Idomeneo von Mozart an der Staatsoper Berlin
Von Holger Jacobs
Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂 (vier von fünf)
Außergewöhnliche Klangsphären in einer eher konventionellen Inszenierung
Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich von MOZARTS Oper „Idomeneo“ bis zu dem Zeitpunkt, dass sie auf dem Spielplan der Staatsoper für 2022/23 auftauchte, noch gar nichts gehört hatte. Geschweige sie denn gesehen.
Wie ich jetzt feststellen musste, ganz und gar zu Unrecht.
Denn die Musik ist absolut außergewöhnlich und beeindruckend und es verwundert, dass „Idomeneo“ so selten gespielt wird.
Bei MOZART sind es hauptsächlich die „DA PONTE“ Opern, wie „Le Nozze di Figaro“, Don Giovanni“ und „Cosi Fan Tutte“ (siehe mein Bericht zu „Cosi Fan Tutte“ in der Komischen Oper), die überall rauf und runter gespielt werden. Sicher deshalb, weil alle drei eher heitere Opern sind, die der Zuhörer am ehesten mit der Musik MOZARTS verbindet.
Dabei kann ich mich noch an die Konzertreihe im Théâtre des Champs-Élysées in Paris erinnern, als das AMADEUS-QUARTETT alle Quartette von MOZART spielte und sie dabei mit einer ganz eigenen Interpretation aufwarteten. Nämlich nicht das Heiter-Fröhliche zu betonen, sondern das Ernsthafte in der Partitur dieses Musik-Genies.
Womit MOZARTS Musik eine völlig neue Ebene erreicht.
Genau daran fühlte ich mich erinnert, als ich am Samstag die Premiere von „Idomeneo“ zum ersten Mal hörte.
Großbritannien zu Gast in der Staatsoper
Zu der Besonderheit dieser Inszenierung gehört, dass alle leitenden Personen dieser Produktion, sei es von der Regie (DAVID MCVICAR), von der Bühne (VICKI MORTIMER) und des Kostüms (GABRIELLE DALTON) aus Großbritannien kommen, allen voran der aus Liverpool stammende Dirigent SIR SIMON RATTLE.
Ich nehme an, dass SIMON RATTLE hier alte Vertraute zusammengeführt hat.
Auch ANDREW STAPLES, der den Idomeneo singt, ist in London geboren.
Selbst der Choreograph der Tanzszenen, COLM SERRY, kommt aus dem irischem Dublin.
Und MAGDALENA KOŽENÁ, die hier den Idamante singt, ist seit 2008 die Ehefrau des Dirigenten.
Handlung
Die von dem Librettisten GIAMBATTISTA VARESCO geschriebene Oper handelt von dem kretischen König Idomeneo, der nach dem griechischen Sieg über Troja zurück zu seiner Insel segelt und dabei in ein tödliches Unwetter gerät. Kurz vorm Kentern des Schiffs bittet er Meeresgott Neptun um Hilfe. Dieser gibt dem Flehen Idomeneos nach mit der Bedingung, dass er bei seiner Ankunft in Kreta denjenigen töten müsse, der ihm zuerst am Strand begegnet.
Dort angekommen ist es ausgerechnet sein eigener Sohn Idamante, der als erster auf ihn zukommt.
In einer Nebenhandlung geht es um die trojanische Prinzessin Ilia, die als Gefangene auf Kreta lebt und sich ausgerechnet in den Sohn des Königs, Idamante, verliebt hat. Weshalb sie sich als Verräterin an ihrem eigenen Volk sieht.
Gleichzeitig ist auch Elettra, die Tochter des griechischen Königs Agamemnon, auf der Insel und auch sie liebt Idamante. So entsteht ein erbitterter Streit zwischen den beiden Königstöchtern.
Als Idomeneo seinen Sohn aber nicht töten will gibt es einen Aufstand der Bevölkerung. Und Neptun schickt ein Seeungeheuer.
Doch Idamante kann das Ungeheuer besiegen und gesteht seine Liebe zu Ilia. Als sein Vater daraufhin abdankt und Idamante mit Ilia das neue Königspaar von Kreta werden, ist Neptun besänftigt. Nur Elettra schwört Rache.
Mein Video-Trailer der „Idomeneo“ Produktion auf kultur24 TV:
Kritik
Die Bühne (VICKI MORTIMER) und damit auch die ganze Inszenierung (DAVID MCVICAR) beruht auf einem einzigen Gegentand:
Einem riesigen Totenschädel (siehe Titelfoto), der inmitten der Bühne ca. 5 Meter hoch in, je nach Szene, unterschiedlichem Licht angestrahlt wird.
Das wirkt ziemlich minimalistich, aber auch beeindruckend.
