Premiere „Cosi Fan Tutte“ in der Komischen Oper Berlin

Cosi fan Tutte - Susan Zarrabi - ph: Andreas Wilcke

Premiere „Cosi Fan Tutte“ in der Komischen Oper Berlin

 

Von Holger Jacobs

13.03.2023

Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂 (vier von fünf)

english text

Großer Erfolg für die Neuinterpretation der Liebeswirren von Mozarts Oper

In den neun Jahren als Kulturjournalist für mein online Kulturmagazin kultur24.berlin ist diese Neuinszenierung von Mozarts „Cosi fan Tutte“ an der Komischen Oper bereits die dritte ihrer Art für mich. Und alle drei habe ich mit viel Vergnügen und Begeisterung über musikalischen Genuss, ausgezeichnete Sänger*innen, großartige Bühnenbilder und tolle Kostüme gesehen.

Die erste, 2016 an der Deutschen Oper von dem jungen Ernst-Busch-Schüler ROBERT BORGMANN inszeniert, war vielleicht die spektakulärste. Frisch und jung, mit knallbunten Kostümen vom Berliner Modedesigner MICHAEL SONTAG. Hier meine Rezension von der Deutschen Oper.

Die zweite, 2021 an der Staatsoper Unter den Linden von Patrice Chereau-Schüler VINCENT HUGUES, war etwas verhaltener aber nicht weniger amüsant zu sehen. Hier meine Rezension von der Staatsoper.

Jetzt die dritte Version an der Komischen Oper von dem russischen Regisseur KIRILL SEREBRENNIKOV, welche von der Zeitebene genau dazwischen liegt.
Während die Staatsopern-Inszenierung in Bezug auf Ausstattung und Kostüme ungefähr in den 70/ 80er Jahren zu verorten ist, spielt die Interpretation der Deutschen Oper in der nahen Zukunft und die Komische Oper stellt das Hier und Jetzt dar.

Applaus, „Cosi fan Tutte“, Komische Oper, ph: Holger Jacobs

Handlung

Im Neapel des 18. Jahrhunderts wollen die beiden Freunde Guglielmo und Ferrando die beiden Schwestern Fiordiligi und Dorabella heiraten. Doch ihr Bekannter Don Alonso gibt zu bedenken, dass Frauen nie treu sein könnten. Guglielmo und Ferrando weisen dies empört zurück. Alle würden sich heiß und innig lieben und jede Störung dieser Idylle erscheint unmöglich.
Da schlägt Don Alfonso eine Wette vor:
Die beiden Freunde sollten doch so tun, als müssten sie für den König in den Krieg ziehen. Stattdessen kehren sie verkleidet als Albanische Adlige zurück und versuchen die beiden Frauen Fiordiligi und Dorabella zu verführen.
Würde das funktionieren, hätte er, Don Alfonso gewonnen und seine These von den untreuen Frauen wäre bestätigt.
Gesagt getan. Und natürlich kommt es wie es kommen muss: Beide Frauen verlieben sich in die neuen Fremdlinge.
Mit der Besonderheit, dass die Männer ihre Rollen getauscht haben, indem sie nun die Braut des jeweilig anderen umgarnen.
Als sich am Schluss die falschen Adligen zu erkennen geben ist die Bestürzung groß.
Doch MOZARTund sein Librettist LORENZO DA PONTE wollten natürlich kein trauriges Ende. So heiraten letztlich doch die ursprünglichen Paare ihre ursprünglichen Verlobten und die kurze Episode mit vertauschten Rollen bleibt für Alle nur eine amüsante Erinnerung einer lustvollen Liebelei.

