Samson et Dalila in der Staatsoper Berlin

Samson et Dalila © Holger Jacobs/ kultur24berlin

Samson et Dalila in der Staatsoper Berlin

 

Von Dagmar Loewe

26.11.2019

Wertung: 🙂 🙂 🙂 🙂 (vier von fünf)

English text below

Premiere von Camille Saint-Saëns Samson et Dalila an der Staatsoper Berlin

Am Sonntag, 24. November 2019, gab es das Opernregie-Debut des 1975 geborenen Drehbuchautors, Film- und Fernsehregisseurs Damián Szifron und -man wundere sich oder nicht- man sah einen spektakulären Hollywood-Breitwand-Cinematograph-Historienschinken, hier allerdings auf der großen Opernbühne ohne Leinwand.
Szifron ist vielfach ausgezeichnet, sein u.a. von Pedro Almodóvar produzierter Film „Relatos salvajes“ war sogar für einen Oscar nominiert.

Diese Inszenierung folgt fast zu hundert Prozent dem biblischen Buch der Richter aus dem Alten Testament und spielt auch am historischen Ort vor historischem Bühnenbild mit ebensolchen Kostümen. Nun muß man diese klassische Geschichtenerzählung ohne Verweise auf heutige Situationen mögen; für eher konservative Besucher, die die Vielzahl der zeitgenössischen Darstellungen mühsam finden, ist es sicher ein Highlight. Der nachdenkliche Zuschauer muß jedenfalls auf durchaus vorhandene Parallelen der erzählten Geschichte zu kulturellen, glaubenstechnischen und politischen Fragen der Jetztzeit selbst kommen und wird sich vielleicht gelangweilt an die Sandalenfilme seiner Jugend erinnern.

Es geht um den alttestamentarischen Konflikt zwischen Hebräern und Philistern – die Hebräer leiden unter Unterdrückung und Sklaverei und wollen durch den von Gott auserwählten Helden Samson die Geschichte umschreiben. Großartig der Eingangschor mit dem Staatsopernchor Berlin. Als Abimélech, Statthalter von Gaza, die Hebräer verhöhnt, daß ihr Gott nicht fähig sei, sie zu befreien, fühlt Samson sich provoziert und erschlägt ihn im Kampf. Der Oberpriester der Philister verflucht daraufhin Samson und schwört Rache. Vorerst feiern die Hebräer ihren Sieg, nun jedoch wird es kompliziert.

Dalila tritt auf. Man weiß nicht, woher sie kommt, ob Samson sie schon kannte, sie entspricht in keiner Weise einer Frau der Zeit, sie ist eine emanzipierte Persönlichkeit, die gar nicht der paternalistischen Sichtweise einer Frau in der damaligen Gesellschaft entspricht. Manch frühere Inszenierung stellte sie als Prostituierte oder Lolita-Verschnitt dar, andere als Priesterin der Philister. Das Buch der Richter läßt Raum für Interpretationen, Saint-Saëns ordnet sie den Philistern zu. Jedenfalls liebt sie den Helden Samson, oder gibt es zumindest vor und er kann ihr trotz seines Gelübdes, Gott zu dienen, nicht widerstehen. Sie spüren jedoch beide das Damoklesschwert über sich und agieren erst einmal verhalten; an ihrer Stelle treten zwei Tänzer auf, die die völlig unrealistische  Idealvorstellung einer gemeinsamen Zukunft herbeitanzen, von Verliebtheit über Schwangerschaft bis zur Großfamilie mit Kindern. Dieser dargestellte Traum läßt sich natürlich nicht verwirklichen.

Um die Macht über Gaza zurückzugewinnen, versucht der Oberpriester der Philister, Dalila von einer Intrige gegen Samson zu überzeugen, was nach etwas Zögern auch gelingt, denn Dalila hadert mit Samsons Treue zu seinem Gott und will ihm unbedingt das Geheimnis seiner Stärke entreißen, um ihn ganz für sich zu haben. Er gesteht nach langer Verweigerung unter Dalilas ausgeübtem Druck ihn zu verlassen, daß es die langen Haare sind, die ihn ausmachen, was mythologisch für die sexuelle Manneskraft steht und verliert in dem Moment genau das, denn sie schneidet ihm die Haare ab und kastriert ihn somit in übertragenem Sinne. Seine Kräfte sind dahin, er wird geblendet, geschoren, verhöhnt und gefoltert. Zu guter Letzt hat Gott jedoch ein Einsehen, Samson erhält seine Kraft zurück und bringt den lüsternen, frivolen, gewalttätigen Tempel zum Einsturz. Ob Dalila dabei umkommt, ist in der Geschichte nicht überliefert, sie verschwindet von der Szene genauso unauffällig, wie sie daherkam, eine unabhängige Frau auf der Suche nach allumfassender Liebe, gescheitert.

