Robert Longo in den Deichtorhallen

Robert Longo - Bullet hole in a window - 2016 © Deichtorhallen

Robert Longo in den Deichtorhallen

 

Von Julia Engelbrecht

4. März 2018

english text below

3 Künstler – 3 Jahrhunderte – 3 Stilrichtungen – 3 Medien – zusammen in den Deichtorhallen in Hamburg

Wie wird man dieser Ausstellung gerecht? Wie soll man sie in Worte fassen, wie beschreiben? Was in der Halle für aktuelle Kunst der Hamburger Deichtorhallen zu sehen ist, erscheint in seiner Kraft erhaben zu sein über jedem Urteil, jeder Kategorisierung und Kritik.  Klar ist nur:  Nach den jüngsten Ausstellungen Andreas Mühe, Bill Viola und Alice Neel ist „Proof“ ein weiteres Glanzlicht im Reigen der erstklassigen Schauen, mit der „die größte  zusammenhängende Ausstellungsfläche für zeitgenössische Kunst in Europa“ aufwartet und seine Besucher beschenkt.

Auch Robert Longo ist zufrieden, fast euphorisch. Immer wieder misst der amerikanische Zeichner, der mit der deutschen Schauspielerin Barbara Sukowa verheiratet ist, mit großen Schritten die Entfernungen zwischen den Arbeiten, überprüft die Sichtachsen, breitet die Arme aus und sagt: „Fantastisch. Dieser Ort ist wie geschaffen für meine Show.“ Gemeinsam mit der Kuratorin Kate Fowle vom Garage Museum of Contemporary Art

in Moskau hat der zeichnende Chronist der Weltgeschicke eine Ausstellung entwickelt, in der seine großformatigen und hyperrealen Kohlezeichnungen einen klugen und zugleich berührenden Dialog eingehen mit den kleinen zarten Radierungen Francisco de Goyas (1746-1828) und den monumentalen Filmszenen Sergei Eisensteins (1898 -1948). Entstanden ist eine bildhafte Aussprache drei wegweisender Künstler-Chronisten, die nicht nur „visuell und intellektuell herausfordert“, wie es Intendant Dirk Luckow formuliert, sondern vor allem überzeugt.

3 Photos: „Panzerkreuzer Potemkin“, Sergei Eisenstein, 1925 © Deichtorhallen

Und das liegt nicht zuletzt an einem Umstand, den zuzugeben Robert Longo in seiner typisch unprätentiösen Art sich nicht scheut. Weil es leider sehr schwer gewesen sei, die großen Öl-Bilder de Goyas von den Museen auszuleihen, habe er sich mit Goyas Radierungen begnügen müssen. So sei das grafische Schwarz-Weiß-Konzept entstanden, auf dem jetzt die ganze Ausstellung fuße. Tatsächlich aber ist die Abwesenheit von Farbe der große Gewinn von „Proof“, denn durch das Grafisch-Dokumenthafte gelingt Robert Longo der „Beweis“, dass Revolutionen, Kriege und Machtpolitik sich in ihrer Grundstruktur über die Jahrhunderte wiederholen (müssen) – und bedrückend ähneln.

2 Photos: Francesco Goya, „Die Schrecken des Krieges“, 1820 © Deichtorhallen

Der Betrachter blickt auf Longos Triptychon eines überfüllten Flüchtlingsboots inmitten stürmischer See, nun dreht er sich um die eigene Achse und blickt auf Longos düstere Rückenansicht römisch-katholischer Bischöfe, die dem Flüchtlingsdrama ihre Ku-Klux-Klan-ähnlichen Kapuzen zuwenden. Wenige Schritte weiter skizziert Goya um 1799 in seinem berühmten Werk „El sueno de la razón produce monstruos“ (Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer) wie die Ungeheuer der Ignoranz das aufklärerische Denken der spanischen Gesellschaft bedrohen. Nun hebt sich der Blick des Betrachters auf die wandfüllenden Filmszenen. Der russische Filmemachers Sergei Eisenstein thematisiert 1924 in seinem Film „Streik“ Massenmordszenen mittlerweile religionsbefreiter Fabrikarbeiter. Damit genug Zeit zum Verarbeiten der subtilen Bezüge entsteht, werden Eisensteins Filme in slowmotion gezeigt, reduziert auf 1 Prozent der normalen Geschwindigkeit.

Was lernen wir aus den großen Umbrüchen, was erkennen wir an den Mustern der Wiederholungen und was können wir von einer Zukunft erwarten, die wir nicht bewusst gestalten?

