„Wer hat Angst vor Virgina Wolf“ in Hamburg

Deutsches Schauspielhaus Hamburg © Arno Declair

„Wer hat Angst vor Virgina Wolf“ in Hamburg

 

Von Julia Engelbrecht

14.02.2019

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Eine Neuproduktion des berühmten Klassikers sowohl im Theater Kiel wie auch am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg.

Man kennt ihn, dieses Moment, wenn man nachts nach Hause kommt von einer Party, von einem Abendessen, wenn man ein Glas zu viel intus hat und aufgestachelt ist von einem Satz, einer Äußerung – des Partners. Man weiß, dass einzig der direkte Weg ins Bett die Situation retten kann. Man weiß, dass nur der Schlaf die Gereiztheit und die Lust am Streit in den Griff bekommt.

George und Martha wissen es auch, aber sie gehen nicht ins Bett, als sie heimkehren von der Fakultätsparty. Stattdessen lassen sie den Moment eskalieren, denn sie brauchen den Krieg, weil ihre Ehe davon auf perfide Art profitiert.

„Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ von Edward Albee, die böse Zimmerschlacht der Worte, die 1962 in New York am Broadway uraufgeführt wurde und schon kurze Zeit darauf in Berlin für Furore sorgte, drückt auch heute noch den Zuschauer mit Beklemmung und Faszination zugleich ins Polster des Theaterstuhls. Denn all die Obszönitäten, die Verletzungen und Bosheiten haben sich nicht abgenutzt über die Jahrzehnte. Die Essenz von Streit, Verletzung und Demütigung verändert sich eben nicht und  ist  auf gespenstige Art jedem vertraut.

„Wer hat Angst vor Virginia Wolf“, am Hamburger Schauspielhaus, Foto: Arno Declair

Nicht nur am Schauspielhaus Hamburg, sondern auch am Schauspielhaus Kiel, sorgt der Klassiker der amerikanischen Moderne zurzeit für volle Häuser, und beide Inszenierungen zu erleben, bereichert das Verständnis um die Strahlkraft dieses Meisterwerks der psychologischen Kriegsführung zwischen vier Eheleuten.

Während sich Regisseur Siegfried Bühr in Kiel für ein getäfeltes Designer-Wohnzimmer mit cognacfarbenem Sofa als zentrale Anlaufstelle des Geschehens entscheidet, dient in der Inszenierung von Karin Beier an der Alster ein kahles Podest ähnlich dem Unterbau eines Boxrings für den Austragungsort des Ehe-Fights. Wo sich die Kollegen im Norden auf einen Bartresen als unerschöpfliche Quelle für Brandy, Gin und Whisky beschränken, geht Bühnenbildner Thomas Dreissigacker in Hamburg gleich mit zwei Servierwagen an den Start. Außerdem beleuchtet er das Geschehen von oben mit sechs kreisrunden Papierlampen, die planetengleich mit der weisen Kraft nächtlicher Gestirne die Vorgänge bezeugen oder gar zu lenken scheinen, weil sie auch einzeln aufleuchten, als wollten sie bestimmten Figuren den Weg aus ihrer düsteren Misere weisen.

Wie in Absprache steht auf beiden Bühnen ein kahler Baumstamm im hinteren Raum als solle er das Bild in zwei Teile schneiden. Auch der Frauentyp der Martha ähnelt sich an beiden Häusern. Agnes Richter (Kiel) und Maria Schrader (Hamburg) dominieren als dunkel gelockte Akademikerinnen mit ihren ausladenden Gesten und tiefen Stimmen das Geschehen. Während Agnes Richter schon nach kurzer Zeit ein Mindestmaß an Zuschauer-Mitgefühl auf ihrer Seite hat, weil man ihrer Martha die eigene Verzweiflung und Überforderung anmerkt, treibt Maria Schrader die Selbstgewissheit einer von Eitelkeit und Ignoranz getriebenen Martha auf die Spitze. Sie ist breitbeinig und vulgär, eben „Wie eine Hyäne“, sagt George, den in Hamburg Devid Striesow fabelhaft zynisch feixend und in Kiel Oliver Schönfeld eher offenkundig frustriert spielt.

Bei den nächtlichen Gästen, dem Ehepaar „Süße“ und Nick, spricht die Kieler Regie der dümmlich jungen Frauenfigur mehr Entwicklungspotenzial zu, so dass Claudia Friebel ihre „Süße“ im Verlauf des Stücks vom kichernden Girlie zur geschundenen wie auch expressiven Frauenseele entwickeln kann. In Hamburg wahrt Josefine Israel vor allem die Fassade des wohlerzogenen Fräuleins, das versucht, seine inneren Ängste im Bann zu halten.

Beide Inszenierungen glänzen mit einer fabelhaft subtilen wie auch sukzessiven Aufladung des vom Alkohol getränkten Psycho-Aggregats der Figuren. Mit jedem Glas, jeder Bemerkung, jeder Drohung bauscht sich die Stimmung im wüsten Ehe-Quartetts mehr auf, rückt Martha ihrer unausweichlichen Bestrafung durch George näher. Ihre Qual ergießt sich in Kiel spürbar bis in die letzte Zuschauerreihe, in Hamburg bleibt Marthas Zustand abstrakt in der allgemeinen Gemengelage der Akteure haften. An beiden Häusern steht als rettendes Final die schmerzhafte wie auch erlösende Austreibung einer großen Illusion, Marthas hausgemachte Einbildung eines Sohns. In Kiel wie in Hamburg hält George seine Martha am Ende schützend im Arm. Zurück bleibt das unausgesprochene Credo „Omnia vincit amor“, aber auch die Vermutung: Nach dem Streit ist vor dem Streit.