Hier unser Video auf kultur24 TV mit der berühmten Arie von Dalila „Mon cœur s’ouvre à ta voix“:

Diese Szene im 3. Akt ist großartig inszeniert, unglaublich die schauspielerische Leistung der Darsteller, insbesondere des den Samson darstellenden Tenors Brandon Jovanovich, der in einer so drastischen Form gefoltert, geboxt und getreten wird, daß man kaum glauben kann, dass der Sänger es überlebt. Auch die Szenen im Tempel, wie die Philister sich und ihren Erfolg feiern, wie sie die Feinde ermorden, wie sie sich gleichzeitig amüsieren, (natürlich alle Klischees bedienend immer mit den nackigen, männerverführenden, üppigen Tempelhuren), aber einfach großartig dargestellt, viel aufregender als der kitschige 1. Akt mit über den Pappmaché-Wüstenhorizont ziehendem Vollmond und wolfsartig aussehendem Schäferhund, der auf der Suche nach Fressbarem über die Bühne schleicht.

Daniel Barenboim mit der Staatskapelle Berlin wird an seinem Haus gefeiert, die Komposition von Saint-Saëns ist herrlich, nach seiner eigenen Aussage das Beste, das er komponiert hat, außerdem seine einzige, wirklich erfolgreiche Oper. Allerdings dauerte es lange, bis sie von seinen Zeitgenossen akzeptiert wurde, zu nah ist sie vom Gesamtkonzept dem von Saint-Saëns verehrten, damals aber in Paris verhassten Richard Wagner, so wurde sie nach der Entstehung 1876 zuerst 1877 mit großem Erfolg in Weimar uraufgeführt und kam erst 1892 an die Opéra in Paris, dann allerdings auch umjubelt, wie auch Wagner mittlerweile von den Franzosen vom Feindbild zum Geliebten mutiert war.

Die drei Hauptdarsteller in Berlin sind alle hervorragend, Tenor Brandon Jovanovich als Samson schon von seiner Statur glaubwürdig besetzt, mit Kraft und Subtilität in Spiel und Gesang.
Elīna Garanča hinreißend und überzeugend in der Rolle mit ihrem wunderbaren Mezzosopran erlebt einen großen Erfolg, nachdem sie mit der Dalila auch bereits an der Wiener Staatsoper und der Metropolitan Opera debütiert hatte.
Auch Michael Volle als Oberpriester der Philister verkörpert den Typus in Spiel und Gesang perfekt und kraftvoll. Es ist musikalisch und darstellerisch ein Hochgenuß, auch die Kostüme von Gesine Völlm und das Bühnenbild von Étienne Pluss sind phantasievoll, wenn man sich erst einmal an die kitschige, historische Szenerie gewöhnt hat.

„Samson et Dalila“ von Camille Saint-Saëns, Libretto von Ferdinand Lemaire
Staatsoper Unter den Linden
Premiere war am 24.11.2019
Musikalische Leitung: Daniel Barenboim, Inszenierung: Damián Szifron, Bühnenbild: Étienne Pluss, Kostüme: Gesine Völlm, Licht: Olaf Freese, Video: Judith Selenko, Choreografie: Tomasz Kajda´nski
Mit: Brandon Jovanovich (Samson), Elīna Garanča (Dalila), Michael Volle (Oberpriester des Dagon), Kwangchul Youn (Abimélech), Wolfgang Schöne (Ein alter Hebräer), Andrés Moreno García (Erster Philister), Jaka Mihelac (Zweiter Philister), Javier Bernardo (Ein Bote der Philister), Nikos Fragkou (Samson-Double (Tänzer)), Lisa Schramm (Dalila-Double (Tänzerin)), Staatskapelle Berlin, Staatsopernchor Berlin (Einstudierung: Martin Wright)

Hier unsere Bilderserie mit 30 Fotos der Opernproduktion:

26 photos: Die Hebräer trauern um ihr Schicksal, „SAMSON ET DALILA“, Staatsoper Berlin © Holger Jacobs/ kultur24.berlin

