Mutter Courage im Hamburger Thalia Theater

Mutter Courage im Thalia Theater Hamburg © Krafft Angerer

Mutter Courage im Hamburger Thalia Theater

 

Von Julia Engelbrecht-Schnür

7.2.2017

Seit meiner Schulzeit hege ich eine stille Bewunderung für Menschen, die gern in Brecht-Stücke gehen, weil ich vermute, dass diese Leute ein wahrhaftes Interesse verspüren, menschliche Abgründe, Schattenseiten und Schwächen zu ergründen. Ich dagegen musste mir am vergangenen Freitag einen Ruck geben, um in die Premiere von Mutter Courage und ihre Kinder zu gehen.

Umso erstaunter war ich, herausfinden zu dürfen, dass die Dame neben mir, das junge Paar hinter mir und der Herr links auch zum ersten Mal Brechts couragierte Mutter sahen. Ich war also in bester Gesellschaft. Zwei Stunden ohne Pause.

Regisseur Philipp Becker machte es uns Neulingen sowie all den anderen Zuschauern im ausverkauften Thalia leicht. Ohne jede Requisite – auch kein Planwagen -, dafür mit Chor, Musikband und der fabelhaften Gabriela Maria Schneide in der Hauptrolle legte der 38jährige Theatermann eine leichtgängige, zuweilen etwas lutherisch-nüchterne Inszenierung auf die schräg gestellten Bühnenbretter, die überzeugte, ohne jedoch zu fesseln. Brecht light.

Resolut wie eine holsteinische Biobäuerin steht sie da. Wachsjacke, sportliche Kurzhaarfrisur und rote Allwetterschuhe. Gabriela Maria Schneide ist die Rolle des alleinerziehenden Muttertiers wie auf den Leib geschrieben.

Doch während der Dreißigjährige Religionskrieg um sie herum tobt, gilt ihre Sorge nicht einzig dem Wohlergehen ihrer drei Kinder Eilif (Paul Schröder), Schweizer Kas (Julian Greis) und der stummen Tochter Kattrin (Lisa Hagmeister), sondern auch dem finanziellen Wohl ihrer Geschäfte. Sie handelt, feilscht und spekuliert mit Verve rund um die Bedürfnisse der Soldaten. Und spätestens hier leuchtet es auf, das Brecht’sche Entsetzen: Statt ihre Kinder zu schützen, opfert sie skrupellos ihre Brut ihrem eigenen Gewinnstreben.

Kommerz statt Liebe, Kapitalismus statt Menschsein.

Dieses moralische Dilemma will sich mir nicht recht erschließen. Und obwohl ich weiß, dass ich spätestens jetzt an das Übel der Kriegsherde samt seiner Profiteure in der arabischen Welt denken sollte, kommen mir nur immer wieder Szenen aus Doris Dörries Filmkomödie „Die Friseuse“ in den Sinn. Auch dort kämpft Gabriela Maria Schmeide so überzeugend und sympathisch bis zur absoluten Erschöpfung gegen die Unbill des Lebens an. Auch dort geht es ums Überleben aber nie um Profit.

Anders als mein Kollege Stefan Grund, der in seiner Kritik in „Die Welt“ die Unterbrechungen durch den Chor und durch „ein schlappes Sextett“ mit Paul Dessaus-Liedern als störend, überflüssig und bremsend empfindet, kommen mir und meinen Sitznachbarn diese musikalischen Denkpausen recht gelegen im turbulenten Kriegstreiben und all den zu betrauernden Todesfällen.

Einzig der engelsgleiche Sopran der Mutter Courage stört. Ein energischer Alt hätte besser gepasst. Dennoch rührt ihr Duett mit dem Koch (André Szymanski) im 9. Bild, und es kommt die Frage auf, ob Brecht eigentlich klar war, wie liebevoll seine Mutter Courage trotz all der Härte ihres Schicksal sein konnte.

Thalia Theater
Alstertor
20095 Hamburg

Nächste Vorstellungen: 18. und 19. Februar, 4., 5. und 10. März 2017

5 Bilder: Mutter Courage im Thalia Theater Hamburg © Krafft Angerer

 

Author: Julia Engelbrecht-Schnür

Journalistin

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