Wer hat Angst vor Virginia Wolf“ von Edward Albee
Premiere war am 18. Januar 2019
Deutsches Schauspielhaus in Hamburg
Regie: Karin Beier, Bühne: Thomas Dreißigacker, Kostüme: Maria Roers
Mit: Maria Schrader (Martha), Devid Striesow (George). Josefine Israel (Süße), Matti Krause (Nick)

Nächste Vorstellungen am 14. und 27. Februar und am 14. März 2019

Hier unsere Bilderserie mit 9 Fotos aus der Neuproduktion in Hamburg:

9 Photos: „Wer hat Angst vor Virginia Wolf“, am Hamburger Schauspielhaus, Foto: Arno Declair

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Who’s Afraid of Virgina Wolf „by Edward Albee
By Julia Engelbrecht
02/14/2019

Both at the Kiel Theater and at the Deutsches Schauspielhaus in Hamburg there was a new production of the famous classic.
You know him, this moment, when you come home at night from a party, from a dinner, when you have a glass too much intused and spurred on by a sentence, a statement – the partner. One knows that only the direct way to bed can save the situation. We know that only sleep can control the irritability and the desire to fight.
George and Martha know it too, but they do not go to bed when they return home from the faculty party. Instead, they are escalating the moment because they need the war because their marriage profits in a perfidious way.
„Who’s Afraid of Virginia Woolf“ by Edward Albee, the evil battle of the words, which premiered in New York on Broadway in 1962 and caused a sensation shortly afterwards in Berlin, still pushes the audience into anxiety and fascination Upholstery of the theater chair. Because all the obscenities, the injuries and malice have not worn off over the decades. The essence of quarrel, injury and humiliation does not change and is ghastly familiar to everyone.
Not only at the Schauspielhaus Hamburg, but also at the Schauspielhaus Kiel, the classic of American modernism currently provides for full houses, and experiencing both productions, enriches the understanding of the radiance of this masterpiece of psychological warfare between four married people.
While director Siegfried Bühr decides in Kiel for a paneled designer living room with a cognac-colored sofa as the focal point of the event, in the staging of Karin Beier on the Alster a bare pedestal similar to the base of a boxing ring for the venue of the marriage-Fights serves. Where the colleagues in the north limit themselves to a wet bar as an inexhaustible source of brandy, gin and whiskey, stage designer Thomas Dreissigacker in Hamburg starts with two trolleys at the start. He also illuminates the events from above with six circular paper lamps that seem to witness or even direct the events, as if they were showing the way out of their grim misery, to certain figures, as if they were planets with the wise power of nocturnal stars.

As agreed, there is a bare tree trunk in the back room on both stages as if to cut the picture into two parts. Also, the type of woman Martha is similar to both houses. Agnes Richter (Kiel) and Maria Schrader (Hamburg) dominate the events as dark-skinned academics with their expansive gestures and deep voices. While Agnes Richter has a minimum of spectator sympathy on her side after a short while, because one notices her own desperation and overstrain, Maria Schrader takes the self-assurance of a vanity and ignorance driven Martha to the extreme. She is wide-legged and vulgar, just like „a hyena,“ says George, who in Hamburg Devid Striesow fabulous cynical smirking and Oliver Schönfeld in Kiel is rather obviously frustrated plays.
The nightly guests, the couple „Sweet“ and Nick, the Kiel director of the silly young female figure more development potential, so that Claudia Friebel can develop their „sweetness“ in the course of the play from the giggling Girlie to the afflicted as well as expressive woman’s soul. In Hamburg, Josefine Israel primarily preserves the façade of the well-bred Miss, who tries to keep his inner fears alive.
Both productions shine with a fabulously subtle as well as successive charge of the alcohol-infused psycho-aggregate of the characters. With every jar, every comment, every threat, the mood in the desolate marriage quartet picks up, as Martha draws closer to her inevitable punishment from George. Her anguish spills noticeably into the last row of spectators in Kiel. In Hamburg, Martha’s condition remains abstractly caught in the general mood of the actors. At both houses stands as a saving final the painful as well as redeeming expulsion of a great illusion, Martha’s homemade imagination of a son. In Kiel as in Hamburg George holds his Martha in the end protective in the arm. What remains is the unspoken creed „Omnia vincit amor“, but also the assumption: After the dispute is before the dispute.
Who’s Afraid of Virginia Wolf „by Edward Albee
German playhouse in Hamburg
Director: Karin Beier, Stage: Thomas Dreißigacker, Costumes: Maria Roers
With: Maria Schrader (Martha), Devid Striesow (George). Josefine Israel (Sweetie), Matti Krause (Nick)

Author: Julia Engelbrecht-Schnür

Journalistin

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