Über weite Stecken finde ich die Idee interessant, spätestens aber zum Schluss hätte der Hintergrund wechseln müssen, denn auf die Dauer wirkt es etwas eintönig. Auch der Personenregie wird dadurch nur wenig Spielraum gelassen, denn um diesen Kopf herum gibt es keinerlei weitere Gegenstände, Treppen, Balkone oder ähnliches. Somit sind die Sänger*innen und der Chor dazu verdammt, auf der kahlen Bühne mal ein paar Schritte hierhin oder mal ein paar Schritte dahin zu laufen – das war’s.
Musikalisch und gesanglich dagegen war der Abend ein Höhepunkt, der Lust darauf macht, den gesamten Abend gleich noch einmal zu hören.
Wie schon oben erwähnt ist Wolfgang Amadeus Mozart hier musikalisch über sich hinausgewachsen. Nicht umsonst war „Idomeneo“ auch für ihn selbst seine beste Oper.
Alle Sängerinnen und Sänger sind überragend.
Ganz vorne ist MAGDALENA KOŽENÁ als Idamante (ursprünglich von Mozart für einen Kastraten komponiert, deshalb in Sopran-Lage), die diese Rolle schon 2006 bei den Salzburger Festspielen sang.
Die in St. Petersburg geborene OLGA PERETYATKA (hoffentlich keine Putin-Anhängerin…) als Elettra wird schon als Nachfolgerin von ANNA NETREBKO gehandelt, sang für ihre Verhältnisse aber etwas verhalten und könnte wohl noch mehr, hätte es ihr die musikalische Leitung erlaubt. Und ANDREW STAPLES ist ein würdiger Idomeneo.
Ganz besonders habe ich mich über ANNA PROHASKA (als Prinzessin Ilia) gefreut, die früher festes Ensemble-Mitglied in der Staatsoper war und zuletzt überwiegend im Konzerthaus Berlin auftrat. Ihre Stimme kann sowohl weich und zärtlich, wie auch energisch wirken – ganz wunderbar!
Sir SIMON RATTLE war ganz in seinem Element und seine weißen Löckchen wackelten je nach wirkungsvollem Einsatz. Die Tempi waren exakt gesetzt und die Staatskappelle gab ihr Bestes. Ein besonderes Schmankerl: Wenn Rattle bei seinen Musikern etwas besonders gut findet, streicht er mit seinem Daumen über Zeigefinger und Mittelfinger in Richtung des Künstlers – das habe ich bisher bei noch keinem Dirigenten gesehen!
Ein Katastrophe hingegen war die Choreographie von Colm Serry und dessen Tänzer. Das hätte unser Staatsballett Berlin besser gekonnt. Bitte das nächste Mal 500 Meter weiter zur Bismarckstraße 35 fahren und dort anklingeln.
Das hätte mehr gebracht.
Fazit: Ein großer musikalischer Erfolg für die Staatsoper Unter den Linden. Gesangstechnisch sicher der Höhepunkt der Saison!
„IDOMENEO“ von Wolfgang Amadeus Mozart
Staatsoper Unter den Linden
Premiere war am 19. März 2023
Dauer: ca. 3.40 Stunden mit zwei Pausen
Musikalische Leitung; Sir Simon Rattle, Inszenierung: David McVicar, Bühne: Vicki Mortimer, Kostüme: Gabrielle Dalton, Choreographie: Colm Serry
Mit: Andrew Staples (Idomeneo), Magdalena Kožená (Idamante), Anna Prohaska (Ilia), Olga Peretyatko (Elettra), Linard Vrielink (Arbace), Florian Hoffmann (Oberpriester)
Nächste Termine: 23., 26., 28., 30. März 2023, jeweil 19.00 Uhr
Bilderserie mit 20 Fotos der „Idomeneo“-Produktion:
Anna Prohaska (Ilia), Magdalena Kozena (Idamante), IDOMENEO, Staatsoper Berlin, ph: Holger Jacobs
English text
Idomeneo by Mozart at the Berlin State Opera
By Holger Jacobs
Rating: 🙂 🙂 🙂 🙂 (four of five)
Extraordinary sound spheres in a rather conventional production
I have to admit, to my shame, that I hadn’t heard of Mozart’s opera „IDOMENEO“ until the time it appeared on the Staatsoper’s schedule for 2022/23.
As I now found out, I was a pity not to know this fantastic opera.
Because the music is absolutely extraordinary and impressive and it is surprising that „Idomeneo“ is played so rarely.
For Mozart it is mainly his „Da Ponte“ (Libretti) operas, such as „Le Nozze di Figaro“, „Don Giovanni“ and „Cosi Fan Tutte“ (see my report on „Cosi Fan Tutte“ in the Komische Oper) that are played everywhere. Certainly because all three are rather cheerful operas, which the audience associates most with the music of Mozart.
I can still remember the concert series at the Théâtre des Champs-Élysées in Paris, when the Amadeus Quartet played all of Mozart’s quartets and came up with their very own interpretation. Namely, not to emphasize the cheerful, but the serious in the score of this musical genius. With it, Mozart’s music reaches a completely new level.
