„Pferd frisst Hut“ von Herbert Grönemeyer an der Komischen Oper Berlin

Pferd frisst Hut - Komische Oper ph: Holger Jacobs

„Pferd frisst Hut“ von Herbert Grönemeyer an der Komischen Oper Berlin

 

Von Holger Jacobs

09.02.2025

Wertung : 🙂 🙂 🙂 🙂 (vier von fünf)

Eine völlig durchgeknallte Show bringt großen Erfolg für den Liedermacher aus Bochum und den genialen Regisseur.

Kaum ein Opernhaus feiert einen so konstanten Erfolg beim Publikum wie die Komische Oper in Berlin.
Auch nach der Ära BARRIE KOSKY (der als Regisseur aber immer wieder an das Haus zurückkehrt) konnte das neue Intendanten-Duo SUSANNE MOSER und PHILIP BRÖKING an die Erfolge der früheren Zeiten anknüpfen.
Der alte Intendant hatte das kleinste Berliner Opernhaus so gut aufgestellt, dass die Nachfolger einfach diese Mischung aus ernsten Operndramen und temperamentvollen Broadway-Musicals beibehalten mussten, um das Schillertheater (Ausweichquartier während der Renovierung des Stammhauses) jedes Mal bis zum letzten Platz zu füllen.
Ob „Sweeney Todd“ (Premiere am 17. Dez. 2024), „Figaros Hochzeit“ (Premiere am 27. April 2024), „Chicago“ (Premiere am 28. Okt. 2023) bis zu „Cosi Fan Tutte“ (Premiere war am 11. Okt. 2023) immer waren volle Zuschauerränge garantiert.
Besonders die Premieren geraten zu Happenings, wenn Politik-Prominenz (Kultursenator Joe Cialo), Film-Prominenz (Nina Hoss) und Geschichts-Prominenz (Margot Friedländer) sich, wie gestern Abend, ein Stelldichein geben.
Auch interessant: Während in den beiden anderen Opernhäusern von Berlin eher streng blickende Damen und Herren der gehobenen Berliner Gesellschaft das Premierenpublikum bilden, ist es in der Komischen Oper ein fröhlicher, bunter Haufen, der einfach nur Spaß am Leben, an der Kunst und am Feiern der Musik hat – sehr erfrischend!

Handlung

Die musikalische Komödie „Pferd frisst Hut“ von HERBERT GRÖNEMEYER basiert auf dem Theaterstück „Un Chapeau de Paille d‘ Italy“ (Ein Florentinerhut) des franz. Theaterautoren EUGÈNE LABICHE von 1851. Das Stück hatte sofort großen Erfolg und wurde von vielen Theaterhäusern gespielt.
Besonders bemerkenswert ist eine Inszenierung von 1936 von keinem geringeren als ORSON WELLES am New Yorker Broadway mit dem Titel „Horse Eat Hat“, woher HERBERT FRITSCH auch den Namen übernahmen hat.
Das Durcheinander der Originalhandlung ist so groß, dass ich selbst nach mehrmaligem Lesen der Geschichte nicht alles verstanden habe.
Doch dies gehört zum Verwirrspiel dazu, denn das Stück bezieht seine Wirkung nicht durch eine stringente Handlung, sondern durch die Situationskomik eines unmittelbaren Augenblicks.
Und alles geschieht an einem einzigen Tag:
Der Bräutigam Fadinard (CHRISTOPHER NELL) erzählt seinem Onkel Vézinet (GOTTFRIED BREITFUSS) von einem Erlebnis am Morgen, bei dem sein Pferd während eines Ausritts einen Florentinerhut aus Stroh gegessen hat, der an einem Baum hing.
Plötzlich wäre ein Pärchen aus dem Gebüsch gekommen und hätte verlangte, dass Fadinard sofort einen Ersatz für diesen Hut beschaffen soll, denn die Dame, Anais Beauperthuis (HELENA BOHNDORF) ist eigentlich verheiratet und hatte sich hier mit ihrem Liebhaber Tardiveau (WERNER ENG) getroffen.
Da der Ehemann Beauperthuis (MATTHIAS BUSS) den Hut aber genau kennt, könnte der Verlust auf einen verdächtigen Ausritt hindeuten.
Eingeschüchtert verspricht Fadinard sein Bestes zu tun, doch eigentlich soll er noch am selben Tag seine Braut Helène (PAULINA PLUCINSKI) heiraten und die ganze Hochzeitsgesellschaft ist schon im Anmarsch, angeführt von seinem etwas verrückten Schwiegervater Nonancourt (HUBERT WILD) und wird ihn unerbittlich auf Schritt und Tritt verfolgen.
Bei seiner Recherche trifft Fadinard auch auf seine ehemalige Geliebte Clara (SARAH BAUERETT), für die er immer noch Gefühle hegt und sie für ihn.
Dann gibt es noch den jungen Bobin (OWEN PETR READ), der seinerseits heimlich in Clara verliebt ist und nur darauf wartet, dass dem Fadinard irgendein Fehler unterläuft und die Hochzeit abgeblasen wird.
Als sich dann alle durch Zufall im Hause der Baronin Emile de Tavernier (FLORIAN ANDERER) wiederfinden, wo Fadinard versehentlich für einen Opernsänger gehalten wird, ist das Chaos perfekt.
Doch wie in Komödien üblich wendet sich am Schluss alles zum Guten und Fadinard heiratet seine Helène.
Und sogar ein neuer Florentinerhut taucht plötzlich auf…