Robert Longo lässt nicht locker. Seine Arbeit „American Bald Eagle“ positioniert er frontal zu seinem Werk „Air Strike on Syria“. Seine Zeichnung „Mecca“, in der die Kaaba wie ein gläubigerschluckender Strudel erscheint, flankiert er links mit seiner Version der nackten   Bathseba im Bade nach Rembrandt und rechts mit Kampfflugzeugen der russischen und amerikanischen Streitkräfte. Auch wenn das Arrangement ins Plakative abzuglitschen droht, bleibt die Wahrhaftigkeit des künstlerischen Anliegens unberührt. Selten ist eine Ausstellung so zeitgemäß, vor allem in ihrem großen Griff über die Jahrhunderte hinweg.

Kuratiert und organisiert wurde die Ausstellung durch das Garage Museum of Contemporary Art in Moskau.

„Proof: Francisco Goya, Sergei Eisenstein, Robert Longo“
Deichtorhallen
Hamburg
17. Februar – 27. Mai 2018
Di – So 11 – 18 Uhr. Jeden 1. Do im Monat 11 – 21 Uhr.

5 Photos: Robert Longo, „American Eagle“, 2017, Kohlezeichnung © Robert Longo/ Deichtorhallen

 

How you can approach to this exhibition? How should you describe it in words? What can be seen in the hall for contemporary art of the Hamburg Deichtorhallen seems to be sublime in its power over every judgment, every categorization and criticism. One thing is for sure: after the recent exhibitions by Andreas Mühe, Bill Viola and Alice Neel, „Proof“ is another highlight in the series of first-class shows, offering „the largest contiguous exhibition space for contemporary art in Europe“.
Even artist Robert Longo is satisfied, almost euphoric. Again and again, the American draftsman, who is married to the German actress Barbara Sukowa, measures the distances between the works, checks the visual axes, spreads his arms and says: „Fantastic. This place is perfect for my show. “
Together with the curator Kate Fowle of the Garage Museum of Contemporary Art in Moscow, the chronicler of the world history has developed an exhibition in which his large-scale and hyperreal charcoal drawings enter into a clever yet touching dialogue with the delicate little etchings of Francisco de Goya (1746-1828) and the monumental film scenes of Sergei Eisenstein (1898 -1948). , The result is a pictorial pronunciation of three groundbreaking artist-chroniclers, who not only „challenge visually and intellectually“, as Intendant Dirk Luckow formulates it, but especially convince.
And this is not least due to a fact that Robert Longo, in his typically unpretentious manner, does not go away from admitting. Because it was unfortunately very difficult to borrow the great oil paintings of de Goya from the museums, he had to content himself with Goya’s etchings. Thus, the graphic black and white concept was created on which now the whole exhibition is based. In fact, the absence of color is the great benefit of the „Proof“ exhibition, because with his graphic-documentary style Robert Longo „proofs“ that revolutions, wars and politics in their basic structure don’t change over the centuries.
The viewer looks at Longo’s triptych of a crowded refugee boat amidst stormy seas, now he turns on his own axis and looks at Longo’s gloomy back view of Roman Catholic bishops who turn their refugee drama to their Ku Klux Klan-like hoods. A few steps further on, around 1799, Goya outlines in his famous work „El sueno de la razón produce monstruos“ how the monsters of ignorance threaten the enlightened thinking of Spanish society. Now the viewer’s gaze rises to the wall-filling film scenes. In 1924, the Russian filmmaker Sergei Eisenstein in his film „Strike“ deals with mass murder scenes of factory workers who have since been released from religious faith. To get enough time to process the subtle references, Eisenstein’s movies are shown in slowmotion, reduced to 1 percent of normal speed.
What do we learn from the great upheavals, what do we recognize by the patterns of repetitions and what can we expect from a future that we do not consciously shape?
Robert Longo will not let up. He positions his work „American Bald Eagle“ head-on to his work „Air Strike on Syria“. His drawing „Mecca“, in which the Kaaba appears like a believing swallowing whirlpool, flanks on the left with his version of the naked Bathsheba in the bath to Rembrandt and on the right with fighter jets of the Russian and American armed forces. Even if the arrangement threatens to draw into the poster, the truthfulness of the artistic concern remains untouched. Rarely is an exhibition so contemporary, especially in its great grip over the centuries. The exhibition was curated and organized by the Garage Museum of Contemporary Art in Moscow.

Proof: Francisco Goya Sergei Eisenstein, Robert Longo
deichtorhallen
Hamburg
February 17 – May 27, 2018
Tue – Sun 11 am – 6 pm. Every 1st Thu in the month 11am – 9pm.

Author: Julia Engelbrecht-Schnür

Journalistin

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