Premiere von Faust am Berliner Ensemble

Faust, Goethe, Wilson, © Holger Jacobs

Premiere von Faust am Berliner Ensemble

Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂   (vier von fünf möglichen)

Von Holger Jacobs

Holger Jacobs

26.4.2015.

Als ich vor 39 den „Faust“ von Johann Wolfgang von Goethe als Prüfungsaufgabe im Abitur im Deutsch Leistungskurs hatte, wäre ich nicht auf die Idee gekommen, dass dieses Theaterstück mich mein Leben lang begleiten wird.
Als ich vor 10 Jahren nach Berlin kam, nach 20-jährigem Aufenthalt in Paris, war das erste, was ich mir im Theater ansah, die Faustinszenierung von Michael Thalheimer im Deutschen Theater Berlin.
Nur wenige Tage nach meinem Einzug in meine neue Wohnung in der Linienstrasse in Berlin-Mitte fand keine 500 Meter entfernt am 16. Oktober im Deutschen Theater die Premiere von „Faust 1“ statt.
Damals mit Sven Lehmann (†2013) als Mephisto und Ingo Hülsmann als Faust.
Die lange Anfangsszene mit den beiden allein vor einer schwarzen Bretterwand, wo nur das Spiel der beiden und die Sprache Goethes zum Ausdruck kamen, war grandios.
Das Lied „Child in Time“ von Deep Purple, welches ich noch als junger DJ in Clubs aufgelegt hatte, ertönte während der gesamten Umwandlungsphase der Bühne (ca. 10 Minuten) und lies mir Schauer über den Rücken laufen.
Was für ein Erlebnis!

Und heute der neue „Faust 1+2“ von Robert Wilson.
Und der ist natürlich noch einmal ganz anders.
Robert Wilsons Inszenierung ist das Gegenteil von der Michael Thalheimers. Denn Robert Wilson ist in erster Linie Architekt und erst in zweiter Linie Theaterregisseur. Ihn interessieren weniger die menschlichen Gefühle der Protagonisten, sondern er erzählt die Geschichte in starken, bunten Bildern in einem minimalistischem Bühnenbild, in denen die Figuren wie Marionetten agieren.
Bis zur Unkenntlichkeit geschminkt, sieht man kaum noch den Schauspieler, der dahinter steht.
Auch die Sprache und der Text finden bei Wilson nur eine untergeordnete Bedeutung. Entweder wird der Text so langsam gesprochen, dass der Sinn nicht mehr erkennbar wird, oder er wird so schnell heruntergerasselt („Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin”), dass die Bedeutung der Sätze verloren geht.
Sicher empfindet Wilson als Amerikaner (in Texas geboren) nicht dasselbe für die deutsche Sprache, wie wir als Deutsche selbst.
Auch wird er das Stück nur aus einer englischen Übersetzung kennen. Aber dies ist es nicht allein. Denn wie er in seinem Podiumsgespräch am 11. April dem interessiertem Publikum erklärte, ist für ihn die Sprache nicht wirklich wichtig, sondern der Raum, in dem das Stück spielt. “Space and light are the most important”, wie er selbst sagte.

Die enormem Kürzungen des Textes, dem Wunsch Wilsons folgend, Faust 1 und 2 an einem einzigen Abend zu zeigen, tun ihr Übriges.

Hier ein kurzer Ausschnitt, zu sehen auf unserem Kulturkanal kultur24 TV :

Die Hinzunahme von Herbert Grönemeyer als Komponist für eine das Drama begleitende Musik zeigt, wie unterschiedlich die Herangehensweise von Wilson ist.
Grönemeyer, der künstlerisch am Bochumer Schauspielhaus noch unter Peter Zadek groß geworden ist, hatte seine wichtigsten Erfolge mit dem Lied “Männer” auf dem Album “Bochum” von 1984 und seinem Auftritt als Schauspieler in dem Film “Das Boot” von Wolfgang Petersen von 1981. 2002 erschien sein Album “Mensch” mit der Single-Auskopplung “Mensch”, welches auf Platz eins der Single-Charts landete und sein bisher erfolgreichstes Lied wurde.
Sein musikalischer Stil ist eine Form der modernen Ballade, eine Mischung aus deutschem Schlager und englischem Rock.

Aber wie passt das zu Goethes “Faust”?

Wenn Ihr Euch frei machen könnt von bisher Gesehenem und aufgeschlossen seid für Neues, dann wird Euch Wilsons “Faust”gefallen.
Durch ihn wird die Faust-Geschichte zu einer Art Musical.
Das Ganze bekommt eine Leichtigkeit, die man sonst bei diesem Stück nicht kennt. Es bekommt Humor, Witz und fast schon Fröhlichkeit.
Ob das dem Stück gerecht wird? Ob das Goethe gerecht wird? Das muss jeder Zuschauer für sich selbst herausfinden. Technisch und künstlerisch gesehen ist es außergewöhnlich gut.
Auf der Kunst-Biennale in Venedig, die dieses Jahr wieder vom 9.Mai bis 22. November 2015 stattfindet, hätte es einen Platz verdient.

„Goethe/ Faust/ Groenemeyer – Faust I + II“ 
Berliner Ensemble
Premiere am 24.04.2015
Regie, Bühne, Licht: Robert Wilson, Musik: Herbert Grönemeyer, Textfassung: Jutta Ferbers
Kostüme: Jacques Reynaud, Musikalische Leitung: Hans-Jörn Brandenburg, Stefan Rager
Mephisto wird gespielt von Christopher Nell (herausragend, trägt die gesamte Inszenierung)
Faust wird gespielt von fünf verschiedenen Männern: Nicolaas van Diepen, Marvin Schulze, Joshua Seelenbinder (Ernst Busch-Schauspielschule), Alexander Wanat (Ernst-Busch-Schauspielschule) und Fabian Stromberger,
Gretchen wird von drei Schauspielerinnen gespielt: Antonia Bill, Christina Drechsler, Dorothée Neff,
Marthe: Raphael Dwinger.

Hier unsere Bilderserie mit 20 Fotos der Inszenierung:

Faust (Fabian Stromberger) und Mephisto (Christopher Nell), ©Holger Jacobs

20 Bilder, Faust (Fabian Stromberger) und Mephisto (Christopher Nell), ©Holger Jacobs

 

 

Author: Holger Jacobs

Founder & Editorial Director of kultur24.berlin ug.
Founder & Editorial Director of kultur24 TV on Youtube.
Former correspondent for fashion in Paris.
Photographer, writer and filmmaker.

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