Luther und die Avantgarde – Peter Sloterdijk
Internationale Gegenwartskunst trifft auf den streitbaren Vordenker Martin Luther.
Von Holger Jacobs
21.5.2017
Zum 500. Reformationsjubiläum der 95 Thesen Martin Luthers (*1483) finden zurzeit in Deutschland und weltweit viele Ausstellungen und Gedenkfeiern statt. Eine Ausstellungsreihe mit Namen „Luther und die Avantgarde“ wird zeitgleich in Wittenberg (im Alten Gefängnis), in Kassel (in der Kassler Karlskirche) und in Berlin in der St. Matthäus Kirche gezeigt. 70 Künstler, von Ai Wei Wei über Olafur Eliasson, Christian Boltanski, Jonathan Messe bis zu Gilbert & George, nehmen daran teil.
Am Freitag, den 19.5.2017, wurde die Ausstellung in der Sankt Matthäus Kirche in Berlin eröffnet. Hier werden großformatigen Arbeiten des Künstlerduos Gilbert & George gezeigt unter dem Titel:„Scapegoating pictures“.
Peter Sloterdijk, Deutschlands bedeutendster Philosoph, hielt die Eröffnungsrede. Seine Rede bezog sich auf die 95 Thesen Martin Luthers, die dieser 1517 an das Tor der Schlosskirche zu Wittenberg geschlagen hatte. Dabei ging Peter Sloterdijk besonders auf den für ihn wichtigsten Punkt der Reformation ein:
Das Purgatorium (oder auch Fegefeuer genannt).
Das Purgatorium war (und ist teilweise noch) eine Quelle der Angst, aber auch ein gut funktionierendes Machtinstrument, um die Gläubigen „bei der Stange“ zu halten. Die beste und einzige Lösung, sowohl das Fegefeuer als auch die ewige Hölle zu vermeiden, bestand in der Beichte, die eine saftige Strafe, nicht selten in barer Münze, nach sich zog. Der daraus entstehende Ablasshandel finanzierte in großem Umfang die Katholische Kirche.
Peter Sloterdijk: „Der Mensch wird auf einen einzelnen Punkt zusammengepresst, wenn er erlebt, wie der Horror des Sterbens den Horror des Fegefeuers vorwegnimmt.“ – „In die Schrecken der letzten Stunde greifen die Flammen des Jenseits auf das Diesseits über“.
Peter Sloterdijk zitiert die 15. These: „Diese Furcht und dieses Grauen reicht aus, um sich die Purgatoriumsstrafe wach zu rufen“ (Übersetzung aus dem Lateinischen).
Die These Nr. 16 beschreibt die Grundform der Reformation.
Die Unterteilung der Welt in drei Orte: Himmel, Hölle und Purgatorium. Die Reformation Luthers basiert nach Sloterdijk auf einer Umformatierung des dritten Ortes, dem Purgatorium.
– In der Reformation wird der These der Katholischen Kirche von Sünde und Bestrafung (und deren Vermeidung durch die Buße) die Lehre Jesu von Liebe und Versöhnung gegenüber gestellt. (Anm.d.R.)
Weitere Punkte in der Rede von Peter Sloterdijk waren der Hinweis auf glückliche Umstände, die Martin Luther in vielfältiger Weise zur Hilfe kamen. Wichtig für die Wirkung der reformatorischen Bemühungen war die politische Ausgangslage: Die Reichsfürsten wollten sich von dem Diktat des deutschen Kaisers (der eng mit dem Papst verbunden war) lösen.
Peter Sloterdijk: „Die deutschen Reichsfürsten und die Doktoren der Universitäten erkannten in dem Konflikt der Religion ihr revolutionäres Potenzial, welche es zu einem Vektor der Weltgeschichte machte. Sie entdeckten in dem vormodernen staatsbildenden Element der Konfession einen Vorläufer späterer Parteien.“
Peter Sloterdijk’s O-Ton könnt Ihr auf unseren Video auf kultur24.berlinTV:
„Marginale Fragen, ob Gott beim Abendmahl wirklich präsent sei oder ob dabei nur an ihn erinnert würde, wurden zu skandalträchtigen Größen hervorgehoben.“
Außerdem hatte Luther, so Sloterdijk, das Glück, virtuose Nachfolger zu haben, die seine Ideen weiterentwickelten und in die Welt hinaus trugen.
Das Zeitalter der Aufklärung begann.
Peter Sloterdijk nannte folgende Persönlichkeiten: Gottfried Wilhelm Leibniz (*1646), Johann Sebastian Bach (*1685, (dessen Musik die Religion erst in die Herzen der Menschen brachte Anm.d.R.)), Gotthold Ephraim Lessing (*1729), Immanuel Kant (*1724), Georg Wilhelm Friedrich Hegel (*1770), Friedrich Wilhelm Nietzsch (*1844), Ludwig Philipp Albert Schweitzer (*1875) und Martin Luther King jr. (*1929).
Ohne diese genialen Männer hätte die Reformation nicht ihren großen Erfolg haben können.
Peter Sloterdijk endete mit der süffisanten Bemerkung, dass Martin Luther letztlich nichts dafür gekonnt hätte, dass aus einem theologischen Tobsuchtsanfall ein Abendlied geworden ist…
Die St.Mathäus Kirche ist der einzige historisch erhaltene Bau im gesamten Areal und wurde 1846 nach Plänen des Architekten Friedrich August Stüler gebaut.
Die Ausstellung läuft noch bis zum 17.9.2017
Evangelische St. Matthäus-Kirche
Matthäikirchplatz, Kulturforum
10785 Berlin
Di – So 11 – 18 Uhr
Evang. Andacht tägl. außer Mo um 12.30 Uhr
Author: Holger Jacobs
Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
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Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.