Juliette und der Surrealismus in der Staatsoper Berlin
Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂 (vier von fünf)
Von Holger Jacobs
31.5.2016
Liebe Kulturfreunde,
Intro:
Wer am vergangenen Samstag zur Premiere der Oper „Juliette“ von Bohuslav (sprich Boruslav)Martinu kam und sich nicht darauf vorbereitet hatte, der konnte nur hilflos dasitzen und verständnislos dem Treiben auf der Bühne zuschauen. Wer sich aber vorher informiert und das Programmheft gelesen hatte, der konnte einen außergewöhnlichen Opernabend genießen.
Worum geht es?
Schon einmal etwas vom Surrealismus gehört? Klar, sagt Ihr. Da war doch Dali mit seinen zerfließenden Uhren, Magritte mit seinen Männern mit Bowler-Hat, Man Ray mit solarisierten Fotos, André Breton, Apollinaire und, und, und. Die Liste mag gar nicht mehr aufhören. Im Paris der 20-er-Jahre, so scheint es, gab es wohl kaum einen Künstlern, der NICHT dabei war.
Unter ihnen befand sich auch ein junger Komponist aus Tschechien mit dem Namen Bohuslav Martinu, der aus politischen Gründen nach Paris gegangen war. Dort lernte er die Surrealisten kennen und las das Stück „Juliette ou la clé des songes“ von Georges Neveux . Martinu war so begeistert, dass er den Text sofort vertonen wollte. Er nahm Kontakt zu Neveux auf. Dieser hatte zwar bereits dem deutschen Komponisten Kurt Weill den Text versprochen, doch nachdem ihm Martinu seinen ersten Satz vorgespielt hatte, bekam dieser den Zuschlag. Uraufführung war 1938 in Prag.
Die Zeit zwischen den Kriegen in Paris war die Zeit des Surrealismus. Es begann 1917 mit dem Theaterstück „Les Mamelles des Tiresias“ von Guillaume Apollinaire im Jahre 11917, welches Apollinaire als „Surrealistisches Drama“ untertitelte. André Breton übernahm dann 1924 den Begriff für seine eigene Bewegung. Die Schrecken des 1. Weltkrieges noch in Erinnerung wollte man der eigentlichen Wirklichkeit entfliehen und sich in Rausch und Träume flüchten. Die Traumdeutungen von Sigmund Freud und seine Entdeckung des Unbewussten waren erst zwei Jahrzehnte vorher veröffentlicht worden. Besonders die Malerei war vom Surrealismus ergriffen. Sie führte zur Aufgabe der Wirklichkeit im Bild und damit in letzter Konsequenz zur Abstraktion.
Handlung:
Die Oper „Juliette“ gliedert sich in drei Akte und erst im letzten wird klar worum es geht: Um einen Traum, den unser Hauptakteur Michel (Rolando Villazon) erlebt. Die beiden ersten Akte sind Teile des Traums. Und der Antrieb zum Traum ist die Liebe zu einer Frau, Juliette (Magdalena Kozena). Im ersten Akt erlebt Michel einen Zustand, bei dem er versucht die Frau wiederzufinden, die er vor drei Jahren auf einer Reise kurz gesehen hatte. Er fährt also an den selben Ort zurück. Doch alle, die er dort vorfindet, haben keine Erinnerungen – alles scheint aus den Fugen geraten. Auch Juliette, die er tatsächlich findet, kann ihn zunächst nicht wiedererkennen.
Im zweiten Akt kommen sich Michel und Juliette näher und für einen kurzen Moment scheint es, als könne sie sich an ihn erinnern. Jedoch macht sie sich nur lustig über ihn. Ihr Spott ist ihm unerträglich und in einem Überschwang der Emotion erschießt er sie. Kurz darauf erschießt er sich selbst und der Vorhang fällt.
Was in jeder anderen Oper das Ende bedeutet hätte, ist hier nur ein weiterer Moment, der zum dritten Akt führt. Wir befinden uns in einem undefinierten Raum, in dem Menschen wie Zombies umherwandeln, unter ihnen Michel. Ein Mann steht im Vordergrund und erklärt, er wäre der Traumwärter und erfülle die Wünsche aller Träumenden. Doch ist der Traum zu Ende kommt ein Nachtwächter und fordert jeden auf, den Ort sofort zu verlassen. Wer es nicht tut, bleibt für ewig im Traum gefangen. Vielleicht der Tod?
Kritik:
Nun habe ich schon so viele Zeilen über diese unglaubliche und fantastische Geschichte geschrieben, dass kaum noch Zeit für eine Kritik bleibt. Aber hier kann ich nur das Beste verkünden. Besonders Rolando Villazon als Michel überstrahlt alle. Sein Spiel ist grandios, champlinhaft, ja geradezu clownesque. So hat ihn wohl noch niemand gesehen. Er spielt den verwirrten Michel dermaßen überzeugend, dass diese Leistung Oscar-reif wäre, wären wir beim Film. Bravo! Auch gesanglich top, genauso wie seine Partnerin Magdalena Kozena. Bühne (Alfred Peter) gut, Regie (Claus Guth) gut, Musikalische Leitung (Daniel Barenboim) gut. Am Ende weiß ich nicht was stärker nachwirkt. Die Leistung aller Protagonisten oder diese wahnsinnige Geschichte selbst? Vielleicht eine Mischung von beiden.
Einen kleinen Ausschnitt aus dem 1. Akt könnt Ihr auf meinem Video-Kanal kultur24.berlinTV sehen.
Author: Holger Jacobs
Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
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Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.