That’s exactly what I was reminded of when I saw and heard the premiere of „Idomeneo“ on Saturday.
Great Britain as a guest star at the State Opera
What is special about this production is that all the main personalities in charge of this production, as the director (David McVicar), the stage designer (Vicki Mortimer) and the costume designer (Gabrielle Dalton) are coming from Great Britain, above all the conductor Sir Simon Rattle, who comes from Liverpool. I assume Rattle has brought together old friends here. And Andrew Staples, who sings Idomeneo, was born in London. Even the choreographer of the dance scenes, Colm Serry, comes from Dublin, Ireland. And Magdalena Kožená, who sings Idamante, has been the conductor’s wife since 2008.
Story
The opera, written by the librettist Giambattista Varesco, is about the Cretan king IDOMENEO, who, after the Greek victory over Troy, sails back to his island and gets caught in a deadly storm. Shortly before the ship capsizes, he asks the sea god Neptune for help. The sea god gives in to Idomeneos‘ entreaty on condition that, on his arrival in Crete, he must kill the first person who meets him on the beach. Once there, it is his own son Idamante, who is the first to approach him. A second plot is about the Trojan princess Ilia, who lives as a prisoner on Crete and has fallen in love with the king’s son, Idamante. Which is why she sees herself as a traitor to her own people. At the same time, Elettra, the daughter of the Greek king Agamemnon, is also on the island and she too loves Idamante. A bitter quarrel arose between the two king’s daughters. But when Idomeneo does not want to kill his son, the population revolts. And Neptune sends a sea monster. But Idamante can defeat the monster and confesses his love for Ilia. When his father then abdicated and Idamante and Ilia became the new royal couple of Crete, Neptune is appeased. Only Elettra swears revenge.
My video-trailer of „Idomeneo“ at kultur24 TV:
Critics
The stage design (Vicki Mortimer) and thus the whole directing (DAVID MCVICAR) is based on a single object: a huge skull (see title photo), which is illuminated in the middle of the stage about 5 meters high in different lights, depending on the scene.
That looks pretty minimalistic, but also impressive.
I find the idea quite interesting, but the background should have changed by the end at the latest, because in the long run it seems a bit monotonous. This also leaves little possibilities for the actors/ singers, because there are no other objects, stairs, balconies or the like around this head. So the singers and the choir are doomed to walk a few steps here or a few steps there on the bare stage – that’s it.
Musically and vocally, on the other hand, the evening was a highlight that makes you want to listen to the whole evening again.
As mentioned above, Wolfgang Amadeus Mozart musically surpassed himself here. It was not for nothing that “Idomeneo” was in his own mind his best opera, which he ever written.
All the singers are outstanding.
Right at the front is Magdalena Kožená as Idamante (originally composed by Mozart for a castrato, therefore in the soprano range), who sang this role already at the 2006 Salzburg Festival. St.
Petersburg-born OLGA PERETYATKA (hopefully not a Putin supporter…) as Elettra is already being talked about as the successor to ANNA NETREBKO, but she sang a bit cautiously by her standards and could probably do even more if the musical direction had allowed her. And ANDREW STAPLES is a worthy Idomeneo.
I was particularly happy about Anna Prohaska (as Princess Ilia), who used to be a permanent member of the ensemble at the State Opera and most recently performed mainly at the Konzerthaus Berlin. Her voice can be both soft and tender, as well as energetic – wonderful!
Sir Simon Rattle was in his element and his white curls wobbled depending on the effective use. The tempi were set exactly and the Staatskapelle gave their best. A special treat: If Rattle finds something particularly good in his musicians, he strokes his thumb over his index and middle fingers in the direction of the artist – I’ve never seen this from a conductor before!
A disaster, however, was the choreography of Colm Serry and his dancers. Our Staatsballett Berlin could have done that better. Next time please drive 500 meters further to Bismarckstraße 35 and ring the bell there. That would have done more.
Conclusion: A great musical success for the Staatsoper Unter den Linden. Vocally the highlight of the season for sure!
„IDOMENEO“ by Wolfgang Amadeus Mozart
Staatsoper Unter den Linden
Premiere was on March 19, 2023
Duration: approx. 3.40 hours with two breaks
Musical direction; Sir Simon Rattle, Staging: David McVicar, Set: Vicki Mortimer, Costumes: Gabrielle Dalton, Choreography: Colm SerryWith: Andrew Staples (Idomeneo), Magdalena Kožená (Idamante), Anna Prohaska (Ilia), Olga Peretyatko (Elettra), Linard Vrielink (Arbace), Florian Hoffmann (priest)
Next dates: March 23, 26, 28, 30, 2023, each at 7:00 p.m
Picture series with 20 photos of the „Idomeneo“ production:
Anna Prohaska (Ilia), Magdalena Kozena (Idamante), IDOMENEO, Staatsoper Berlin, ph: Holger Jacobs
Author: Holger Jacobs
Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.