Applaus, „Cosi fan Tutte“, Komische Oper, ph: Holger Jacobs

Kritik

Als sich am Premierenabend in der Komischen Oper der Vorhang lüftet sieht der Zuschauer in eine moderne Fitness-Anlage mit Sichtbeton, in der in der oberen Etage die Frauen Wellness und in der unteren Etage die Männer an verschiedenen Geräten Muskeltraining betreiben.
Willkommen im Fitness-Club des 21. Jahrhunderts!
Styling und Interieur entsprechen dem heutigen Zeitgeschmack: Schicke Ledersessel, kühle (um nicht zu sagen „coole“) Einrichtung und natürlich schwarze Unterwäsche. Eine Dusch-Szene mit einem der neuen Liebhaber, der nackt hinter einer semi-transparenten Glaswand steht, darf dabei auch nicht fehlen.
Was einen tiefen Bruch mit dem ursprünglichen Libretto von Lorenzo Da Ponte darstellt ist die Tatsache, dass die beiden Freunde Guglielmo (HUBERT ZAPIOR) und Ferrando (CASPAR SINGH) zwar wie vorgesehen in den (vermeintlichen) Krieg ziehen, aber aus diesem nicht mehr lebend heimkehren.
Denn bei SEREBRENNIKOV herrscht echter Krieg, so wie wir es eben zurzeit in der Ukraine erleben (oder wie Präsident WLADIMIR PUTIN sagen würde: „Militärische Spezialoperation“), bei dem Tausende von Soldaten ihr Leben lassen.
So auch das Schicksal von Guglielmo und Ferrando. Von ihnen kommen nur noch die Urnen zurück.
Nach dem ersten Schock versucht die Despina (ALMA SADÉ) ihre Freundinnen Fiordiligi (NADJA MCHANTAF) und Dorabella (SUSAN ZARRABI) damit zu trösten, dass es doch noch genug andere attraktive Männer gäbe, mit denen man Spaß haben könnte. Und lässt gleich mal zwei arabische Scheichs auffahren, die den Mädels ihre Avancen machen.
Ein kleiner Wink zeigt dabei auf das Königreich Katar: zwischendurch schauen die Scheichs eine Übertragung der Fußballweltmeisterschaft im Fernsehen an!
Als die Damen aber nicht so richtig anbeißen wollen (immer noch in Gedanken an ihre gefallenen Geliebten), wird der Trick mit dem Selbstmord aus Liebeskummer erfolgreich angewendet und beide Frauen fallen den neuen Männern schließlich in die Arme. Dabei vögelt Dorabella in der oberen Etage fröhlich mit ihrem neuen Schönling, während unten Fiordiligi von einem stattlichen Bodybuilder auf dem Küchentisch flachgelegt wird.
Doch was ist mit unseren beiden Soldaten? Hat man die völlig vergessen?
Nein, denn sie kommen als Geist wieder zurück. Denn ihre Arien müssen ja schließlich gesungen werden. Sie begleiten heimlich die jungen Damen in ihrem neuen Liebesabenteuer, nicht ohne die Verzweiflung, dass so kurz nach ihrem Tode die Weiblichkeit schon wieder neues Vergnügen gefunden hat.
Diese Idee von Regisseur Kirill Serebrennikov ist wirklich ein  gelungener Coup. Denn es lässt die Untreue der Frauen in einem anderen Licht erscheinen – ihre Männer sind ja schließlich tot…

Kirill Serebrennikov (in der Mitte mit Brille), Applaus, „Cosi fan Tutte“, Komische Oper, ph: Holger Jacobs

Das klingt sehr spannend und ist es auch.
Nur in dem zweiten Akt geht der Schwung etwas verloren, denn die meisten Zuschauer kennen ja den Ausgang der Geschichte und jede Liebesszene mit gewissen Zweifeln an sich selbst wiederholt sich zwangsläufig zweimal – bei Fiordiligi und danach noch einmal bei Dorabella.
Der Schluß ist dann wieder sehr gelungen mit wunderschönen orientalischen Brautkleidern der beiden jungen Damen und einer Abwechslung von Trauer über ihre Verflossenen und Freude über die Hochzeit.
Oder wird doch nicht geheiratet?
Das, liebe Leser, dürft Ihr dann selbst herausfinden.
Was mir auffiel: Alle Sänger*innen waren extrem jung und trotzdem technisch und gesanglich gut. Und passte deshalb auch zu der insgesamt modernen Atmosphäre mit Smartphone und Betonwänden.
NADJA MCHANTAF als Fiordiligi hatte mit der sehr schweren Partitur etwas zu kämpfen, konnte aber mit ihrem schönen Timbre und ihrem engagierten Spiel letztlich überzeugen.
Toll wie immer: Der schöne Bariton von Günter Papendell als Don Alfonso!