Herbert Grönemeyer

Die meisten meiner Leser werden den Sänger und Schauspieler HERBERT GRÖNEMEYER kennen.
Viele von uns erinnern sich an seine berühmten Lieder, wie „Männer“ von 1984 und „Mensch“ von 2002.
Oder an seine Rolle als Leutnant Werner in dem Film „Das Boot“ von 1981 über die Besatzung eines deutschen U-Bootes im 2. Weltkrieg (sechs Oscar-Nominierungen).
Der Film hat in der Welt des Kinos Kultstatus erlangt. Regisseur war WOLFGANG PETERSEN (†2022).
In Bochum aufgewachsen bekam HERBERT GRÖNEMEYER schon als Schüler Kontakt zum dortigen Schauspielhaus, wo er sich als Praktikant um die Musik kümmern durfte.
Daraufhin studierte er Musikwissenschaften an der Ruhr-Universität und fertigte erste Kompositionen an.
Gleichzeitig arbeitete er weiter am Theater, wo man ihm schließlich auch Schauspielrollen anbot.
Sein Glück war, dass damals unter dem Intendanten PETER ZADEK das Schauspielhaus Bochum das innovativste Theater Deutschlands war, wodurch GRÖNEMEYER auch schnell zu anderen Regiegrößen jener Zeit Kontakt bekam, wie JÜRGEN FLIMM, CLAUS PEYMANN, ULRICH SCHAMONI und schließlich WOLGANG PETERSEN.
Doch ab dem Jahre 1982 widmet sich GRÖNEMEYER nur noch der Musik.
Nachdem die ersten Alben alle Flops waren kommt 1984 mit dem Album „4630 Bochum“ und der Singleauskopplung „Männer“ der große Durchbruch.
Sein größter Erfolg bis dato wird dann 2002 das Album „Mensch“ mit der Singleauskopplung „Mensch“, welches sich bis heute 3.9 Millionen Mal verkauft hat.
Auch drei Film-Soundtracks fertigte GRÖNEMEYER für seinen Freund, den Regisseur und Fotografen ANTON CORBIJN an.
Für die Filme „The American“ (mit George Clooney), „Control“ und “A Most Wanted Man”.
2023 kam dann die Idee, zusammen mit dem Theaterregisseur HERBERT FRITSCH für das Theater Basel die Komödie „Ein Florentiner Hut“ zu vertonen.
In Kooperation mit der Ruhrtriennale 2024 und der Komischen Oper Berlin.