English text

Samson et Dalila in the Staatsoper Berlin
By Dagmar Loewe
11/26/2019
On Sunday, November 24, the 1975-born screenwriter, film and television director Damián Szifron made his opera directing debut, and one could wonder or not to see a spectacular Hollywood wide-screen cinematograph historical movie, but here on the grand opera stage without a screen.
Szifron has received many awards, his film „Relatos salvajes“, produced by Pedro Almodóvar among others, was even nominated for an Oscar.
This production follows almost one hundred percent the biblical book of the judges from the Old Testament and also plays at the historical location in front of a historical stage set with the same costumes. Now one must like this classic story telling without references to today’s situations; for rather conservative visitors, who find the multitude of contemporary representations laborious, it is certainly a highlight. In any case, the thoughtful viewer must come to any parallels between the narrated story and the cultural, technical and political questions of the present time and will perhaps boredly remember the sandal films of his youth.
It is about the Old Testament conflict between Hebrews and Philistines – the Hebrews suffer oppression and slavery and want to rewrite the story through the hero Samson chosen by God. The entrance choir with the Berlin State Opera Choir is magnificent. When Abimélech, governor of Gaza, mocks the Hebrews that their God is not capable of freeing them, Samson feels provoked and kills him in battle. The chief priest of the Philistines then curses Samson and swears revenge. For the time being the Hebrews celebrate their victory, but now it gets complicated.

Dalila appears. The audience don’t know where she comes from, whether Samson already knew her, she in no way corresponds to a woman of the time, she is an emancipated personality who doesn’t correspond at all to the paternalistic view of a woman in society at that time. Some of the earlier productions depicted her as a prostitute or Lolita, others as a priestess of the Philistines. The Book of Judges leaves room for interpretation, Saint-Saëns assigns her to the Philistines. In any case, she loves the hero Samson, or at least pretends to, and he cannot resist her despite his vow to serve God. They both, however, feel the sword of Damocles over them and act first of all restrained; in their place two dancers appear, who dance the completely unrealistic ideal of a common future, from infatuation to pregnancy to the extended family with children. Of course, this dream cannot be realized.

In order to regain power over Gaza, the chief priest of the Philistines tries to convince Dalila of an intrigue against Samson, which succeeds after some hesitation, because Dalila quarrels with Samson’s loyalty to his god and wants to snatch the secret of his strength from him in order to have him all to herself. After a long refusal he confesses that it is the long hair that makes him strong, which mythologically stands for the sexual power of a man. He loses that power at that moment because she cuts his hair and castrates him in a figurative sense. His powers are gone, he is blinded, shorn, mocked and tortured. Finally, however, God has an understanding, Samson regains his strength and brings down the lustful, frivolous, violent temple. Whether or not Dalila dies is not known in the story, she disappears from the scene just as inconspicuously as she came along, an independent woman in search of all-encompassing love, failed.

The Act 3 is superbly arranged, unbelievably the acting performance of the actors, especially the tenor Brandon Jovanovich, who plays Samson, is tortured, boxed and kicked in such a drastic way that it is hard to believe that the singer will survive. Also the scenes in the temple, how the Philistines celebrate themselves and their success, how they murder their enemies, how they amuse themselves at the same time, (of course using all clichés always with the naked, man-supporting, luxuriant temple whores), but simply magnificently portrayed, much more exciting than the kitschy 1st act with a full moon pulling across the papier-mâché desert horizon and a wolf-like looking shepherd dog sneaking across the stage in search of something to eat.

Daniel Barenboim with the Staatskapelle Berlin is celebrated at his house, the composition of Saint-Saëns is splendid, according to his own statement the best he has composed, also his only really successful opera. However, it took a long time for it to be accepted by his contemporaries, it is too close to the overall concept of Richard Wagner, who was revered by Saint-Saëns but hated in Paris at the time. It was first premiered in 1877 with great success in Weimar after it was written in 1876, and only came to the Paris Opera in 1892, but then also celebrated, just as Wagner had meanwhile mutated from an enemy to a beloved by the French.

The three main actors in Berlin are all great singers, tenor Brandon Jovanovich as Samson already credibly cast from his stature, with power and subtlety in playing and singing. Elīna Garanča enchantingly and convincingly in the role with her wonderful mezzo-soprano experiences a great success here, having already made her debut with Dalila at the Vienna State Opera and the Metropolitan Opera. Also Michael Volle as the high priest of the Philistines embodies the type in playing and singing perfectly and powerfully. The costumes of Gesine Völlm and the stage design of Étienne Pluss are also imaginative once you get used to the kitschy, historical scenery.

 

Author: Dagmar Loewe

Beraterin für Einrichtungen, Garten- und Modedesign. Passionierte Opern- und Konzertbesucherin. Lebt und arbeitet in Hamburg.

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