: FIND – „Qué haré yo con esta espada?“ (Was soll ich mit diesem Schwert machen?) von Angelica Liddell Photo: Luca del Pia

english text

FIND – Festival Internationale Neue Dramatik 2018
By Holger Jacobs
07/04/2018
Background
Once again, the Schaubühne Berlin invites us to its theater festival „FIND“. Similar to the Deutsches Theater with its „author days“ every year in June, director Thomas Ostermeier wants to show new forms of theater and new themes of international ensembles. This year’s motto is „Art of Forgetting“. What strikes the first-day audience is that it is much younger than the usual theater crowd. Many are standing before the show outside in the first warm sunshine of the year. There is the atmosphere of a happening. Almost like a pop concert.

April 6, 2018 – 1st day, 1st piece: „Qué haré yo con esta espada?“ (What shall I do with this sword?) By Angelica Liddell.
If the viewer sees 8 beautiful young women dancing naked on stage for nearly four hours, he might think he had ended up in a film by David Hamilton („Bilitis“, 1977). But far from it. It deals with the visual, linguistic and dance-like treatment of one of the most brutal crimes of French criminal history: the murder of Japanese guest student Issei Sagawa on his Dutch fellow student Renée Hartvelt in Paris in 1981. After the killing, Sagawa cut, cooked and ate the body. You may ask: is this just another simple sex and crime story? Far more: director Angelica Liddell shows us in her 4-hour performance, how brutality and beauty come together.

Story
The light comes on and a chrome kitchen table becomes visible. Angelica Liddell appears, lies down on the buffet, turns her legs towards the audience, spreads her legs and shows us her bare vagina. Before and after, in a staccato-like Spanish, she complains about everything, especially about normality.
In the second picture, the 8 young women, three Japanese and one Japanese come on stage. The young women begin to undress, walk around, form groups, fight each other, do a variety of exercises, while the Japanese devote themselves to certain rituals. All of a sudden, several octopus are taken in, taken by the girls and used for all sorts of games with their bodies. Some tear parts out of the animal, suck on them or do other things. I don’t want to go into detail here …
In the second and third part of the evening, the rituals are continued, always interrupted by long monologues of the director, who wants to clarify her point of view in her quickly spoken Spanish word and gesture. And always the topics revolve around beauty, God and love.

Critics
But what does that have to do with the murder in Paris? Well, Angelica Liddel tries to explain the connection between sexuality and cruelty. In her fast-spoken texts, she once takes on the role of the murder, in which passion he dismembers the corpse and in which enjoyment he eats the pieces. Then she takes on the role of a devotee who desires nothing more than to be the victim of this cannibal-murderer. Spectators, who don’t understand this controversy, should remember the writings of the Marquis de Sade and the adaption in film by Pierre Paolo Passolini,  „The 120 Days of Sodom“, 3 years ago in the Volksbühne as an adaption for the stage by Johann Kresnik. I am not a psychologist, but sexuality is often associated with violence. There are many who claim that sexuality is an act of violence. To have power over another, to penetrate another’s body, et.c .. From Angelica Liddell, we hear quotes like, „The evil begins with the brutal desire for love“ or „The yearning for love feeds on cruelty“, and „The sword gives life“, which goes back to the title of the performance. I certainly did not understand all the aspects, but the images, movements, music and lyrics that Angelica Liddell creates are worth seeing and impressive. An evening that will stay in your memory.
The festival FIND will take place from the 6th to the 22nd of April 2018 with a total of 10 pieces. My personal favorite is the director Simon Stone, who will come on April 20, 21 and 22 with his production „Ibsen Huis“. Simon Stone was invited to the Theatertreffen in Berlin in 2016 with „John Gabriel Borkman“. The highlight of the festival.

„Qué haré yo con esta espada?“ (What shall I do with this sword?) by Angelica Liddell.
With: Victoria Aime, Louise Arcangioli, Paola und Sarah Capello Schoenmakers, Marie Delgado Trujillo, Greta Garcia, Estibaliz Racionero Balsera, Lucia Yenes;
Masanori Kikuzawa, Ichiro Sugae, Kazan Tachimoto, Taira Irie; Gumersindo Puche, Lola Cordon, Alain Bressand und Angelica Liddell
In cooperation with the Festival Avignon, where the play has been shown the 8th of Juli, 2016, for the first time.

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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