Kritik

Zunächst einmal muss ich gestehen, dass ich eigentlich kein großer Fan der Musik von HERBERT GRÖNEMEYER bin.
Einzig die Songs „Männer“ und „Mensch“ (wunderschön das Video mit dem Eisbären am Strand) fand ich toll.
Kompositionen für ein Theaterstück hatte HERBERT GRÖNEMEYER bereits 2015 erfolgreich bei der Neuinszenierung des „Faust“ unter dem genialen US-Theaterregisseur ROBERT WILSON am Berliner Ensemble ausprobiert.
Übrigens mit dem „Pferd frisst Hut“ Hauptdarsteller CHRISTOPHER NELL als Mephisto!

Genau wie die damalige „Faust“ Inszenierung ist auch „Pferd frisst Hut“ sehr gelungen.
Bei dieser Komödie ist es der unvergleichliche Stil von HERBERT FRITSCH und die eingängige Musik von HERBERT GRÖNEMEYER mit ca. 15 musical-haften „Nummern“, die den Zuschauer überzeugen.

Der Regisseur HERBERT FRITSCH ist hier wieder ganz in seinem Element.
Wir kennen ihn noch als Hausregisseur an der Volksbühne unter FRANK CASTORF mit Werken wie z.B. „Der Die Mann“ von 2015:

Wie bei allen seinen Theaterinszenierungen übernimmt HERBERT FRITSCH auch das Bühnenbild, welches bei „Pferd frisst Hut“ genial gestaltet ist.
Nicht nur seine üblichen Knall-Farben springen ins Auge, auch seine verschobenen Achsen und Linien des Raumes machen das Verwirrspiel noch perfekter.
Dazu 10 Türen nach links und rechts, die in ihren Funktionen mit zur Inszenierung gehören.
Und auch kleine Gags, wie plötzliches Übergehen in eine Slow-Motion-Bewegung der Schauspieler oder das Zittern der Türen, sehr geschickt durch zitternde Bewegtbilder, die auf die Türen projiziert werden, ist ein wahrer Augenschmaus.
Genial die Personenführung der Schauspieler, die drei Stunden lang hin- und herlaufen, sich anrempeln, übereinander springen, raus- und reinlaufen und dazwischen auch noch singen müssen.
Herausragend dabei ist die Leistung von CHRISTOPHER NELL, den wir schon als Mephisto in der besagten „Faust“ Inszenierung von ROBERT WILSON von 2015 kennen (siehe mein Video).
Sein Koordination von Gesang, Tanz und Bewegung, alles gleichzeitig, sind bewundernswert.
Aber auch seine Kolleginnen und Kollegen auf der Bühne machen ihre Sache überzeugend.
Erwähnenswert sind hier HUBERT WILD als verrückter Schwiegervater mit badischen Dialekt (da ich in Baden-Baden aufgewachsen bin, ist es mir sehr vertraut) und SARAH BAUERETT als Clara.
Eines hat mich bei letzterer aber etwas irritiert: Ihre Stimme ist so tief wie bei einem Mann, auf jeden Fall tiefer als eine Alt-Stimme.
Gewollt oder nicht? Ich weiß es nicht. Der guten Performance tut das aber keinen Abbruch.

Fazit: Knallbunte Farce mit ausgezeichneten Darstellern und eingängiger Musik. Am Schluss ein wenig zu lang.

„Pferd frisst Hut“ nach „Der Florentiner Hut“ von Eugène Labiche
Komische Oper Berlin
Premiere war am 8. Februar 2025
Musik: Herbert Grönemeyer, Musik-Arrangements: Thomas Meadowcroft
Regie + Bühne: Herbert Fritsch, Kostüme: Geraldine Arnold
Mit: Christopher Nell (Fadinard),
Sarah Bauerett (Clara),
Werner Eng (Tardiveau)
Florian Anderer (Emile de Tavernier),
Paulina Plucinski (Hélène)
Helena Bohndorf (Anais Beauperthuis),
Hubert Wild (Pater Nonancourt)
Gottfried Breitfuss (Vézinet, Onkel der Braut)

Bilderserie mit 20 Fotos aus der Produktion „Pferd frisst Hut“:

Christopher Nell, „Pferd frisst Hut“, Komische Oper, ph: Holger Jacobs

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and videographer.

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