Die ebenfalls sehr junge Dirigentin Katharina Müllner, Jahrgang 1986 (kam mit einfachem Pferdeschwanz zur Premierenaufführung), blieb mit ihrem Orchester etwas zurückhaltend und konnte keine musikalischen Akzente setzen. Und der Chor war leider hinter einer Leinwand versteckt, weshalb dessen Stimmen nur sehr gedämpft aus dem Off zu hören waren.

Fazit: Eine Neuinterpretation von Mozarts „Cosi fan Tutte“, die Spass macht. Besonders der 1. Akt ist wirklich mitreißend. Auf jeden Fall eine Empfehlung.

„COSI FAN TUTTE“ von Wolfgang Amadeus Mozart
Komische Oper Berlin
Premiere war am 11.10.2023
Musikalische Leitung: Katharina Müller
Inszenierung, Bühnenbild und Kostüme: Kirill Serebrennikov
Mit: Nadja Mchantaf (Fiordiligi), Susan Zarrabi (Dorabella), Hubert Zapior (Guglielmo), Caspar Singh (Ferrando), Günter Papendell (Don Alfonso)

Unsere Bilderserie zeigt 30 Fotos aus „Cosi fan Tutte“:

Nadja Mchantaf (Fiordiligi) verabschiedet ihren Verlobten, „Cosi fan Tutte“, ph: Andreas Wilcke

English text

 

Premiere of “Cosi Fan Tutte” at the Komische Oper Berlin

 

By Holger Jacobs


03/13/2023

Rating: 🙂 🙂 🙂 🙂 (four of five)

Great success for the reinterpretation of the love tangles from Mozart’s opera

In my nine years as a culture journalist for my online culture magazine kultur24.berlin, this new production of Mozart’s „Cosi fan Tutte“ at the Komische Oper is already the third of its kind for me.
And I saw all three with great pleasure and enthusiasm for musical enjoyment, excellent singers, great stage designs and great costumes.
The first, staged at the Deutsche Oper in 2016 by the young Ernst-Busch student Robert Borgmann, was perhaps the most spectacular. Fresh and young, with brightly colored costumes by Berlin fashion designer Michael Sontag.
Here is my review of the Deutsche Oper.
The second, in 2021 at the Staatsoper Unter den Linden by Vincent Hugues, a student of PATRICE CHEREAU, was a little more restrained but no less amusing to watch. Here is my review of the State Opera.
Now the third version at the Komische Oper by the Russian director KIRILL SEREBRENNIKOV, which is exactly in between in terms of time.
While the State Opera’s production in terms of equipment and costumes can be located around the 70s/80s, the Deutsche Oper’s interpretation takes place in the near future and the Komische Oper represents the here and now.

Applaus, „Cosi fan Tutte“, Komische Oper, ph: Holger Jacobs

Story

In 18th-century Naples, two friends, Guglielmo and Ferrando, want to marry the sisters Fiordiligi and Dorabella.
But her acquaintance Don Alonso points out that women could never be faithful.
Guglielmo and Ferrando indignantly reject this. Everyone would love each other so deeply and any disturbance of this idyll seems impossible.
Then Don Alfonso proposes a bet: the two friends should pretend that they have to go to war for the king.
Instead, they return disguised as Albanian nobles and attempt to seduce the two women, Fiordiligi and Dorabella. If that worked, he, Don Alfonso, would have won and his thesis of unfaithful women would have been confirmed.
Said and done. And of course it comes as it must: both women fall in love with the new men. With the peculiarity that the men have swapped their roles by ensnaring the bride of the other.
When the false nobles reveal themselves at the end, the dismay is great. But of course Mozart and his librettist Lorenzo Da Ponte did not want a sad ending. So the original couples end up marrying their original fiancés after all, and the brief reversed-role episode remains for everyone just an amusing reminder of a lusty experience.

Applaus, „Cosi fan Tutte“, Komische Oper, ph: Holger Jacobs

critics

When the curtain rises in the Komische Oper on the evening of the premiere, the viewer sees a modern fitness facility with exposed concrete, in which women do wellness on the upper floor and men do muscle training on various machines on the lower floor.
Welcome to the health club of the 21st century!
The styling and interior correspond to today’s tastes: chic leather armchairs, cool furnishings and, of course, black underwear. A shower scene in which one of the new lovers stands naked behind a semi-transparent glass wall shouldn’t be missing either.
What represents a deep break with the original libretto by Lorenzo Da Ponte is the fact that the two friends Guglielmo (Hubert Zapior) and Ferrando (Caspar Singh) go to the (supposed) war as planned, but no longer alive return home.
Because at Serebrennikov there is a real war going on, just as we are witnessing in Ukraine at the moment (or as President Vladimir Putin would say: „military special operation“), in which thousands of soldiers lose their lives.
So also the fate of Guglielmo and Ferrando.
Only the urns come back from them. After the initial shock, Despina (Alma Sadé) tries to console her friends Fiordiligi (Nadja Mchantaf) and Dorabella (Susan Zarrabi) by saying that there are plenty of other attractive men to have fun with.
So two Arab sheikhs come up and make their advances to the girls.
A small nod points to the Kingdom of Quatar; because in between, the sheikhs watch a broadcast of the soccer World Cup on television!
But when the ladies don’t quite want to bite (still thinking about their fallen loved ones), the lovesick suicide ruse is successfully used and both women finally fall into the arms of the new men.
Dorabella happily f*cks her new beau upstairs, while downstairs Fiordiligi gets laid on the kitchen table by a handsome bodybuilder.
But what about our two soldiers? Are they completely forgotten?
No, because they come back as ghosts. After all, her arias have to be sung.
They secretly accompany the young ladies on their new love affair, not without the desperation that so soon after their death femininity has found new pleasures.
This idea by director Kirill Serebrennikov is really a successful coup. Because it puts women’s infidelity in a different light – after all, their husbands are dead…

Kirill Serebrennikov (in der Mitte mit Brille), Applaus, „Cosi fan Tutte“, Komische Oper, ph: Holger Jacobs

That sounds very exciting and it is.
Only in the second act does the momentum lose a little, because most viewers know the end of the story and every love scene with certain doubts about oneself is inevitably repeated twice – with Fiordiligi and then again with Dorabella.
The end is again very successful with beautiful oriental wedding dresses of the two young ladies and an alternation of sadness about their ex and joy about the wedding.
Or is the marriage not happening? That, dear readers, you can find out for yourself.
What struck me: all the singers were extremely young and still technically and vocally good.
And therefore also fit the overall modern atmosphere with smartphones and concrete walls.
Nadja Mchantaf as Fiordiligi struggled a bit with the very difficult musical notation, but was ultimately able to convince with her beautiful timbre and her committed playing.
Great as always: Günter Papendell’s beautiful baritone as Don Alfonso!
The also very young conductor Katharina Müllner, born in 1986 (came to the premiere performance with a simple ponytail), remained somewhat reserved with her orchestra and was unable to set any musical accents. And the choir was unfortunately hidden behind a screen, which is why their voices could only be heard very muffled from the off.

Conclusion: A new interpretation of Mozart’s „Cosi fan Tutte“ that is fun. Especially the 1st act is really gripping. Definitely a recommendation.
„COSI FAN TUTTE“ by Wolfgang Amadeus Mozart
Komische Oper Berlin
Premiere was on October 11, 2023
Musical direction: Katharina Müller
Production, stage design and costumes: Kirill Serebrennikov
With: Nadja Mchantaf (Fiordiligi), Susan Zarrabi (Dorabella), Hubert Zapior (Guglielmo) , Caspar Singh (Ferrando), Günter Papendell (Don Alfonso)

Our pictures series with 30 photos of „Cosi fan Tutte“:

Nadja Mchantaf (Fiordiligi) verabschiedet ihren Verlobten, „Cosi fan Tutte“, ph: Andreas Wilcke

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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